Humanitäre Hilfe für Syrien - sofort!

28.02.2013
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Zur politischen Situation in Syrien hat ausschließlich die Fraktion DIE LINKE einen umfassenden Antrag vorgelegt. Dieser Antrag deckt sich in seinen Forderungen und Vorschlägen mit der grundsätzlichen Linie, die der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Herr Lakhdar Brahimi, verfolgt. Er steht heute zur Abstimmung. Ich stelle fest: SPD, CDU/CSU und FDP haben zu Syrien nichts zu sagen, oder wollen sich schriftlich nicht äußern.

 

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TOP 24 a) am Donnerstag, 28. Februar 2013
Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegin,

es ist längst überfällig, dass sich der Bundestag ernsthaft und tiefer gehend – was er leider nicht tut – mit der Lage in Syrien und der deutschen Syrien-Politik auseinandersetzt. Bislang sind zu diesem Thema drei Anträge den parlamentarischen Gremien vorgelegt worden:

Ein Antrag der Fraktion DIE LINKE, syrische Flüchtlinge in Deutschland und in Europa aufzunehmen, wurde abgelehnt.

Die Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN beantragen heute erneut, dass sich Deutschland für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge human und unbürokratisch öffnen soll. Ich hoffe, dass der grüne Antrag, dem meine Fraktion zustimmen wird, nicht das gleiche Schicksal erleidet wie der vorgenannte Antrag der LINKEN.

Zur politischen Situation in Syrien hat ausschließlich die Fraktion DIE LINKE einen umfassenden Antrag vorgelegt. Dieser Antrag deckt sich in seinen Forderungen und Vorschlägen mit der grundsätzlichen Linie, die der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Herr Lakhdar Brahimi, verfolgt. Er steht heute zur Abstimmung. Ich stelle fest: SPD, CDU/CSU und FDP haben zu Syrien nichts zu sagen, oder wollen sich schriftlich nicht äußern.

Das Wichtigste, was für DIE LINKE im Vordergrund steht: es muss ein Weg gefunden werden, das tägliche Morden in Syrien – der Bürgerkrieg hat mittlerweile über 70.000 Menschen das Leben gekostet - zu beenden. Der einzig sinnvolle Weg in diese Richtung sind Verhandlungen zwischen dem Präsidenten Syriens, Baschar al Assad, und/oder von ihm beauftragten Personen mit Gremien der Opposition. DIE LINKE hat darauf hingewirkt, dass an solchen Verhandlungen auch die Teile der Opposition beteiligen werden, die ausdrücklich auf Gewalt verzichtet haben und in Syrien für einen gewaltfreien Wandel aktiv sind. Gerade dieser Teil der politischen Opposition, mit dem wir sehr eng zusammenarbeiten, steht derzeit unter einer doppelten Repression – unter der anhaltenden Repression des Regimes und unter der Repression und Gewalttätigkeit anderer oppositioneller Gruppen, die immer extremistischer werden.

Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal: Es ist doppelbödig und unglaubwürdig, wenn in Syrien die Gruppen mit Geld und Waffen versorgt werden, auch vom Westen, aber besonders aus Saudi-Arabien und Katar, die in Mali mit Waffengewalt – auch vom Westen – vertrieben wurden.

Die Regierung Assad hat Verhandlungen zugesagt und offensichtlich die Bitte von Lakhdar Brahimi, für diese Verhandlungen eine Person zu autorisieren, die auch für die Gegenseite gesprächsfähig ist, aufgegriffen. Die „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ und ihr Sprecher Moaz Al-Khatib hat solchen Gesprächen zugestimmt, allerdings in den letzten Tagen diese Zustimmung unter dem Druck der extremistischen Kräfte wieder relativiert. Von der Bundesregierung gibt es keinen Appell, zum Beispiel im Rahmen der „Freunde Syriens“, an die oppositionellen Gruppen, in Verhandlungen einzuwilligen.

Die Bundesregierung lügt, wenn sie behauptet, den Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen Lakhdar Brahimi in seinen Bemühungen um einen Dialog und einen Waffenstillstand zu unterstützen. Im Gegenteil: Die Bundesregierung sabotiert die Bemühungen Brahimis und trägt damit Mitverantwortung für die Fortsetzung von Bürgerkrieg und Gewalt.

An keiner Stelle im Genfer Kommunique wird davon gesprochen, dass der syrische Präsident Assad als Preis für Verhandlungen zurückzutreten hat. Als Ziel von Verhandlungen wird eine Waffenruhe, die zu einem Waffenstillstand führen soll, definiert. In einem solchen Klima der Verhandlungen und des Dialoges soll es zu einer Übergangsregierung kommen. Die Bundesregierung jedoch geht umgekehrt heran. Sie verlangt den Rücktritt von Assad, bevor es zu Gesprächen kommen könne, und befördert, dass die vom Westen und den Golfstaaten präferierte „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ als Übergangsregierung anerkannt und eingesetzt wird. Zwei konkurrierende Regierungen aber spitzen den Bürgerkrieg zu.

Ein wichtiger Punkt von Verhandlungen soll und muss die Freilassung von Gefangenen auf beiden Seiten und eine Sicherheitsgarantie für die kurdischen Gebiete sein. Ein Gefangenenaustausch – und der ist dringend notwendig – muss sorgfältig verhandelt werden. Ich betreue in Syrien einen langjährigen Oppositionellen, der wegen seines Eintretens für Gewaltlosigkeit und Demokratie vom Regime verschleppt wurde und in einer Einrichtung der syrischen Luftwaffe festgehalten wird. Abdel Asis al Chair gehört zu den Mitbegründern und Repräsentanten des Nationalen Koordinierungskomitees für den demokratischen Wandel in Syrien. Ich bitte die syrische Regierung zu verstehen, dass es schwer ist, Gewaltlosigkeit als politisches und ethisches Prinzip durchzuhalten und auf Verhandlungen zu bauen, wenn gleichzeitig Menschen, die das vertreten, verschleppt und möglicherweise gefoltert werden. Ich verlange, dass Abdel Asis al Chair sofort freigelassen wird und bitte alle Kolleginnen und Kollegen, mein Begehren zu unterstützen.

Halten wir noch einmal fest: Lakhdar Brahimi, die UNO, Russland und China setzen auf ein Ende der Gewalt durch Verhandlungen. Die Bundesregierung setzt auf einen militärischen Sieg der Aufständischen im Bürgerkrieg und nimmt eine Verschärfung der Auseinandersetzungen und damit weitere Opfer in Kauf.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat die unterschiedlichen Grundlinien in der Syrien-Politik sehr klug analysiert. Sie kommt zum Ergebnis, dass keine der Seiten im syrischen Konflikt derzeit in der Lage ist, die Situation militärisch für sich zu entscheiden, und dass der Aufstand in Syrien längst enteignet und zu einem Stellvertreterkrieg gemacht wurde. In Syrien kreuzen sich strategische Grundlinien einer neuen Verteilung von Macht und Einfluss nicht nur in der Region des Nahen und Mittleren Ostens, sondern weitreichender bis nach Nordafrika und in den asiatischen Raum.

Es droht die Gefahr einer langanhaltenden blutigen Auseinandersetzung, die letztlich zur Zerstörung des syrischen Staates führen wird. Die realistische Alternative zu Assad ist gegenwärtig kein demokratisches Syrien, sondern eine Zerstückelung des Landes in unterschiedliche Macht- und Herrschaftsbereiche. Was tun in dieser Situation?

Die Stiftung Wissenschaft und Politik empfiehlt der Bundesregierung, ihre Kraft auf humanitäre Hilfe für die Bevölkerung zu konzentrieren. In den USA, aber auch in Deutschland, und damit auch in der EU, nimmt die Debatte zu, die „Aufständischen“ mit direkten Waffenlieferungen zu unterstützen. Außenminister Westerwelle fordert das noch verklausuliert, einzelne Grünenpolitiker mittlerweile ganz offen. Waffenlieferungen nach Syrien, und zwar über die türkisch-syrische Grenze, sind mittlerweile ein ganz neues Konzept grüner „Friedenspolitik“.

Es wäre ein geringer Trost, wenn man sich wenigstens in der Frage der humanitären Hilfe über Grundsätze einigen könnte. Humanitäre Hilfe soll, wo immer es möglich ist, überparteilich geleistet werden. Das entspricht des Prinzipien des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde jedoch diskutiert, humanitäre Hilfe gezielt nur in den sogenannten „befreiten Gebieten“ zu leisten, so dass die Aufständischen „etwas vorzuweisen“ hätten. Keine Hilfe der Bundesregierung ging bisher in die kurdischen Gebiete. Kein Wunder, da der Bündnispartner Türkei in diesem Konflikt nicht an einem autonomen kurdischen Gebiet in einem syrischen Staatsverband interessiert ist.

Unerträglich jedoch ist die Heuchelei der Bundesregierung zur Nichtaufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Mehr als eine Million Menschen sind bisher aus Syrien geflüchtet – vor allem nach Jordanien, in die Türkei und in den Libanon. Allein nach Jordanien flüchteten an einem Tag 20.000 Menschen, das ist mehr als die gesamte EU seit Ausbruch des Konfliktes in Syrien aufgenommen hat. Man verweigert syrischen Bürgerinnen und Bürgern, die in Europa und auch in Deutschland leben, das Nachholen von Familienangehörigen aus dem Bürgerkrieg und damit aus unmittelbarer Lebensgefahr. Im Auswärtigen Ausschuss waren sich alle Fraktionen einig, dass dieser Heuchelei ein Ende bereitet werden muss. Statt Krokodilstränen braucht Syrien und die politische Moral in unserem Land aufrechte menschliche Hilfe. Wer dazu nicht bereit ist, soll den Menschen nicht erzählen, dass die Not in Syrien unerträglich geworden sei.