Beitrag zur LINKEN Friedenskonferenz am 18. und 19. März 2016
Deutschland sortiert seinen Platz in der Weltpolitik neu. Das dauert an und ist noch lange nicht abgeschlossen. Klar ist aber, das Prinzip der militärischen Zurückhaltung, was bis 1990 galt, also bis zur deutschen Vereinigung, soll keine Gültigkeit mehr haben. Deutschland Ost war an keinen militärischen Aktionen des Warschauer Paktes direkt beteiligt. Die NVA ist die einzige deutsche Armee, die zwar für Kriege geübt hat, aber an keinem einzigen Krieg beteiligt war.
Auch für die Bundeswehr war es unvorstellbar, dass sie in Kriegen der Welt Verwendung findet. Die Wiederbewaffnung war hart umkämpft. Die westdeutsche Friedensbewegung wuchs im Kampf gegen den deutschen Griff nach Atomwaffen, gegen die einseitige Westbindung, gegen die Mitgliedschaft in der NATO. Erst mit dem Einschwenken der SPD auf den Westkurs, auf die NATO-Bindung, konnte der Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung gegen diese Politik in der Bundesrepublik negativ verändert werden.
Die Friedensbewegung war oftmals identisch mit Massenbewegung. Aber die Friedensbewegung war auch immer wieder auf den jeweiligen Stamm der Aktivistinnen und Aktivisten zurück geworfen. Beispielhaft für den Masseneinfluss der Friedensbewegung waren die Aktionen „Kampf dem Atomtod“, die Hunderttausende auf die Straßen brachten, der Kampf gegen die Notstandsgesetze, der Widerstand gegen die Stationierung der Kurzstreckenraketen Cruise Missile und Pershing II und letztlich auch im vereinigten Deutschland an die Großdemonstration gegen den Irak-Krieg. Wenn man über die Friedensbewegung West und Ost spricht, darf man auch die Bewegung in der DDR „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht verschweigen. Friedensbewegung war immer Basisbewegung – in Ost und West, und wurde zeitweilig von Kirchen und Gewerkschaften und Parteien, linke Parteien sowie SPD und Grüne, aktiv unterstützt. Auch und gerade heute ist der Wiederaufbau einer aktiven, auf Massenbeteiligung orientierten Friedensbewegung unverzichtbar.
Die deutsche Politik strebt einen führenden Platz in der Weltpolitik an. Das wird umschrieben mit dem Anspruch „Deutschland ist eine Mittelmacht im Werden“ und der zynischen Kommentierung des Bundesaußenministers Steinmeier, „Deutschland sei eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“. Damit knüpft Steinmeier gedanklich und sprachlich an die Aussage des Ex-Verteidigungsministers Franz-Joseph Strauß (CSU) an, der den Widerspruch „Deutschland sei ökonomisch ein Riese, aber militärisch ein Zwerg“ durch den Griff nach Atomwaffen auflösen wollte. Die Linie von Franz-Joseph Strauß war eine Doppelstrategie von nationaler Stärke und internationaler Verankerung, während die heutigen politischen Eliten die deutsche Rolle in der Weltpolitik durch einen bestimmenden Einfluss in internationalen Organisationen wie der EU, der NATO, der Weltbank, der UNO und anderer gewährleisten wollen. Deutschland an der Seite der USA, das gilt auch heute, wenngleich die internationale Rolle der USA sich gravierend zu verändern beginnt. Ohne USA, ohne NATO oder EU keine deutschen Militäreinsätze, aber auch umgekehrt, ohne deutsche Zustimmung, deutsches Geld und deutsche Waffen keine weltweiten Aktionen der sogenannten Verbündeten.
Wir leben nicht in Zeiten drohender Kriegsgefahr, wir leben in Zeiten realer, stattfindender Kriege. Der Krieg ist wieder gegenwärtig –durch Waffen, Soldaten, neue Militärtechnik, Auslandseinsätze der Bundeswehr, durch Rüstungsexporte, aber auch durch Flüchtlinge, die vor diesen Kriegen nach Europa und auch in unser Land fliehen. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, 80 % von ihnen fliehen vor Krieg und terroristischer Gewalt. Die Kriege im Nahen und Mittleren Osten zerstören eine ganze Region, die bereits in ihrer Geschichte immer Gegenstand imperialistischer Ausbeutung und Herrschaftswillkür unterworfen war. Im Zentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen stehen heute Syrien, Jemen, Libyen und der Irak. Die akuten Kriege begannen alle mit dem Anspruch auf Diktatorensturz und der Verteufelung der jeweils herrschenden politischen Formationen. So entdeckte der Westen regelmäßig, dass an der Spitze der jeweiligen Länder – ob Irak, Libyen oder Syrien – Diktatoren vergleichbar mit Hitler stünden. Nun verdienen ohne Zweifel alle Diktatoren, politisch gestürzt zu werden. Aber nicht organisiert und geplant durch äußere, ebenso wenig demokratische Machtstrukturen. Es geht heute im Nahen und Mittleren Osten nicht um soziale Umwälzungen, so sympathisch sie mir auch sind, sondern darum, das Morden und Töten so rasch als möglich zu beenden. Diesen Gedanken zu verbreiten, ist sowohl Aufgabe der Partei DIE LINKE als auch der Friedensbewegung. Dazu bedarf es politischer Bewegung ebenso wie diplomatischer Verhandlungen, Waffenstillstandsverträge und, wo immer es geht, Pläne zum Wiederaufbau völlig zerstörter Länder. Der IS und Al-Nusra müssen gestoppt, ihre Finanzquellen ausgetrocknet und der Zustrom von Kämpfern verhindert werden. Um diesen UNO-Beschluss, die Geldquellen auszutrocknen und den Zustrom von Kämpfern zu unterbinden, durchzusetzen, muss es Veränderungen in der türkischen, saudi-arabischen und in der Politik von Katar geben. Gerade diese drei Länder sind enge Verbündete Deutschlands und werden aus Deutschland mit Waffen und aufmunternden Worten versehen. Saudi-Arabien ist der stattgewordene IS. Das hindert Deutschland nicht an besten Beziehungen zu diesem Regime. Die Freundschaft unseres Landes zu vielen Diktaturen in der Welt zeigt, wie deutsche Außenpolitik noch immer der Heuchelei verfallen ist. Was einerseits zum Abbruch diplomatischer Beziehungen und zum völkerrechtswidrigen Einsatz von Waffen führt, ist gegenüber anderen Ländern, mit dem Hinweis, dass diese „Stabilitätsanker“ seien, Begründung für gute Wirtschaftsbeziehungen und politische Kooperation. Terrororganisationen können sozial und politisch überwunden werden. Der Kampf gegen den Terror kann erfolgreich sein, ein Krieg gegen den Terror niemals.
Viele Menschen in unserem Land erleben Kriege durch die Bilder in den Medien und durch die Flüchtlinge, die zu uns kommen. Es scheint so, als ob der Krieg sehr weit weg wäre, aber dies stimmt nur sehr eingeschränkt. Einige hundert Kilometer weiter östlich gehen, in der Ukraine, ist der Krieg mit allen seinen Folgen sehr real und alltäglich brutal. Zweieinhalb Millionen Menschen aus der Ukraine sind nach Russland geflüchtet. Gegen eine Flucht aus der Ukraine in den Westen haben Polen und andere Nachbarländer ihre Grenzen geschlossen. Im Krieg in der Ostukraine haben zehntausend Menschen ihr Leben verloren. Das Verhältnis Deutschland – Russland, und noch viel mehr EU – Russland, ist derzeit die zentrale Frage der Friedenspolitik in Europa. Dieser Befund wird von vielen geteilt, aber daraus werden höchst unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, spricht von der „gefährlichsten Krise seit dem Ende des kalten Krieges“, zieht daraus die Schlussfolgerung, die NATO auszubauen. Ganz in diesem Sinne agiert auch Kriegsministerin von der Leyen. Sie fordert, bis zum Jahr 2030 130 Milliarden Euro für die Ausrüstung der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen. CDU/CSU und SPD verantworten den Aufwuchs der Spannungen in Europa. Die NATO soll weiter an der Westgrenze Russlands stationiert werden. Große NATO-Militärmanöver sind geplant und die Bundeswehr erhält eine strategische Neuausrichtung auf ihren möglichen Einsatz im Osten Europas. Es sollen neue Waffentypen, darunter Kampfdrohnen, und große, moderne Panzerverbände, aufgebaut werden. An den Grenzen zwischen West- und Osteuropa wird ein Raketenabwehrsystem stationiert und damit ein System geteilter Sicherheit in Europa geschaffen. Die russischen Gegenaktionen, zum Beispiel die Modernisierung und Neuausrüstung der russischen Armee sowie ihr Einsatz „out of area“ sind dann wiederum Begründungen für weitere neue Aufrüstungsschritte. Die Spirale der Aufrüstung muss durchbrochen werden. Ein wichtiges Zeichen könnte sein, dass die schwarz-rote Bundesregierung auf dem Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen besteht und nicht stillschweigend deren Modernisierung hinnimmt. Dafür gibt es leider keinerlei Anhaltspunkte. Selbst eine Bundesregierung mit einem FDP-Außenminister war in dieser Frage entschieden couragierter.
Die Bundesregierung, CDU/CSU, SPD und Grüne, bauen auf die NATO. Die LINKE muss entschieden Kurs halten, die NATO aufzulösen, ein gesamteuropäisches, ziviles Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands zu befördern und sich als ersten Schritt aus den militärischen Strukturen der NATO zurückziehen. Zum Profil linker Friedenspolitik soll es gehören, die Auflösung der NATO- bzw. US-Stützpunkte in Deutschland anzusteuern, sich an keinen NATO-Militäraktionen zu beteiligen und dem Ziel der NATO, jeweils 2 % des BIP für Rüstung auszugeben, Widerstand entgegenzusetzen. Das wichtigste „Argument“ gegen eine solche Friedenstrategie, sowohl von der SPD als auch von den Grünen vorgetragen, aber auch aus unserer eigenen Partei, lautet: mit einer solchen Politik ist die LINKE nicht regierungsfähig. Man erwartet also von der LINKEN, so zu werden, wie es die Sozialdemokraten nach ihrem Einschwenken auf die Westbindung und die Grünen nach ihrer NATO-Politik zum Kosovo-Konflikt wurden. Das ist eine Null-Summen-Strategie. Für die LINKE bedeutete diese Strategie ihren Selbstmord und für die Wählerinnen und Wähler den weiteren Verlust einer erkennbaren Alternative.
Eine Strategie einer sozialistischen Partei soll Zusammenarbeit einschließen und die Stärkung der Friedensbewegung auch als Bindeglied zwischen Mitgliedern und Aktiven verschiedener Parteien vorantreiben. Wenn es stimmt, dass Kriege nicht nur drohen, sondern wir in Zeiten von Krieg leben, müssen vor dem Hintergrund von Kriegen viele Meinungsverschiedenheiten zurückstehen. Die verqueren Debatten über Querfronten haben nicht nur die Friedensbewegung geschwächt, sondern auch linker Politik Massenwirksamkeit geraubt. Für die Partei DIE LINKE sollte es heißen, dass der Grundsatz „Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen“ auch die Teilhabe an Kriegen, die von internationalen Koalitionen und Allianzen wie zum Beispiel der EU und der NATO geführt werden, ausgeschlossen ist. DIE LINKE will eine andere Russlandpolitik, eine Politik der gemeinsamen Sicherheit. Auch deshalb können wir auf die NATO verzichten. Die Bundesregierung will eine Militarisierung der Europäischen Union, statt nationaler Rüstung eine europäische Rüstungsagentur und mittelfristig die Ersetzung der Bundeswehr durch eine EU-Armee. Mit einer Armee der Europäischen Union ist aber kein politischer Fortschritt erreicht, sondern werden Kriegsszenarien, nicht Friedensszenarien weiter internationalisiert. Eine EU-Armee ist keine Alternative zur NATO. Auch in der Partei DIE LINKE gibt es Debatten, die Überwindung von nationalen Armeen zu Gunsten einer EU-Armee positiv zu beurteilen. Ich halte dies für falsch. Die Alternative zur jetzigen Armee ist nicht eine besser ausgebildete und aufgestellte Armee, sondern die Abschaffung von Armeen. Entspannungspolitik in Europa ist mehrheitsfähig und mit einer neuen Ostpolitik, die an Erfahrung und Tradition der Brandt-Regierung anknüpft, können Wahlen gewonnen werden. Der stellvertretende Chefredakteur des Stern hat dies der SPD in einem Leitartikel vorgeschlagen und geraten, 2017 zu den Bundestagswahlen das Konzept einer neuen Ostpolitik ins Zentrum zu stellen. Ich glaube, dass er Recht hat. Allerdings mit einer Einschränkung: Ich möchte, dass die LINKE diese Idee zu ihrer eigenen macht und wir diese zusammen mit allen anderen gesellschaftlichen Kräften, die an der Idee der europäischen Sicherheit festhalten, befördern. „Macht uns die Russen nicht zu Feinden“, ist für mich eine übergreifende Losung für die nächsten Jahre Friedenspolitik.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich will abschließend auch die moralische Seite einer anderen Ostpolitik ansprechen. Wir haben zur Begründung unserer Friedenspolitik im Nahen Osten und in unserem Verhältnis zu Israel immer in Rechnung gestellt, dass Deutschland die Schuld an der Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden trägt und dies ein besonderes Verhältnis begründet. Ebenso begründet die deutsche Schuld an der Tötung und Ermordung von 27 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion, darunter viele Millionen Russinnen und Russen, ein besonderes Verhältnis zu Russland. Das Minimum einer Einsicht in dieses historische Verhältnis wäre, sich konsequent in jeder politischen Situation am Schwur von Buchenwald zu orientieren: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ und in diesem Sinne von der Bundesregierung zu fordern: „Macht uns die Russen nicht zu Feinden!“ Noch nie seit der deutschen Vereinigung war das Verhältnis Deutschland – Russland so schlecht, wie es heute ist. Das darf nicht so bleiben und auch deshalb brauchen wir grundlegend eine andere Russlandpolitik. Am 22. Juni, also in wenigen Wochen, jährt sich zum 75. Mal das Datum des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion. Lasst uns dieses Datum zum Anlass nehmen, parlamentarisch wie außerparlamentarisch, für eine andere Ostpolitik und damit für eine europäische Entspannungspolitik zu werben. „Macht uns die Russen nicht zu Feinden!“ – dieser Appell an die Bundesregierung kann in unserem Land millionenfach Unterstützung finden und das friedenspolitische Profil der LINKEN prägen.