Wahlprüfsteine der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

03.09.2009
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Die außenpolitischen Redaktion der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND hat einen Fragebogen geschickt, auf den Wolfgang Gehrcke geantwortet hat.


1)Wie viele Neuzugänge verträgt die EU noch?
Die EU sollte den Schwerpunkt auf die Integration der in den vergangenen Jahren neu aufgenommenen Länder legen. Das Ziel muss sein, dass sie mit Hilfe der Gemeinschaft eine mit den Altmitgliedern vergleichbare Lohn- und Sozialstruktur erreichen. Gleichwohl muss allen anderen Ländern, inklusive der Türkei, die einen Eintritt in die EU anstreben, eine realistische Aufnahmeperspektive aufgezeigt werden.

2)Soll der Westen dem Iran den Benzinhahn zudrehen, wenn das Land die Urananreicherung nicht aussetzt?
Wirtschaftssanktionen treffen die Ärmsten innerhalb der iranischen Gesellschaft. Dies hat eher den Effekt einer Solidarisierung der Iraner mit dem Präsidenten zur Folge. Verhandlungen sind der bessere Weg.

3)Wie viel Druck braucht Israel, damit der Nahost-Friedensprozess vorankommt?
In einem offenen friedlichen Nahen Osten hat Israel eine große Chance, sich wirtschaftlich und sozial weiterzuentwickeln. Solange Israel den Frieden ausschlägt, wird es der EU nicht näher kommen können. Sollte Israel der Aufforderung nach einem Stopp des Siedlungsbaus innerhalb der besetzten Gebiete nicht nachkommen, dann braucht es politischen Druck. An erster Stelle steht hier die Frage eines Rüstungsexportstopps nach Israel. Aber auch Waren-Exporte sowie Finanzaktivitäten der Siedler aus den besetzten Gebieten sollten sanktioniert werden.

4)Brauchen wir Beschränkungen für ausländische Investoren?
Wir brauchen keine Beschränkung ausländischer Investoren, sofern diese zur Entwicklung neuer Arbeitsplätze beitragen. Die Bewegung spekulativen Kapitals, die zu Firmenübernahmen führt mit dem Zweck, diese Firmen auszuschlachten und anschließend zu schließen, sollte gesetzlich ebenso verhindert werden wie die finanzielle Ausblutung durch Abzug von Investitionsmitteln, wie dies im Falle der Opelwerke geschehen ist.

5)Wollen Sie Georgien und die Ukraine in die Nato aufnehmen?
Georgien und die Ukraine sind Risikostaaten. Russland sieht die Aufnahme dieser Länder als Teil einer Strategie des Westens, Russland militärisch einzukreisen. Statt einer weiteren Vergrößerung der NATO benötigen wir eine Intensivierung des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Dadurch würde die NATO überflüssig.

6)Brauchen wir ein eigenes Entwicklungshilfeministerium und soll Deutschland trotz wachsender Staatsverschuldung die 0,7-Prozent-Marke an Entwicklungshilfe erfüllen?
Die Umsetzung der 0,7-Prozent-Marke an Entwicklungshilfe, die seit Jahren immer wieder gefordert wird, ist nicht nur ein Akt der Solidarität mit schwächeren Ländern des Südens, sondern hat auch wirtschaftliche Vorteile. Die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder birgt auch Chancen für die deutsche Wirtschaft. Ein eigenständiges Entwicklungsministerium hat sich bewährt.
7)Muss das deutsche Afghanistan-Kontingent aufgestockt werden, (wenn die USA die Bundesregierung im Herbst darum bitten)?
Das Afghanistan-Kontingent darf nicht aufgestockt werden, ganz im Gegenteil. Die Bundeswehr muss sofort aus Afghanistan abgezogen werden. Der Krieg in Afghanistan ist nicht zu gewinnen. Die Afghanen müssen in die Lage versetzt werden, ihre Probleme selbst zu regeln. Dazu gehören Friedens- und Versöhnungsgespräche und die Einberufung einer breiten, alle politische Kräfte und Ethnien Afghanistans einbeziehende loya yirga des Afghanischen Volkes, die den Beginn einer neuen demokratischen friedlichen Ära einleiten soll.
8)Soll das Waffenembargo gegen China aufgehoben werden?
Von Deutschland sollten grundsätzlich keine Rüstungsexporte ausgehen, die in diesem Bereich tätigen Firmen müssen durch Konversions-Programme auf zivile Produkte umgestellt werden. Es ist inakzeptabel, dass Deutschland bei den Rüstungsexporten weltweit auf Platz drei liegt.