Die Internationale erkämpft das Menschenrecht

18.07.2011
Printer Friendly, PDF & Email

Um sinnvoll über einen neuen Internationalismus diskutieren und nachdenken zu können, brauchen wir eine zutreffende Analyse des heutigen Kapitalismus. Wir haben Marx verkürzt, als wir irrtümlich meinten, dass der Kapitalismus bereits weltweit in sein absterbendes Stadium übergegangen sei. Tatsächlich erfasst der Kapitalismus immer noch weitere Regionen der Erde und Sphären des Lebens. Kennzeichnend für den modernen Kapitalismus ist seine räumliche und zeitliche Entgrenzung, seine Fähigkeit, alle Beziehungen in Warenbeziehungen umzuwandeln und der immer raschere Umschlag von Produktivkräften in Destruktivkräfte.

 

Wolfgang Gehrcke auf der EL-Sommeruniversität in Trevi, 14. Juli 2011

Um sinnvoll über einen neuen Internationalismus diskutieren und nachdenken zu können, brauchen wir eine zutreffende Analyse des heutigen Kapitalismus. Wir haben Marx verkürzt, als wir irrtümlich meinten, dass der Kapitalismus bereits weltweit in sein absterbendes Stadium übergegangen sei. Tatsächlich erfasst der Kapitalismus immer noch weitere Regionen der Erde und Sphären des Lebens. Kennzeichnend für den modernen Kapitalismus ist seine räumliche und zeitliche Entgrenzung, seine Fähigkeit, alle Beziehungen in Warenbeziehungen umzuwandeln und der immer raschere Umschlag von Produktivkräften in Destruktivkräfte. Dazu einige Beobachtungen:

Die heutige Art zu produzieren ist örtlich nicht mehr ausschließlich an feste Produktionsstätten gebunden. Die Verteilung, der Handel mit Scheinwerten eingeschlossen, hat eine relative Selbständigkeit gegenüber der Warenproduktion. Weltweit stehen Arbeitskräfte ohne zeitliche Begrenzung zur Verfügung. Es wir gehandelt, besser: der kapitalistischen Verwertung unterworfen, mit allen Dingen des Lebens: Nahrungsmitteln, menschlichen und pflanzlichen Genen, mit der Mutterschaft, mit kulturellen und Reichtümern der Natur etc. Der Widerspruch zwischen begrenzten Naturressourcen und unbegrenztem Profitstreben führt zu militärischer Absicherung, immer mehr Länder, siehe z.B. Afghanistan, werden in den Strudel von Gewalt gerissen. Auf kapitalistischer Grundlage bildet sich eine neue Kräftebalance – besser: bilden sich neue Ungleichgewichte – heraus, die Welt geht von einer bipolaren über eine unipolare Herrschaft in ein noch unklares Geflecht aufsteigender und absteigender Mächte über.

Die Grenzen zwischen Produktiv- und Destruktivkräften sind fließend geworden. Der Kapitalismus produziert nicht mehr nur seine eigenen Totengräber in Form des Proletariats, sondern seinen eigenen Untergang und unseren gleich mit; es sei denn, die Menschheit verändert die Entwicklungsrichtung.

Die andere Entwicklungsrichtung

Anders produzieren, anders konsumieren, anders verteilen – dieser Dreiklang signalisiert eine Entwicklungsrichtung hin zu einer sozial-ökologischen Produktion der Nützlichkeit. Eine andere Verteilung bedingt einen weltweiten Eingriff in die Eigentumsverhältnisse. Eine andere Weise der Produktion und des Konsums, beruhend auf regionalen Kreisläufen, bringt neue Formen der Demokratie mit sich. Dieser Prozess befördert Zeitsouveränität und kann zu einem neuen Verhältnis zwischen den Geschlechtern führen. Am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus stand ein neuer Typ des Produzenten, des doppelt freien Lohnarbeiters, frei von Leibeigenschaft und frei von Eigentum an Produktionsmitteln. Die Überwindung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse werden wiederum neue Typen von Produzierende hervorbringen, die wirklich frei werden. Dann kann sich die Vision von Marx einlösen, dass das Proletariat nicht nur sich selbst, sondern alle Klassen und Schichten befreit. Allein: Nicht Willkür, sondern das Gesetz, nicht Gewalt, sondern das Recht, nicht Gängelung, sondern die Würde des Menschen sind die Pfeiler, die einer einstürzenden Welt Halt geben. Herrschaft des Rechts impliziert klare Regeln, auch Regulierung, darunter nicht zuletzt Kontrolle der Märkte und die Herauslösung wirtschaftlich und sozial bestimmender Bereiche wie Banken, Verkehr, Energie, Gesundheit, Pflege, Bildung, Kultur aus der Profitlogik.

Für dieses Ziel ist der nationalstaatliche Rahmen zu eng und stabil können Eigentumsverhältnisse nur international verändert werden.

Was tun?

Als Erstes muss in linken Parteien wieder ein Internationalismus, ein Denken in internationalen Dimensionen wachsen. Mit der Neuauflage einer soundsovielten Internationale wäre es nicht getan, zumal dazu wenig Bereitschaft besteht. Die Kommunistische Internationale hat Stalin aufgelöst, als sie ihm nichts mehr nützte und die bestehende sozialdemokratische Internationale fördert eher Konterrevolution als solidarische Bewegung.

Ein Schritt zu einer internationalen Zusammenarbeit wäre eine engere Kooperation von Stiftungen, wenn sie sich aus den engen Staatsbezügen lösen könnten. Auch die EL selbst kann Impulse geben zu grenzübergreifender Aktion, wenn sie entsprechendes strategisches Denken und praktisches Handeln beginnt, womit sie sich noch schwer tut. Zumindest in Europa müssten wir in der Lage sein, gegen das Diktat der Banken und gegen die zunehmende Stärke rechter Parteien parlamentarisch wie außerparlamentarisch gemeinsam zu handeln. Die Sozialforen sind schon heute Orte des Austauschs unter Einschluss linker Parteien. Und Ansätze zu einem linken „Club of Rome“, einer programmatischen Denkwerkstatt, gibt es in Lateinamerika beim Sao Paolo Forum, in Europa bemerken wir, dass uns so etwas fehlt.

Die bisherigen Umbrüche in Nordafrika, in den arabischen Ländern stellen uns vor viele neue Fragen und der Ausgang dieser Bewegungen ist offen. Aber in allen Teilen der Welt sind Partnerinnen und Partner für einen neuen Internationalismus vorhanden. Die Zeit drängt in diese Richtung. Schließlich ist es die Internationale, die das Menschenrecht erkämpft.