"Meinetwegen kann er da auch sitzen bleiben"

31.08.2011
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junge Welt

Außenminister Westerwelle auf der Armesünderbank, er hat sich in seiner Politik verheddert. Ein Gespräch mit Wolfgang Gehrcke
*Wolfgang Gehrcke ist ­Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion
Das Gespräch führte: Peter Wolter
Quelle: http://www.jungewelt.de/2011/08-31/053.php


Alle Welt fordert zur Zeit den Rücktritt von Außenminister Guido Westerwelle. Obwohl dieser FDP-Politiker für Linke bislang eher eine Art Haßfigur war, scheint Ihre Partei ihn zu verteidigen.Wie das?
Den Begriff »Haßfigur« lehne ich für mich ab, zu Haß bin ich nicht fähig. Westerwelle hat ein Grundtabu verletzt: Er hat den aus Schillers »Wilhem Tell« bekannten Geßlerhut – das wäre in diesem Fall die NATO – nicht ehrfürchtig genug gegrüßt. Solche Fehler verzeiht das Kapital nicht.
Es gibt viele Gründe, seinen Rücktritt zu verlangen; es hat aber noch mehr Gründe gegeben, den Rücktritt seiner Vorgänger Joseph Fischer (Grüne) oder Frank Walter Steinmeier (SPD) zu fordern. Ich finde, es ist schon eine Tragik der Geschichte, daß Westerwelle jetzt ausgerechnet vorgehalten wird, daß er es an Ehrfurcht vor der NATO habe mangeln lassen. Deshalb habe ich mich in diesen Chor nicht eingereiht. Von seiner Politik halte ich natürlich nichts.

Die Entscheidung, daß die BRD sich militärisch nicht am Libyen-Krieg beteiligt, wurde vom gesamten Kabinett getroffen. Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (beide CDU) haben sie sogar öffentlich verteidigt. Wieso ist ausschließlich Westerwelle jetzt der Buhmann?
Der Außenminister ist schon ein Unglückswurm, das muß man mal feststellen. Sein Problem ist, daß er nie eine politische Linie geradlinig durchgesetzt oder vertreten hat. Der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat hätte eine klare Antikriegspolitik folgen müssen – das hat er natürlich nicht gemacht.Westerwelle hat aber sicher mit seiner Aussage recht, daß Deutschland dazu beigetragen hat, den Krieg in Libyen anzuheizen.
Angesichts der Kritik an ihm sind etliche Politiker jetzt besonders bemüht, sich bei der NATO anzubiedern. De Maizière bietet schon die Bundeswehr für die Nachkriegszeit in Libyen an, Frau Merkel ist wie immer abgetaucht. Und der arme Westerwelle hat sich in seiner eigenen Politik verheddert; er sitzt jetzt auf der Armesünderbank. Da kann er meinetwegen aber auch sitzen bleiben.

Wer sind Ihrer Ansicht nach die Hauptakteure dieses Kesseltreibens gegen Westerwelle? Wer will ihn jetzt plötzlich weg haben und warum?
Das sind vor allem die Grünen, sie sind ja ohnehin am aktivsten für einen Militäreinsatz eingetreten. In fast jeder Debatte haben es Grünen-Politiker bedauert, daß sich keine deutschen Soldaten an dem Militäreinsatz gegen Libyen beteiligen. Das gilt übrigens auch für Teile der SPD. Widerstand gegen ihn kommt auch vom Kapital – dem ist Westerwelles Politik nicht ganz berechenbar.

Die Linkspartei kritisiert immer wieder, beim Libyen-Krieg sei das Mandat des UN-Sicherheitsrates verletzt worden. Worin bestehen diese Verletzungen?
Die erste und wichtigste Verletzung ist, daß das Mandat selbst bereits ein gravierender Fehler war. Das erklären jetzt übrigens auch Länder, die sich an der Abstimmung beteiligt haben: Rußland, China und Südafrika. Der Sicherheitsrat hat sich mit dieser Entscheidung selbst demontiert, weil er sich nicht an seine Charta gehalten hat.
Dazu kommt, daß der Inhalt des Mandats nicht eingehalten wurde: Die NATO ist entgegen seinen Festlegungen im libyischen Konflikt Bürgerkriegspartei. Das geben ja auch all diejenigen zu, die jetzt stolz darauf verweisen, daß die NATO den Sieg der Rebellen in Libyen herbeigebombt hat. Sieger sind immer dreist in ihren Argumenten.

De Maizière hat in Aussicht gestellt, deutsche Soldaten nach Libyen zu schicken, als »Aufbauhilfe«. Ich vermute mal, daß die Linkspartei das ablehnt …
Ja, natürlich, das ist nicht nur rechtswidrig, sondern auch politisch falsch. Es zerstört zudem das, was man hierzulande als »arabischen Frühling« wahrnimmt. Das, was zur Zeit in Libyen abläuft, ist das Gegenprogramm zu der demokratischen Bewegung in Ägypten.
Ich bin überhaupt dagegen, uns in anderen Ländern einzumischen. Warum müssen Europäer, Deutsche oder wer auch immer, in aller Welt für Ordnung sorgen? Das können die Libyer ganz gut für sich selbst, das können die Syrer ebensogut wie die Ägypter.