Persönliche Erklärung zu meiner Streitsache

25.01.2012
Printer Friendly, PDF & Email

Persönliche Erklärung zu meiner Streitsache 20 K 2410/07 / Einsicht in meine Verfassungsschutzakten

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich klage auf Einsicht in die mich betreffenden Akten des Verfassungsschutzes. Offensichtlich werde ich seit 1961 – damals war ich 18 Jahre alt - wegen meiner politischen Tätigkeit und meiner politischen Auffassungen durch den Verfassungsschutz beobachtet. Das heißt, seit 50 Jahren sammelt das Amt Unterlagen und holt Erkundigungen ein. Aus der Stellungnahme des Bundesinnenministeriums geht hervor, dass dies auch mit geheimdienstlichen Mitteln geschieht. Es tut das weiterhin, obwohl ich seit 10 Jahren mit einem nicht unbedeutenden Wählervotum im Bundestag sitze. Es ist mir daher ein Bedürfnis, an dieser Stelle auszudrücken, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch eine Missachtung der Wählerinnen und Wähler ist (und das ist ja nicht weniger als der Souverän).

Meine Akte umfasst mehr als 5000 Seiten, von denen über 600 Seiten nicht vorgelegt oder ausgetauscht wurden und über 700 Seiten mit umfangreichen Schwärzungen versehen sind. Allein die beiden Sperrvermerke des Bundesinnenministeriums dazu, was ich warum nicht sehen darf, umfassen zusammen 571 Seiten. Gesammelt wurden Bundestagsreden, Zeitungsartikel, Presseerklärungen, Stellungnahmen, Berichte. Festgehalten wurden Redebeiträge bei Podiumsveranstaltungen, Konferenzen, Parteitagen der PDS, Treffen der Friedensbewegung. Sogar meine Teilnahme an Demonstrationen, also die Wahrnehmung einfacher demokratischer Rechte ist erfasst. Indirekt gibt das Bundesinnenministerium zu, dass nicht nur offen zugängliche Quellen ausgewertet, sondern auch geheimdienstliche Methoden angewendet wurden und werden.

Die Schwärzungen betreffen auch den sog. Informantenschutz, der zusätzlich damit begründet wird, dass die Informanten vor möglichen Repressalien zu schützen seien; als ob ich die Absicht hätte, jemanden zu schädigen. „Zudem“, so das Bundesinnenministerium, „würden nachrichtendienstliche Zugänge … gefährdet… und die Gewinnung weiterer Quellen würde möglicherweise erschwert.“ Zugleich wird das Argument des „Quellenschutzes“ benutzt, um die Unterlagen unleserlich zu machen und mir weite Teile vorzuenthalten.

Ein Teil meines Lebens ist unter Aktendeckeln gespeichert und ich halte es für mein Recht, in diese Akten einsehen zu können – in ungeschwärzter Form und vollständig. Ich erwarte Offenlegung aus folgenden Gründen:

1. Ich kann nicht kontrollieren und niemand wird kontrollieren, ob das, was ausgeforscht wurde, richtig wiedergegeben wurde, noch ob Falsches, Erlogenes und Diffamierendes darunter ist. Nur als kleine Randbemerkung: Schon auf dem Deckblatt meiner Verfassungsschutzakten ist von vier nicht geschwärzten Angaben - Vorname, Nachname, Geburtsort und Geburtstag - eine Angabe falsch. Als Linker in einem Land, in dem Linke in der Geschichte seit Bismark immer wieder verfolgt wurden, ist mir das nicht gleichgültig.

2. Bei den Sperrvermerken wird argumentiert, u.a. gehe es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter: „…sind mitunter Personen genannt, zu denen das BfV … Nachrichten sammeln könnte. (Damit) wäre ein Interesse des Verfassungsschutzes an diesen Personen ersichtlich“. Es geht dem Verfassungsschutz darum, dass verborgen bleibt, welche anderen Personen in seinem Visier sind. Er verletzt die Persönlichkeitsrechte aller, die er beobachtet, sagt aber mir gegenüber, er müsse sie schützen und verletzt dadurch mein Persönlichkeitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

3. Jeder Mensch, der mit mir redet, mich trifft, anschreibt oder anruft, sich mit einem Anliegen an mich wendet, mich lobt oder kritisiert, läuft Gefahr, selber ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Da ich Abgeordneter bin, müssen alle Bürgerinnen und Bürger aber sicher sein, dass sie nicht in die Mühlen des Verfassungsschutzes geraten, wenn sie mit mir Kontakt haben, dass ihnen daraus keine Nachteile erwachsen, dass sie Vertrauensschutz genießen. Es wäre unerträglich, wenn Menschen nicht wagten, sich an einen Abgeordneten ihres Vertrauens zu wenden. Wenn ich unsicher bin, ob ein Treffen mit mir anderen Menschen möglicherweise schadet, gefährdet dies meine Unabhängigkeit als Abgeordneter, die nach dem Grundgesetz garantiert ist.

4. Aus dem Bescheid des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 29.11.2006 ist zu entnehmen, dass meine Teilnahme an Veranstaltungen zum Beispiel der Friedensbewegung Grund von Beobachtung war. Ist die Friedensbewegung nun Objekt der Beobachtung oder wird sie zum Objekt der Beobachtung, wenn ich an ihren Treffen teilnehme? Sind davon auch weitere Kontakte betroffen und wie? Muss das nicht als massive Behinderung meiner Arbeit als Abgeordneter einerseits und des Rechts der Anderen auf politische Betätigung in Bewegungen gesehen werden?

5. Ich bin außenpolitischer Sprecher der Linken und deren Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Ich bin häufig im Ausland, habe dort viele Kontakte und führe Gespräche, auch mit Oppositionellen und mit Menschen, die in ihren Ländern verfolgt oder gefährdet sind. Ich möchte beispielsweise nicht, das was ein Abgeordneter mir im Vertrauen über seine Regierung sagt, in dem Bericht des Verfassungsschutzes wiederfinden. Aber ich habe darüber keine Kontrolle. Das ist skandalös und auch das behindert meine Arbeit.

Ohne umfassende Akteneinsicht wird mir die Möglichkeit genommen, gegen Missbrauch und Überschreitungen im Einzelfall vorgehen zu können.

Ich erhoffe mir von Ihnen ein Urteil, das mir die Rückgewinnung meiner Vergangenheit und meiner informationellen Selbstbestimmung ermöglicht.

Wolfgang Gehrcke

> Fromme Lügen