Ça ira Nr. 93: Aufklärung und Entspannung Gebot der Stunde (6.3.2015)

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# Ich lese die Reflexionen zur Aktuellen Stunde des Bundestages über Russland. „Positive Resonanz auf Gehrcke-Rede“, steht im LINKEN Pressespiegel. Das freut mich natürlich. Bei n-tv war zu lesen, dass meine Vorschläge für Annäherung an Russland und Abschaffung der Visa-Pflicht für russische Staatsbürger von allen aufgegriffen wurden. Noch wichtiger aber ist mir die Nachricht, dass auf dem Spendenkonto für die Kinder von Donezk mittlerweile über 100.000 Euro eingegangen sind. Ich bin überglücklich – so viele Menschen, die helfen wollen und sich von der antirussischen Hysterie nicht verrückt machen lassen. In Deutschland ist eine eigenartige Stimmung entstanden: einerseits wird so massiv wie selten gegen Russland gehetzt, gegen den russischen Präsidenten, der zum weltweiten Obergangster gestempelt wird, und auf der anderen Seite prallt all das bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ab. Meine Losung „Macht uns die Russen nicht zu Feinden“ wird offensichtlich von der Mehrheit der Bevölkerung ebenso gesehen.

# Ich denke zurück, Sitzung des Auswärtigen Ausschusses: Andrej Hunko und ich sitzen nebeneinander und ich berichtet im Beisein des Außenminister über unsere Reise nach Russland und in den Donbass. Die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss nimmt das sachlich zur Kenntnis. Zwei CDU-Kollegen giften. Ex-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Christoph Bergner hält unsere Reise für undiplomatisch, der Abgeordnete Karl-Georg Wellmann ruft mir zu, meine Politik wäre verantwortungslos und völlig heruntergekommen. Ehe ich antworten kann, schau ich in die Runde: die meisten Mitglieder des Ausschusses verdrehen die Augen und winken ab, lass es …

# Am 4. März geht die Meldung durch die Presse, dass der Ex-Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück und eben jener Karl-Georg Wellmann (CDU) in Wien mit anderen europäischen Abgeordneten eine Agentur zur Modernisierung der Ukraine gebildet haben. Finanziert wird diese von drei ukrainischen Oligarchen: Rinat Achmetow, der um große Teile seines „Besitzes“ in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten fürchtet, der Milliardär Wiktor Pintschuk, sowie Dmytro Firtasch, der in Wien festsitzt, weil es ein us-amerikanisches Auslieferungsersuchen wegen versuchter Bestechung gegen ihn gibt. (mehr dazu hier ...) Diese drei bezahlen Steinbrück und Wellmann, die im Verein mit anderen pensionierten Politikern einen Plan ausarbeiten wollen, wie die Ukraine „zu retten“ ist. Natürlich unter dem Diktat des IWF und also weiter voran auf dem Weg sozialer Zerstörung. Wie war das noch gleich? Politik, die verantwortungslos und völlig heruntergekommen ist?

 

Transport unterwegs

# Wichtiger für uns ist, für die zahlreichen Spenden Medikamente zu kaufen und die Hilfe in den Donbass zu bringen. Das muss schnell passieren, jeder Tag zählt. Es war schon toll, dass nach unserem Besuch ein Hilfskonvoi der Vereinten Nationen in Donezk angekommen ist und die Bundesregierung mitgeteilt hat, dass sie 5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in der Ostukraine zur Verfügung stellen wird. Wir sind nicht so vermessen, zu behaupten, dass unsere Aktion das ausgelöst hat, aber ein wenig mitgeholfen haben die Spenderinnen und Spender schon. Wir sind mit dem Internationalen Roten Kreuz in der Ostukraine in Kontakt und haben unsere Vorschläge übermittelt. Die „Ärzte ohne Grenzen“ sind mit zwei Ärzten in Gorlowka aktiv. Sie bestätigen, dass noch immer Medikamente, besonders auch Insulin, Antibiotika und Infusionslösung dringend benötigt werden, außerdem Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial. Wir werden auch mit „Ärzte ohne Grenzen“ nach Möglichkeiten effektiver Zusammenarbeit suchen. Ebenfalls wollen wir mit der Hilfsinitiative von „Dr. Lisa“ in Moskau zusammenarbeiten, die schwerkranken oder verletzten Kindern aus der Ostukraine hilft und deren Behandlung in Moskauer Krankenhäusern organisiert. Auch mit dem Hilfsfonds Donbass haben wir uns erneut in Verbindung gesetzt, der uns bei der ersten Tour sehr tatkräftig unterstützt hatte. Unsere Hilfeleistung soll so effektiv wie möglich erfolgen, deshalb bemühen wir uns um Verbindung mit den vor Ort tätigen Organisationen. Wir berufen uns dabei auch auf Punkt 7 des Maßnahmeplans zur Umsetzung der Minsker Vereinbarung, die Sicherung humanitärer Hilfsleistungen in den betroffenen Gebieten.

Darüber wollen Andrej Hunko und ich auch mit dem ukrainischen Botschafter sprechen. Uns ist das Gerücht zugetragen worden, dass wir in der Ukraine zu unerwünschten Personen erklärt worden sind. Das werden wir klären. Unsere Bitte an die ukrainische Regierung bleibt bestehen, uns freies Geleit für einen Hilfstransport in die Ostukraine zu gewähren.

Sofort nach Rückkehr aus dem Donbass haben wir eine Pressekonferenz gegeben, die ersten Reaktionen waren durchweg positiv. Erst nach zwei Tagen wurde über das Foto mit Herrn Sachartschenko der Ton verschärft und plötzlich waren wir nicht mehr die Helfer, sondern ‚Abenteurer‘ und ‚Unterstützer von Terroristen‘. Andrej Hunko und ich hatten immer wieder klar gemacht: Es war nicht unser Ziel, mit dem Chef der Aufständischen zu sprechen. Es war auch von der Donezker Seite nicht zur Bedingung gemacht worden, den Anführer der Aufständischen zu treffen. Aber wir hatten uns entschieden, wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte, ihr auch nicht auszuweichen. (hier unser Bericht über eine "skandalöse" Reise) Wie soll man Hilfsgüter in eine Region bringen, ohne mit den „Machthabern“ in der Region auch im Gespräch zu sein? Darüber hinaus: Schritte zur Lösung der Krise in der Ukraine müssen weiter auch mit und zwischen den direkten Konfliktparteien verhandelt werden. Nicht anders ist die Mitteilung zu verstehen, dass jetzt die hohe Repräsentantin der EU für Außenpolitik, Frau Mogherini, mit Herrn Sachartschenko reden will. Das ist als ein vernünftiger Schritt nur zu begrüßen. 

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Aufklärung und Entspannung Gebot der Stunde

Auszüge aus der Rede vom Wolfgang Gehrcke im Deutschen Bundestag am 04. März 2015 zum Mord an Nemzow in Russland

"Ich glaube, dass es gestattet sein muss, zu Beginn dieser Debatte ein Wort über die eigenen Gefühle zu sagen. Die Nachricht vom Mord an Boris Nemzow - ich denke, dass man den Begriff „Mord“ benutzen muss und nicht nur von „Tod“ reden darf - hat bei mir Entsetzen, Nachdenklichkeit, den Versuch, etwas innezuhalten, Fassungslosigkeit und Trauer ausgelöst. Ich denke, es war richtig, dass sich der Bundestag entschlossen hat, heute eine Aktuelle Stunde dazu durchzuführen, damit wir darüber reden. (...)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien - noch nicht einmal dann, wenn sie in meiner eigenen Umgebung verbreitet werden -,weil sie meistens überhaupt nichts erklären.Ich finde auch alle Verschwörungstheorien rund um diesen Mord unnütz. Ich bin der Auffassung, dass es, wenn man die Ansprüche stellt, die Sie gestellt haben, nicht klug ist, ein Klima zu bereiten, in dem von Anfang an feststeht, dass am Ende Putin schuld ist, nur er und kein anderer. (...)

Ich möchte Aufklärung und aufklärerisches Wirken. Aufklärerisches Wirken muss nach vorne gerichtet sein. Ich will Ihnen einige Punkte nennen, die für mich unverzichtbar sind. Angesichts der aktuellen Situation möchte ich betonen: Man muss zur Entspannung zurückkehren, auch wenn das heute fast unmöglich erscheint. Man braucht innenpolitische Entspannung in Russland, und man braucht politische Entspannung in Europa. Das wäre ein vernünftiger Weg. Wir sollten darauf hinwirken, dass alle Vereinbarungen von Minsk umgesetzt werden.

Im Krieg um die Ukraine und in der Ostukraine darf es nicht wieder zu offener Gewalt kommen, weil Gewalt immer auch staatliche Gewalt in den entsprechenden Ländern zeitigt, und das war die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Mord an Boris Nemzow in Russland passieren konnte. Entspannung ist heute denkbar, und die Ergebnisse von Minsk könnten ein Weg zur Entspannung sein.

Hier zur vollständigen Rede von Wolfgang Gehrcke

 

Krieg um die Köpfe

Deutschland rüstet nicht nur im Äußeren auf – auch im Inneren vollzieht sich eine Entwicklung gen Militarisierung des Zivilen, des Denkens, Handelns und der Bildung etwa – eine ideologische Mobilmachung also, die auf die Erhöhung der Kriegsbereitschaft der Deutschen zielt. Auf dem Kongress mit dem Titel „Krieg um die Köpfe: Der Diskurs der ‚Verantwortungsübernahme‘“, der vom 5. bis 8. März in Berlin stattfindet, wollen Psychologinnen und Psychologen diese Einstimmung der Bevölkerung auf die scheinbare Notwendigkeit und Unausweichlichkeit der Beteiligung an Kriegen analysieren und kritisieren.

Zeit: 5.-8. März 2015

Ort: Seminarzentrum der FU Berlin (Otto-von-Simson-Str. 26, 14195 Berlin-Dahlem)

Hier das ganze Programm

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Netanjahu gefährdet Frieden und Existenz Israels

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete am vergangenen Dienstag in seiner Rede vor dem US-Kongress den Iran als größte Gefahr für die Existenz Israels. Selbstverständlich soll der Iran keine Atomwaffen produzieren; auch die Linke ist gegen die atomare Bewaffnung des Iran. Aber die größte Gefahr für Israels Existenz ist derzeit nicht der Iran, sondern Netanjahu selbst. In der linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz hieß es als Reaktion auf seine Rede, dass Netanjahu und alle Kandidaten der bevorstehenden israelischen Wahl mit Ausnahme der linken Parteien die wahre existenzielle Bedrohung für Israel seien und seine Fähigkeit ignorieren „als demokratischer jüdischer Staat zu überleben: die andauernde Besetzung der palästinensischen Gebiete, Israels Beharren auf Herrschaft über Millionen entrechteter Palästinenser in der Westbank, der Ausbau der Siedlungen und der Belagerungszustand über den Gazastreifen ist die reale Gefahr, die Israels Zukunft bedroht“ ...

Hier zum gesamten Beitrag

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Am Rande:

Krieg der Worte

Der Außenminister spricht von Abrüstung und legt einen Jahresabrüstungsbericht vor. Tatsächlich wird aufgerüstet. Steinmeier gibt sich das Gesicht der Abrüstung, von der Leyen das Gesicht der Aufrüstung. Die einfache Frage „Wird die Bundesregierung den Anteil des Rüstungsetats auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen?“, immerhin von jährlich 34 Mrd. auf jährl. 58 Mrd. Euro, ärgert und empört Steinmeier. Pampig sein Hinweis auf Russland, aber es geht nicht um die russische Aufrüstung sondern um die deutsche. Von der Leyen will neue Panzer, die NATO führt Manöver an der russischen Westgrenze durch, das ist die Realität und nicht das Gerede ohne Substanz. Alter Trick: Von Abrüstung reden und Aufrüstung betreiben.