Ca ira Nr. 22: Los desaparecidos in Argentinien (6.10.2010)

Infobrief Ça Ira Header

Was tat die Bundesregierung zur Rettung der Verschwundenen in Agentinien?

Unbefriedigende Antworten auf Anfrage der LINKEN

„Wie beurteilt die Bundesregierung heute das damalige Verhalten der Bundesregierung zur argentinischen Militärdiktatur?“
Die Antwort der Bundesregierung ist lapidar: „Die Bewertung des Handelns der Bundesregierung vor 30 Jahren ist nicht Aufgabe der heutigen Bundesregierung. Dies ist Historikern und Politologen vorbehalten.“ Und an anderer Stelle heißt es nassforsch: „Es steht der Öffentlichkeit frei, nach Maßgabe des Bundesarchivgesetzes in die Akten aus den Jahren 1976 bis 1979 Einblick zu nehmen“ … „ eine wissenschaftlich historische Aufarbeitung der Geschichte der deutsch-argentinischen Beziehungen durch die Bundesregierung ist nicht vorgesehen.“
In einer Parlamentsanfrage forderte Wolfgang Gehrcke von der Bundesregierung Auskunft darüber, wie man sich zur Zeit der Militärdiktatur für Menschenrechte und für die verschwundenen deutschen und Staatsbürger eingesetzt hat. Und ebenso für die deutschstämmigen, meist Kinder jüdischer Eltern, die aus Nazideutschland geflohen waren. Die Bundesregierung aber möchte sich damit nicht auseinander setzen.
Beginnt also mit jeder neuen Regierung die Geschichte der deutschen Demokratie neu? Neue Abgeordnete, neues Spiel? Hat diese Regierung mit der Vergangenheit nichts zu tun und also auch keine Pflicht, fatales, menschenverachtendes deutsches Regierungshandeln zu bewerten, geschweige denn gegenüber den Opfern und ihren Hinterbliebenen Rechenschaft abzulegen?
Von den Rechtsanwälten und den Familien von Verschwundenen schwere Vorwürfe gegen die Regierung von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher erhoben. Dass die deutsche Botschaft unter Botschafter Kastl, im Unterschied zur amerikanischen und französischen Botschaft, kaum Erfolge dabei verzeichnen konnte, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus den Fängen der Folterer zu befreien, ist noch einer der harmlosesten. Es sind Noten des Botschafters veröffentlicht, die eine schamlose Beschönigung des Putsches beinhalten, wobei der Wunsch ausgesprochen wird, dass die wirtschaftlichen Beziehungen nicht leiden mögen: "Wir haben letzten Endes doch Interesse an vernünftigen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Dem gegenüber muss das Schicksal Einzelner dann eben zurück stehen." (http://www.dradio.de/download/114425/
In Wirklichkeit ist Kastl ganz begeistert von der neuen Regierung unter den Generälen, mit einem von ihnen spielt er wöchentlich auf dem Gelände der Botschaft Tennis: „ Die Bundesrepublik Deutschland heute in Argentinien zu vertreten, ist ein Vergnügen“ (Heinz F. Dressel, Deutsch-Argentinische Reminiszenzen, Mai 2009). Am 2.4. 1976 schreibt Kastl an das Auswärtige Amt: „Durch die rasche Erklärung unserer Bereitschaft, die amtlichen Beziehungen mit Argentinien fortzuführen, haben wir das bisherige Vorgehen der neuen Regierung honoriert“. Mit dem bisherigen Vorgehen ist der Putsch von General Videla und Konsorten gemeint. Heinz Dressel zitiert weiter: „Ein Scheitern der Regierung würde den Weg zu Alternativen öffnen, die die freie westliche Welt schwächten. Unsere Interessen gebieten, das mögliche zu tun, dies zu verhindern.“ Eine klare Aufforderung, ein faschistisches Militärregime zu unterstützen! Die Bundesregierung unter dem Liberalen Genscher hielt still, Konstantin Thun, Rechtsanwalt von Hinterbliebenen und Autor von Menschenrechte und Außenpolitik, hat dies zurecht als „stille Sympathie“ mit dem Militärregime bezeichnet. Die Bundesregierung beförderte die guten Wirtschaftsbeziehungen und vor allem die drastisch ansteigenden Waffenlieferungen. Die USA verhängten dagegen einen Waffenboykott. Und setzten sich erfolgreich für die Freilassung von Diana Austin ein, die überlebte, während ihre Mitgefangene, die deutsche Elisabeth Käsemann nach grausamen Foltern ermordet wurde.
Warum hat die Bundesregierung damals so wenig Engagement für die gefangenen, verschleppten, gefolterten Deutschen an den Tag gelegt? Weil sie linke Kämpferinnen und Kämpfer waren, linke Studenten, Gewerkschafter? In einen Topf zu werfen mit der RAF, wie es damals in Deutschland gerne praktiziert wurde? „Ratten und Schmeißfliegen“ nannte sie Franz Josef Strauß. Berufsverbote wurden zu tausenden verhängt. Die Spitzelberichte des Verfassungsschutzes würden ganze Container füllen. Waren die schmutzigen Verbündeten in Argentinien näher als die aufmüpfigen jungen Leute, die in den Favelas Sozialarbeit leisteten, wie Elisabeth Käsemann? Die im Unterschied zur Bundesregierung den Verfolgten durch Passfälschungen half und dafür sterben musste? „Wir wussten von Anfang an, dass Leute grauenhaft gefoltert wurden und dann verschwanden. Ich hab vielen gesagt, haut ab! Die Militärs machen Tabula rasa,“ sagte Botschafter Kastl später. Sie haben es gewusst und waren untätig. Die deutsche Botschaft brachte es fertig, einen Geheimagenten der Junta in einem Zimmer in der Botschaft unterzubringen, der unbeobachtet von Botschaftsangehörigen die Angehörigen der Verschwunden beraten solle. Er hat sie ausgehorcht und seine Informationen weiter gegeben.
Für die heutige Bundesregierung und das Auswärtige Amt, für Guido Westerwelle und Cornelia Piper ist das alles Geschichte und kein Grund zur Aufarbeitung und Stellungnahme. Man könnte das als neoliberale Schnodderigkeit abtun. Wären da nicht Honduras und die Friedrich-Naumann-Stiftung. „Friedrich-Naumann-Stiftung rechtfertigt Putsch in Honduras“ titelt der Tagesspiegel vom 14.08.2009. Die Naumann-Stiftung veranstaltete nach dem Putsch „eine nicht-öffentliche Diskussion in den Räumlichkeiten des Bundestages in Berlin. Dabei trugen der Verwaltungsrat der honduranischen Zentralbank und der Vorsitzende des dortigen Industriellenverbandes ihre Sicht der Dinge vor – also Mitglieder ebenjener Elite, die hinter dem Putsch gegen den linken Zelaya steckt.“ (Tagesspiegel) Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung zündelt in ganz Südamerika. In Bolivien werden die Autonomiebestrebungen derjenigen Provinzen unterstützt, wo die Reichen wohnen und die Bodenschätze liegen. Sie unterstützt rechtsgerichtete Aktivisten und das ultrarechte liberale Lager. Und sie ist nicht die einzige deutsche Stiftung, Hans-Seidel-Stiftung und Konrad-Adenauer-Stiftung sind ebenfalls gut im Geschäft. Und die Friedrich-Ebert-Stiftung hält sich auch nicht fern.
Man sieht, es gibt eine Kontinuität der deutschen Außenpolitik und niemand im Auswärtigen Amt möchte offenlegen, was die deutsche Rolle damals war, weil auch die deutsche Rolle in Lateinamerika heute unter einem Schleier bleiben soll. Auch die Bundestagsabgeordneten werden nicht informiert, die Öffentlichkeit erst recht nicht.
Aber das letzte Wort ist nicht gesprochen. Die Angehörigen der Verschwundenen geben nicht auf, die Verurteilung der Täter zu fordern und damit die Aufarbeitung der Geschichte voran zu treiben. Dafür brauche sie unsere Solidarität und Unterstützung.

www.wolfgang-gehrcke.de

 

Ca ira - zweiundzwanzigVictoria Donda ist Kind von Verschwundenen und wurde zwangsadoptiert. Sie macht sich auf die Suche nach ihrer wahren Identität. Die Spur ihrer wirklichen Eltern verliert sich in den Folterkammern der argentinischen Militärdiktatur.

Aus Wolfgang Gehrckes Presseerklärung dazu.

In Argentinien, dem Gastland der Frankfurter Buchmesse, ist die Militärdiktatur nicht vergessen, das zeigen die vielen Neuerscheinungen zum Thema.
30.000 Menschen wurden während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) systematisch ermordet; ...

Was tat die Bundesregierung zu ihrer Rettung? Hat sie nichts gewusst oder hat sie wissend die Augen geschlossen? ...

Die Argentinier arbeiten ihre Geschichte auf. Und die Deutschen? Wollen sie mit ihrer Verwicklung in die dunkle argentinische Vergangenheit kritisch umgehen? .. .

Verheimlichen, verharmlosen, täuschen war die Strategie der Regierung Schmitt/Genscher und Schwarz-Gelb führt diese Tradition fort.

Dazu auch ein längerer Artikel im Disput vom September 2010: "Ein bekanntes Muster"

***********

"Wir verstehen, wenn wir von Kämpfen reden, unter Volk die große unerlöste Masse, (...) die von allen betrogen und verraten wird, und die ein besseres und würdigeres und gerechteres Vaterland ersehnt; die von einem uralten Verlangen nach Gerechtigkeit getrieben wird, weil sie seit Generationen unter der Ungerechtigkeit und dem Spott leiden musste. (...)

Und hier sind die 600 000 arbeitslosen Kubaner, die 500 000 Landarbeiter, die 400 000 Industriearbeiter und Tagelöhner, die 100 000 Kleinbauern, die 30 000 Lehrer, die 20 000 Kleinhändler, die 10 000 ausgebildeten Jugendlichen (..)

Diesem Volk wollten wir nicht sagen: "Dir werden wir etwas schenken", sondern: "Hier hast du, jetzt kämpfe mit all deinen Kräften, damit die Freiheit und das Glück dein sein werden!" Fidel Castro 16.10.1953, Die Geschichte wird mich freisprechen

***

 

Termine

04. - 08.10.2010 Sitzungswoche

09.10.2010 | 18.00
Mein Name ist Victoria, Lesung und Diskussion, Frankfurt

14. - 17. 10. 2010
Aktionskonferenz zum Nato-Gipfel, LIssabon

20.10.2010
Diskussionsveranstaltung Basisorganisation Pankow