"Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!"
Frühere Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, Minister, Staatssekretäre, Bundeskanzler, Bundespräsidenten, zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern warnen in einem Appell vor der Kriegsgefahr in Europa. Wolfgang Gehrcke bedankt sich in einem Brief für diese Initiative, die wir unten im Wortlaut dokumentieren.
Liebe Antje Vollmer, lieber Walther Stützle, lieber Horst Teltschick,
der von Ihnen initiierten Appell „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ ist ein Weckruf zur richtigen Zeit. Die Welt gerät aus den Fugen und der Kalte Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Der Kalte Krieg muss gestoppt und überwunden werden, damit aus dem Kalten kein heißer Krieg wird. Ein Krieg der Worte, erneute Aufrüstung, NATO-Stationierung entlang der russischen Grenzen, Sanktionen gegen russischen Politiker, Unternehmen und Waren verschärfen diese unheilvolle Entwicklung. Deutschland soll, wie sie schreiben, mit Besonnenheit und Dialogfähigkeit Sicherheitsbedürfnisse Russlands ebenso wie anderer europäischer Partner beachten. Ich möchte im Sinne ihres Appels als Abgeordneter des Deutschen Bundestages aufmerksam die Friedenspflicht, die unser Grundgesetzt festschreib,t beachten und zum Abbau von Feindbilder beitragen.
Vielen Dank für ihre Initiative.
Mit freundlichen Grüßen.
Wolfgang Gehrcke, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender
* * *
Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!
Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.
Der Ukraine-Konflikt zeigt: Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.
In diesem Moment großer Gefahr für den Kontinent trägt Deutschland besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Ohne die Versöhnungsbereitschaft der Menschen Russlands, ohne die Weitsicht von Michael Gorbatschow, ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und ohne das umsichtige Handeln der damaligen Bundesregierung wäre die Spaltung Europas nicht überwunden worden. Die deutsche Einheit friedlich zu ermöglichen, war eine große, von Vernunft geprägte Geste der Siegermächte. Eine Entscheidung von historischer Dimension. Aus der überwundenen Teilung sollte eine tragfähige europäische Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok erwachsen, wie sie von allen 35 Staats- und Regierungschefs der KSZE-Mitgliedsstaaten im November 1990 in der "Pariser Charta für ein neues Europa" vereinbart worden war. Auf der Grundlage gemeinsam festgelegter Prinzipien und erster konkreter Maßnahmen sollte ein "Gemeinsames Europäisches Haus" errichtet werden, in dem alle beteiligten Staaten gleiche Sicherheit erfahren sollten. Dieses Ziel der Nachkriegspolitik ist bis heute nicht eingelöst. Die Menschen in Europa müssen wieder Angst haben.
Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.
Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.
Am 3. Oktober 1990, am Tag der Deutschen Einheit, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. ... Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Sein Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen."
Bis zum Ukraine-Konflikt wähnten wir uns in Europa auf dem richtigen Weg. Richard von Weizsäckers Mahnung ist heute, ein Vierteljahrhundert später, aktueller denn je.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner
Mario Adorf, Schauspieler
Robert Antretter (Bundestagsabgeordneter a. D.)
Prof. Dr. Wilfried Bergmann (Vize - Präsident der Alma Mater Europaea)
Luitpold Prinz von Bayern (Königliche Holding und Lizenz KG)
Achim von Borries (Regisseur und Drehbuchautor)
Klaus Maria Brandauer (Schauspieler, Regisseur)
Dr. Eckhard Cordes (Vorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft)
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.)
Eberhard Diepgen (ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin)
Alexander van Dülmen (Vorstand A-Company Filmed Entertainment AG)
Stefan Dürr (Geschäftsführender Gesellschafter und CEO Ekosem-Agrar GmbH)
Dr. Erhard Eppler (Bundesminister für Entwicklung und Zusammenarbeit a.D.)
Prof. Dr. Dr. Heino Falcke (Propst i.R.)
Prof. Hans-Joachim Frey (Vorstandsvorsitzender Semper Opernball Dresden)
Pater Anselm Grün (Pater)
Sibylle Havemann (Berlin)
Dr. Roman Herzog (Bundespräsident a.D.)
Christoph Hein (Schriftsteller)
Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch (Bundestagsvizepräsident a.D.)
Volker Hörner (Akademiedirektor i.R.)
Josef Jacobi (Biobauer)
Dr. Sigmund Jähn (ehemaliger Raumfahrer)
Uli Jörges (Journalist)
Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann (ehemalige EKD Ratsvorsitzende und Bischöfin)
Dr. Andrea von Knoop (Moskau)
Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (ehemalige Korrespondentin der ARD in Moskau)
Friedrich Küppersbusch (Journalist)
Vera Gräfin von Lehndorff (Künstlerin)
Irina Liebmann (Schriftstellerin)
Dr. h.c. Lothar de Maizière (Ministerpräsident a.D.)
Stephan Märki (Intendant des Theaters Bern)
Prof. Dr. Klaus Mangold (Chairman Mangold Consulting GmbH)
Reinhard und Hella Mey (Liedermacher)
Ruth Misselwitz (evangelische Pfarrerin Pankow)
Klaus Prömpers (Journalist)
Prof. Dr. Konrad Raiser (eh. Generalsekretär des Ökumenischen Weltrates der Kirchen)
Jim Rakete (Fotograf)
Gerhard Rein (Journalist)
Michael Röskau (Ministerialdirigent a.D.)
Eugen Ruge (Schriftsteller)
Dr. h.c. Otto Schily (Bundesminister des Inneren a.D)
Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer (ev. Theologe, Bürgerrechtler)
Georg Schramm (Kabarettist)
Gerhard Schröder (Bundeskanzler a.D.)
Philipp von Schulthess (Schauspieler)
Ingo Schulze (Schriftsteller)
Hanna Schygulla (Schauspielerin, Sängerin)
Dr. Dieter Spöri (Wirtschaftsminister a.D.)
Prof. Dr. Fulbert Steffensky (kath. Theologe)
Dr. Wolf-D. Stelzner (geschäftsführender Gesellschafter: WDS-Institut für Analysen in Kulturen mbH)
Dr. Manfred Stolpe (Ministerpräsident a.D.)
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz (Botschafter a.D.)
Prof. Dr. Walther Stützle (Staatssekretär der Verteidigung a.D.)
Prof. Dr. Christian R. Supthut (Vorstandsmitglied a.D. )
Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik (ehemaliger Berater im Bundeskanzleramt für Sicherheit und Außenpolitik)
Andres Veiel (Regisseur)
Dr. Hans-Jochen Vogel (Bundesminister der Justiz a.D.)
Dr. Antje Vollmer (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.)
Bärbel Wartenberg-Potter (Bischöfin Lübeck a.D.)
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (Wissenschaftler)
Wim Wenders (Regisseur)
Hans-Eckardt Wenzel (Liedermacher)
Gerhard Wolf (Schriftsteller, Verleger)
Auf zum Friedenswinter! - Er ist nicht nach Rechts offen
Offener Brief von Reiner Braun (IALANA) und Wolfgang Gehrcke
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Offene Briefe sind eigentlich nicht unser Ding und wir beide schreiben zum ersten Mal einen solchen Text, obwohl wir seit Jahren in der Friedensbewegung zusammenarbeiten. Uns bereitet die Kluft zwischen der realen Kriegsgefahr in Europa und der mangelnden Aktionsfähigkeit der Friedensbewegung schlaflose Nächte. Die Erklärung früherer Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, Minister, Staatssekretäre Bundeskanzler Bundespräsidenten, zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern warnt unter der Überschrift „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ vor einem Moment großer Gefahr für den Kontinent. Wir sehen es ebenso und bitten euch, besonders nach dem erfolgreichen Treffen des Kasseler Friedensratschlages, um 3 Minuten Zeit für unser Anliegen:
Der von uns initiierte Aufruf für einen Friedenswinter 2014/2015 hat in der Friedensbewegung und bei antifaschistischen Initiativen und Verbänden eine sehr widersprüchliche Diskussion ausgelöst. Weniger die im Rahmen des Friedenswinters angekündigte Kundgebung vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten, sondern mehr dass sich unter den 60 namentlichen Aufruferinnen und Aufrufern auch mit Ken Jebsen und Lars Mährholz zwei bekannte Personen aus der Montagsmahnwachenbewegung befinden. Uns ist es wichtig, dass viele zur Kundgebung kommen, über künftige Formen der Zusammenarbeit müssen wir uns sicher im Weiteren den Kopf zerbrechen – aber jetzt geht es um die Aktion. Genauer gesagt: Jetzt geht es darum, dem drohenden Krieg Einhalt zu gebieten!
Wie man konkret jeweils vor Ort zusammenarbeitet, dass müssen die Friedensfreundinnen und Friedensfreunde vor Ort entscheiden. Unser Engagement jedenfalls ist nicht wertungsoffen und wir haben uns immer eindeutig entlang der Eckpfeiler „Nein zu Faschismus. Nein zu Krieg.“ bewegt. Aktuell heißt dies: „Nein zu Rassismus, Nein zur NATO“. Der Friedenswinter 2014/2015 ist nicht nach rechts offen und darf nicht nach rechts offen sein. Er soll demokratisch, bunt, vielfältig und weit über Parteigrenzen hinaus wirksam werden. Der Friedenswinter widersetzt sich rechter Islamfeindlichkeit, wie sie von rechten Initiativen in Sachsen und NRW unter dem Begriff Montagsmahnwachen fälschlicherweise bedient werden. Wenn Krieg in der Luft liegt, rottet sich der rechte Mob zusammen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
aus den vergangenen Jahren kennen wir in der Friedensbewegung große Ratschläge und die Diskussion um einen Mindestkonsens, also um einen kleinen gemeinsamen Nenner, der zum Ausgangspunkt von Aktionen gemacht werden kann. Erinnert euch an den Krefelder Appell: Ein Satz stellte den Ausgangspunkt für eine große Bewegung dar. Einen solchen „Einsatz“ gegen die neue Kriegsgefahr brauchen wir heute.
Die Friedensbewegung war auch immer der Ort, eine neue, andere Kultur zu leben – in der Gesellschaft und untereinander. Wir hinterfragen uns, ob wir in unserem Agieren uns immer an diesem Anspruch gemessen haben, und bitten euch, euch selbst auch dieser Frage zu stellen. Die Friedensbewegung sollte immer eine Bewegung der Toleranz von Demokratinnen und Demokraten, eben über einzelne weltanschauliche Orientierungen hinaus sein. Wer wirklich für den Frieden kämpft, muss Demokratin und Demokrat sein, muss plural denken und gegen rechts kämpfen. Wir möchten uns gern an den Gedanken von Rosa Luxemburg über die Freiheit in der Diskussion und die Einheit in der Aktion orientieren. Wenn Krieg vor der Tür steht, wird Widerstand zur Pflicht.
Wir bitten euch, tut alles, was euch möglich ist, um die Kundgebungen am 13. Dezember in Berlin und anderswo stark zu machen und dazu beizutragen, dass die Friedensbewegung wieder an Ausstrahlung und Einfluss gewinnt.
Mit solidarischen Grüßen
Reiner Braun & Wolfgang Gehrcke
* * *
Termine
"Nein zum Krieg"
Demonstration "Nein zu Krieg und Konfrontation" am 13.12.2014 am Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin am Schloss Bellevue