Ça ira Nr. 103: Griechenland wehrt sich gegen Besatzung (13.7.2015)

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Griechenland wehrt sich gegen Besatzung


Erste Gedanken nach der Eurogruppeneinigung - Wolfgang Gehrcke

Heute früh kommt die Nachricht: Eine Einigung mit Griechenland stehe in den Grundzügen, Einzelheiten seien noch nicht bekannt. So oder so steht für mich fest: Nein, ein solches Europa will ich nicht: Eine Europäische Union, die einem Mitgliedsland vorschreibt, faktisch mit Notverordnungen zu regieren – die Vorgabe, das griechische Parlament habe bis Mittwoch weitreichende Gesetze zu beschließen, zerstört transparente parlamentarische Verfahren -, die das Volksvermögen eines Mitgliedlandes rauben will – und nichts anderes wäre der Fonds von 50 Milliarden Euro an griechischem öffentlichen Eigentum, das nicht das Land selbst, sondern „Europa“ privatisieren will. In der Auseinandersetzung um Griechenland wird zugleich über den Weg und den Charakter der EU und ganz Europas entschieden. So sieht das auch Alexis Tsipras. Am 10. Juli, also vor den Brüsseler Marathon, aber nach den vorbereitenden Verhandlungen, sagte er in seiner Rede vor der Syriza-Fraktion: „Wir haben nicht nur für Griechenland verhandelt, sondern für ganz Europa, denn wir haben die Forderung nach einem sofortigen Ende der Sparpolitik auf die Agenda der öffentlichen Debatte in Europa gesetzt. Wir haben verhandelt, damit in Europa nicht nur das europäische Regelwerk, sondern auch der Grundsatz, dass alle Macht vom Volk ausgeht respektiert wird.“ (Auszüge der Rede finden Sie in deutscher Übersetzung hier)

Genau das wollten und wollen namentlich Schäuble und die Bundesregierung verhindern. Wie jetzt durch Wikileaks (zu lesen in der Süddeutschen Zeitung, 2. Juli 2015) bekannt geworden ist, hat Angela Merkel spätestens seit 2011 gewusst, dass Griechenland niemals seine Schulden werde zurückzahlen können, doch die eigene Bevölkerung hat sie im Glauben an das Gegenteil bestärkt, sprich: belogen. Yanis Varoufakis geht in seinem Artikel im Guardian (yanisvaroufakis.eu) davon aus, dass Schäuble bereits seit 2010 an einem Rauswurf Griechenlands aus dem Euro arbeitet, aber davor noch das Geld der deutschen Banken retten wollte; das ist ja der eigentliche Sinn der diversen „Rettungspakete“, auch vom jetzigen werden laut Bund der Steuerzahler 30 Milliarden ausgerechnet an Hedgefonds gehen.

Welche Interessen verfolgen also die Bundesregierung und andere politischen Kräfte? Schäubles Vorschlag, Griechenland (zeitweilig) aus dem Euro zu suspendieren, deutet in die Richtung auf ein „Kerneuropa“, in dem die wirtschaftlich stärkeren Länder das Sagen haben und die anderen Manövriermasse sind. Andere, auch im konservativen Lager, wollen eine EU nach den Regeln von Maastricht und dem Lissabon-Vertrag, zu denen es keinen Widerspruch und keine Veränderung geben soll. Das sind die Regeln der Austerität. Doch hinter dem lauten Getöse, keinen Regelbruch zuzulassen, wird Widerspruch laut: Die Obama-Administration warnt, wer Griechenland schwächt, schwächt die Südflanke der NATO. Für die USA mit ihrer starken Griechenland-Lobby ist ein militärisch hochgerüstetes Griechenland unverzichtbar für seine Kriege im Nahen und Mittleren Osten.

Eine schlüssige sozialdemokratische Griechenland-Politik gibt es nicht. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz etwa gibt sich in der Sache kompromisslos, in der Form aber dialogbereit, ähnlich wie der konservative Kommissionspräsident Juncker, während Sigmar Gabriel sich mit nationalistischen Strömungen gemein macht, wenn er sagt, kein Geld deutscher Arbeiter für griechische Kommunisten.

Wenn der Gedanke an ein anderes Europa wachgehalten werden soll, müssen sich die linken Parteien auf das Engste mit der Linken in Griechenland zusammenschließen und der griechischen Regierung solidarisch begegnen. Das gilt auch für die LINKE in Deutschland. Es beschämt mich, dass wir so wenig praktische Solidarität auf die Straßen und Plätze bringen. Inhaltlich bleiben wir bei einem sofortigen Schuldenmoratorium, einem radikalen Schuldenschnitt. Griechenland kann sich nicht entwickeln, solange fast alle Gelder in Schuldentilgung auf die Konten der Gläubiger fließen. Notkredite der EZB müssen weiter gezahlt werden.

Die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe haben Alexis Tsipras und die griechische Regierung mit der Pistole an der Schläfe geführt. Solidarität und ein sich Hineinversetzen in ihre Lage haben sie in jedem Fall verdient. Was über und mit Griechenland heute oder in den nächsten Tagen entschieden wird, ist bestimmend für Europas Zukunft und auch für unsere Kampfbedingungen in Deutschland. Schäuble will ein Besatzungsstatut für Griechenland, wir wollen ein freies Griechenland und ein demokratisches Europa.

 

Ach, ich bin so traurig


Abschied von Gerhard Z.

Heute erreichte mich die Nachricht, dass Genosse Gerhard Zwerenz gestorben ist. Meine Gedanken sind bei Ingrid und ich bin mir sicher, dass Gerhard einen kämpferischen Platz in der deutschen Literatur, der Linken und des Parlamentarismus hat. Das nimmt nichts von der Trauer weg. Solche Menschen wie Gerhard Zwerenz gibt es immer zu wenige.