Liebe Leserin, lieber Leser,
heute möchten wir Sie in unserem Infobrief über die gestrige Debatte im Deutschen Bundestag informieren, in der über einen von Wolfgang Gehrcke eingebrachten Antrag der Fraktion DIE LINKE zur Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland debatiert wurde. Zu diesem Thema dokumentieren wir die Rede von Wolfgang Gehrcke sowie Auszüge aus der Debatte.
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Einstieg in den Ausstieg - Sanktionen gegen Russland aufheben (Sitzung des Deutschen Bundestages am 13.11.2014)
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir könnten, wenn sich die Kollegen der SPD und der CDU/CSU ein bisschen mehr zutrauen würden, gemeinsam feststellen, dass die Sanktionen gescheitert sind und dass die Sanktionen bisher nichts Vernünftiges gebracht haben. Das wissen Sie alle. Sie trauen sich nur nicht, das zuzugeben.
(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Sie wissen es auch besser! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)
Ich will Ihnen dafür auch ein paar Argumente nennen.
Erstes Argument. Das Verhältnis zu Russland war in den letzten 20 Jahren noch nie so schlecht, wie es heute ist. Nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges gab es ein so schlechtes Verhältnis zu Russland. Hier zur gesamten Rede von Wolfgang Gehr
(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Warum wohl? – Zurufe von der SPD)
– Ja, das war ja ein Teil der sozialdemokratischen Politik. „Wandel durch Annäherung“ war ja nicht meine Politik; das war Ihre. Dazu stehen Sie ja bloß nicht mehr.
(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Völkerrecht!)
Wenn man wirklich Sicherheit und Stabilität in Europa will, muss man ein anderes, besseres Verhältnis zu Russland herstellen. Dazu wäre ein erster Schritt, dass man sagt: Wir bauen nicht mehr auf Sanktionen, sondern wir suchen den Ausstieg aus den Sanktionen, genauer: den Einstieg in den Ausstieg. Wir haben es ja vorsichtig formuliert. Sie müssen ja nicht gleich alles aufheben.
Die gesamte Rede von Wolfgang Gehrcke lesen Sie hier und das Video zu seinem Debattenbeitrag können Sie hier einsehen:
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Und hier einige Auszüge aus den Debattenbeiträgen der Redner aus der CDU/CSU-Fraktion, die mehr als bezeichnend sind:
Manfred Grund (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sprach zu uns der Genosse Wolfgang Gehrcke, erster Sekretär der Hauptabteilung für Desinformation und Propaganda bei der Deutschen Kommunistischen Partei, gestählt und argumentativ geschult durch viele Studienaufenthalte in der Sowjetunion bzw. in Moskau. (...)
In diesen Tagen hat der Hitler-Stalin-Pakt einen prominenten Verteidiger gefunden: Wladimir Putin hat diesen Pakt als Beispiel sowjetischer Friedenspolitik gewürdigt. Putin stellt sich damit in die Tradition deutsch-russischer Großmachtpolitik ohne Rücksicht auf das Schicksal anderer Völker und Staaten.
Denn was war der Hitler-Stalin-Pakt? Der Hitler-Stalin-Pakt hat den Zweiten Weltkrieg in Europa eingeleitet. Vor allem aber war der Hitler-Stalin-Pakt das schlimmste Beispiel einer Verständigung von Großmächten zulasten der Schwächeren in Europa.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Ich möchte mich auch beim Kollegen Grund und auch bei Herrn Annen bedanken.
An die Linken möchte ich die Frage richten: Wenn Sie spüren, wie hier alle demokratischen Kräfte dem Grunde nach einer Meinung sind, muss es Sie doch nachdenklich stimmen, ob Sie mit der Position, die Sie einnehmen, richtig liegen. Sie erwähnen nicht die hemmungslose Brutalität, mit der Russland gegen die Ukraine vorgeht, angefangen mit der Krim bis über die Ostukraine, und auch nicht die Art und Weise des Versuches, diesen Staat mit prorussischen Kräften zu zerstören und zu zersetzen, die man mit all dem ausstattet, was notwendig ist, um ein Land zu destabilisieren. Vielmehr drücken Sie all dies weg und wollen davon ablenken. Sie geben uns sogar eine Schuld, als hätten wir mit den Sanktionen einen aggressiven Akt begonnen. (...)
Wir müssen uns natürlich Gedanken darüber machen, wohin die Reise geht, die Putin begonnen hat. Er will das historische Zeitfenster nutzen, um so viel wie möglich vom alten Russland wiederherzustellen. Was für ein obskures Ziel! Er will das Zeitfenster bis 2020 nutzen, weil er davon ausgeht, dass er angesichts der schwachen amerikanischen Administration und der Probleme, die die Europäische Union unter anderem mit dem Euro hat, Gestaltungsspielraum hat. Er meint, er könne so viel wie möglich vom alten Russland wiederherstellen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass er nach dem Schwinden der Kräfte der ehemaligen Sowjetunion neue Bündnisse in Osteuropa – bis hin zum Balkan – schaffen will. Dabei knüpft er an die Kontakte der orthodoxen Kirche und an gewisse Gemeinsamkeiten an.
Er hofft, auf diese Weise die Einflusssphäre der alten Sowjetunion wiederherzustellen. Das ist nichts anderes als Großmachtpolitik. Das ist eine Politik, die wir nicht unterstützen dürfen. Wir überlassen es jedem Land, zu entscheiden, wohin es will. Wir werden nicht mit wirtschaftlichem Druck und militärischen Mitteln dafür sorgen, dass sich bestimmte Länder uns zuwenden. Das ist die Entscheidung der betreffenden Länder, nicht unsere.
Sanktionen gegen Russland sind nun notwendig. Sie müssen durchgehalten werden. Wir müssen den Preis dafür so lange zahlen, bis die Moskauer Führung zur Einsicht kommt, dass sie mit den Mitteln des letzten Jahrhunderts keine Politik in diesem Jahrhundert machen kann.
Geschichtsfälschung im Deutschen Bundestag
Der Ton gegenüber der Linken wird deutlich rauer – in den Medien und im Bundestag. Das ist nicht Begleitmusik, sondern Bestandteil und Bedingung der neuen Außenpolitik á la Gauck, Steinmeier und von der Leyen. Sie kann nicht mit Widersprüchen leben, noch sie dulden. Dafür ist Anti-Kommunismus noch immer gut und er ist das Vorurteil, das am leichtesten wiederzubeleben ist. Die Bundestagsdebatte um den Antrag der Linken zum Einstieg in den Ausstieg der Sanktionen gegenüber Russland legt davon beredtes und erschreckendes Zeugnis ab. Dabei ist noch relativ harmlos, dass der CDU-Sprecher Manfred Grund mich zum Ersten Sekretär der Kommunisten befördert oder Hans-Peter Uhl, Rechtsaußen der CDU, seiner Grünen-Vorrednerin Marie-Luise Beck und Nils Annen von der SPD, ein „großes Lob des Dankes“ spendet. Richtig an die Substanz aber geht es, wenn Manfred Grund das faschistische Deutschland und die Sowjetunion gleichermaßen für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verantwortlich macht. Das gegenüber einem Land, das unsere Befreiung vom Faschismus mit 27 Millionen Toten bezahlt hat. Und für seine Geschichtsfälschung erhält er keinen Ordnungsruf und keiner widerspricht. Alle zusammen in dieser „ganz großen Koalition“ haben nicht nur das alte und neue Feindbild Russland gemein; sie teilen auch die Grundlinie der NATO-Außenpolitik, Russland weiter einzukreisen und eigene imperiale strategische Interessen durchzusetzen. Man muss kein Putin-Verteidiger sein, um zu der Überzeugung zu gelangen: Frieden in Europa ist nur mit und nicht gegen Russland möglich. Das heißt: Zurück an den Verhandlungstisch.
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Die Verhältnisse ändern, dass der Mensch in Würde leben und sterben kann (Auszüge aus der Rede von Wolfgang Gehrcke in der Debatte zu Sterbehilfe und Palliativmedizin im Deutschen Bundestag am 13.11.2014)
Ich denke schon, dass es eine gemeinsame Verpflichtung des Bundestages ist, Bedingungen zu schaffen, dass ein Mensch am Ende seines Lebens oder im Falle einer schweren, nicht überwindbaren Krankheit in Würde sterben kann, und dass nicht die finanziellen Bedingungen darüber entscheiden, ob er die Würde hat oder ihm die Würde genommen wird. (...)
Wenn man sich anschaut, wie Menschen sterben oder sterben müssen, kann man die Feststellung: „Auch im Tod sind nicht alle gleich“ - das Ende ist gleich; aber im Tod sind nicht alle gleich -, nur unterstreichen. Deswegen ist meine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam die Verhältnisse ändern, damit man wirklich in Würde leben und sterben kann. (...)
Ich bin nicht gläubig, aber da hat das Christentum die schöne Begrifflichkeit: „Einer trage des andern Last“. Warum können wir nicht zusammen über eine Gesellschaft nachdenken, in der Solidarität und Selbstbestimmung keine Widersprüche sind? Für eine solche Gesellschaft sollten wir eintreten.