Ça ira Nr. 90: Wider denunziatorische Kommunikation: Volksfront statt Querfront (16.1.2015)

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Wider denunziatorische Kommunikation 
Volksfront statt Querfront

Wir widersprechen und wir wollen Widerspruch provozieren. Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit Aktionen der Friedensbewegung, ihren Schwächen, ihren Forderungen und Trägern, Trägerinnen. Wir wenden uns ganz entschieden gegen denunziatorische Züge, mit der diese Auseinandersetzung auch in linken Kreisen geführt wird, denn Denunziation zehrt (potenzielle) Bewegungen von innen auf. Reden wir also miteinander.

So beginnt der Artikel von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann. Sie setzen sich mit dem „zweifachen Beschuss“ auseinander, unter dem die Friedensbewegung steht, dem der Mainstreammedien und von links.

Besonders attackiert werden Ken Jebsen und Lars Mährholz, die, aus dem Montagsmahnwachen kommend, den Aufruf zum Friedenswinter unterschrieben haben. Sie werden aber nicht nur von Linken in die rechte Ecke gestellt, sondern auch von Rechten in die linke. So schreibt Jürgen Elsässer, früher Redakteur der Zeitungen ND, junge welt, Mitgründer der jungle world, jetzt erfolgreich als Herausgeber und Chefredakteur des rechten Blatts Compact, am 17. September 2014: „Die großen Berliner Montagsdemonstrationen wurden von Linksglobalisten wie Pedram Shahyar und Ken Jebsen übernommen und von jedem, der die nationale Souveränität Deutschlands verteidigen will, gesäubert.“

Ken Jebsen, Pedram Shahyar, Lea Frings und andere hatten am 24. Mai 2014 in einem offenen Brief an die Montagsmahnwachen geschrieben: „Unser humanistischer Grundkonsens geht von der Überzeugung aus, dass die Menschen grundsätzlich fähig sind, gemeinsam zu einer solidarischen Art des Wirtschaftens, Austausches und Zusammenlebens zu finden. Die freie Entfaltung des Einzelnen ist dabei die Voraussetzung für die freie Entfaltung aller.“ Der letzte Satz stammt fast wörtlich aus dem Kommunistischen Manifest und findet sich in allen Parteiprogrammen der PDS und der LINKEN. Jebsen, Shahyar, Frings unterstrichen weiter: „Organisierte Neonazis, braune Kameradschaften und faschistoide Praktiken haben auf unseren Mahnwachen nichts verloren. Darin sind wir uns sicher einig.“

Es war Henryk M. Broder, der im Jahr 2011 eine Kampagne gegen Ken Jebsen wegen angeblichen Antisemitismus losgetreten hatte. Im Ergebnis führte sie zu seinem Rausschmiss aus dem RBB, aber nicht wegen Antisemitismus, sondern weil seine Arbeit „nicht den journalistischen Standards“ entspreche. In derselben Presseerklärung vom 24.11.2011 heißt es ausdrücklich: „Der Sender hat Herrn Jebsen gegen den Vorwurf verteidigt, er sei Antisemit und Holocaust-Leugner“.

Diese hier zitierten Positionen sind seit Monaten öffentlich und konnten von allen, die sich kritisch zu den besagten Personen geäußert haben, in die Debatten einbezogen werden. Doch das geschah nicht. Stattdessen stetige Wiederholung gleichlautender Vorwürfe, auf die wir jetzt im Einzelnen eingehen:

Das sind: Holocaust-Leugner und Nazi-Nähe, Russlandfreunde und Nationalisten, Verschwörungstheretiker, falsche Kapitalismuskritik, Querfronstrategen.

Holocaust-Leugner und Nazi-Nähe?

Der Aufruf zum Friedenswinter ist in den Kontroversen innerhalb der LINKEN nicht Gegenstand der Kritik, aber Personen! So wird Katja Kipping von der Süddeutschen (02.12.2014) mit der Frage wiedergegeben, “ob Wagenknecht und ihre Fraktionskollegen gewusst hätten, wer sonst alles den Aufruf unterstütze“. Wir können sie beruhigen: Sie wussten es. Klaus Lederer schreibt am 29.11.2014 auf seiner Website zu “DIE LINKE und der ‘Friedenswinter’”, der Aufruf sei im Großen und Ganzen in Ordnung, nicht aber die Unterzeichnenden, namentlich Mährholz und Jebsen. Die Nähe von Lars Mährholz zu Nazis belegt Lederer mit diesem Zitat: “Wie will man denn gegen die Nazis was machen, in Anführungszeichen, wenn man nicht mit ihnen redet? Wir können doch nicht weiter in dem Gedanken feststecken bleiben, wir müssen die Nazis bekämpfen oder sowas.” Soweit so wahr. Und trotzdem eine Fälschung. Denn das Zitat endet nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Komma (einem gehörten, es handelt sich um ein Telefon-Interview: und geht so weiter: “wenn, dann müssen wir die Gedanken in den Köpfen der Nazis bekämpfen.” Das unterstreicht er gleich noch einmal: “Wir können doch nicht die Menschen bekämpfen, wir müssen das Denken bekämpfen.” Anhand dieser Äußerungen mag man Lars Mährholz des Plagiats an dem PDS- und LINKEN-Plakat Nazis raus aus den Köpfen bezichtigen. Wer ihm aber so Nazi-Nähe nachweisen will, lügt. Das trifft auch auf Lederers Beweisführung zu, dass Jebsen den Holocaust relativiere. Dazu zitiert Lederer: “Konzentrationslager der Moderne gibt es ja trotzdem. Da gibt es Lager, da wird etwas konzentriert“. Es fehlt der Satz danach “Das ist schrecklich” und vor allem der Satz unmittelbar davor: “Der Holocaust in seiner Brutalität und seiner Planung und alldem ist einmalig und ich hoffe, dass es so bleibt.” Kurzes Nachdenken. “Man weiß es nicht”. Dann die Bemerkung zu den KZ’s der Moderne, direkt danach noch einmal, detaillierter, Beschreibungen der Einzigartigkeit des industriemäßig betriebenen Massenmordes.
Wieder ist der vermeintliche Beleg eine Lüge – durch Weglassen. In den Massenmedien und vielen Köpfen aber setzt sich fest: Friedensbewegung und Linke demonstrieren mit Antisemiten und Holocaust-Leugnern.

Querfrontstrategen

Im Frühjahr und Sommer haben sich in fast 90 Städten Tausende in Montagsmahnwachen für Frieden engagiert, Menschen mit ganz unterschiedlichen Weltbildern. Mancherorts haben Rechte versucht, diese Bewegungen zu beeinflussen, auch zu dominieren. Das kennen wir von den Hartz IV-Protesten. Umso erstaunlicher, dass der Parteivorstand der LINKEN bereits im Mai 2014 genau wusste, dass sich in den Montagsmahnwachen „Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten“ tummeln, die „rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‚Querfront’-Strategien salonfähig“ machen wollen. Das ganze Programm also an Anklagepunkten, die aus der Geschichte kommunistischer Bewegungen nur allzu bekannt sind, aktualisiert um „Antisemitismus, Rassismus und Homo-/Transfeindlichkeit.“ (Beschluss-Nr: 2014/215 v. 25./26.Mai 2014). Besonders populär wird in den folgenden Wochen der Begriff Querfront. Er bezeichnet den Versuch, rechte Inhalte in linke Bewegungen zu schleusen. Der Querfrontpolitik verdächtigt zu werden, konnte unter Stalin tödlich enden. Karl Radek, dem galizisch-polnisch-russisch-deutschen Revolutionär und Mitbegründer der KPD, wurde im 2. Moskauer Schauprozess 1937 Querfrontpolitik vorgeworfen, in der Haft wurde er erschlagen. Auf diesem Hintergrund sollten Linke den Vorwurf mit Bedacht verwenden. Aktuell aber wird er inflationär und als Stigma benutzt, auch indirekt, wie im Kommentar von Christian Bommarius zur Friedenswinter-Demonstration in der Berliner Zeitung v.12.12.14, der mit einer Bemerkung zu Wolfgang Gehrcke persönlich endet: „Er und seine Gesinnungsgenossen sorgen dafür, dass der rechte Mob nicht alleine bleibt.“
Sachlicher mit rechten und linken Positionen in den Montagsmahnwachen setzt sich der Forschungsbericht „’Occupy Frieden’, eine Befragung von Teilnehmer/innen der ‚Montagsmahnwachen für den Frieden’“ von einer Forschungsgruppe an der TU Berlin auseinander. Der sehr erhellende Bericht ist im Internet zugänglich. Danach ordnen sich nur zwei Prozent der Befragten rechts von der Mitte ein, 38 Prozent links, 22 Prozent sehen sich in der politischen Mitte – und 39 Prozent wollen sich nicht in das rechts-links-Schema einordnen. Bei der letzten Bundestagswahl 2013 hatten von den Befragten 42% DIE LINKE gewählt, 15,5% die Piraten, 12,8% AfD, 12,2 % Grüne. Besonderes Augenmerk verwenden die Autorinnen, Autoren darauf, rechte Positionen zu erfassen. Ihr Ergebnis: Die Mahnwachenbewegung ist „in weiten Teilen klar links“ orientiert, zugleich gäbe es ein starkes Bestreben, sich der rechts-links-Einordnung zu entziehen; deutlich werden organisierte Nazis abgelehnt. Zugleich dies: „Besonders antiamerikanische und verschwörungsideologische, aber auch antizionistisch-antisemitische und autoritäre Einstellungen haben eine teils große Verbreitung“. Eine Widersprüchlichkeit, die verunsichert, aber sicher nicht Resultat einer „Querfrontstrategie“, d.h. einer bewussten Aushöhlung linken Gedankenguts durch rechtes.

Den Hintergrund der Kontroversen um den Friedenswinter sehen Gehrcke/Reymann in einem klaren Interessenwiderspruch, der im Umgang mit der Meinungsmehrheit gegen Krieg zum Ausdruck kommt:

Um ihren Kriegskurs zu verstetigen und auszuweiten, muss die herrschende Klasse diese Meinungsmehrheit knacken. Linke und Friedensaktive hingegen wissen: Sie wird nur dann stabil bleiben und Regierungspolitik beeinflussen, wenn sie sich öffentlich artikuliert und zu einem politischen Druckfaktor wird. Druck für eine Anti-Kriegspolitik ist dringend nötig. Deutschland, die NATO, zu viele Willige spielen nicht Krieg, sie führen Krieg - mit Waffen, Waren, Währungen, Wirtschaft. Siebzig Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ist auch in Europa ein großer Krieg nicht mehr ausgeschlossen; nicht unbedingt heute, doch die Vorbereitungen nehmen Fahrt auf, etwa in einer aggressiven Politik gegenüber Russland und einer ganz neuen Stufe des (atomaren, Drohnen-) Wettrüstens.

Nach Nachdenken zur Schärfe der Auseinandersetzungen in der LINKEN und zum Charakter der Friedensbewegung resümieren Gehrcke/Reymann:

Gemeinsam ist der Friedensbewegung ihr Friedenswille, Antifaschismus, Antirassismus und Gewaltfreiheit als Weg und Ziel. Das ist genug an Trennschärfe und die Plattform für Mitmachen und Zusammenarbeit. Auf ihr kann eine bunte Front des Volkes wachsen.

Wir nähern uns dem 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus. Die Rückbesinnung kann zu einer großen Kraft werden, den Schwur von Buchenwald neu zu beleben und in der Gesellschaft zu verankern: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Zum vollständigen Debattenbeitrag geht es hier ...


Wolfgang Gehrcke in Hessen:

Am 22. Januar wird Wolfgang Gehrcke in Frankenberg auf der Kreismitgliederversammlung der LINKEN zur Situation in der Ukraine sprechen - 18 Uhr im Fraktionsbüro der LINKEN Frankberg, Neustädter Straße 28

Die VVN-BdA Gießen lädt am 23. Januar zur Diskussion mit Wolfgang Gehrcke: Die Ukraine nach den Wahlen.
19 Uhr im DGB Haus Gießen, Walltorstraße 17

 

 

Hilfe für die Kinder von Donezk

Einen ganz herzlichen Dank den zahlreichen Spenderinnen und Spendern. Dank Ihrer und eurer Unterstüzung haben wir mittlerweile

42.550,84 Euro

für das Kinderkrankenhaus Gorlovka zusammen.


Assoziierungsabkommen bringen keine Entspannung 

Auszug aus der Rede von Wolfgang Gehrcke am 16.01.2015 im Deutschen Bundestag zu dem Assozierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, dass wir als Erstes darüber nachdenken, was wir den Menschen in Moldawien, in Georgien und in der Ukraine wünschen sollten und was wir möglicherweise dazu beitragen können, ihre Wünsche zu erfüllen. Ich möchte gern, dass die Menschen in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien sozial wie auch von den demokratischen Rechten her etwas besser leben, als es heute der Fall ist und in der Vergangenheit der Fall war. Das ist mir ganz wichtig. Ich glaube, dass mit diesen Abkommen - ich befürchte dies insbesondere für die Ukraine - griechische Verhältnisse einziehen werden mit einer Zerstörung des Sozialstaates und mit weiteren sozialen Verwerfungen. Ich möchte, dass das abgewehrt wird.

(...)

Ich möchte, dass für alle drei Länder Hilfsprogramme aufgelegt werden, die die Macht der Oligarchen begrenzen. Das eigentliche Problem dieser Länder sind die Oligarchen, die diese Länder ausgeplündert haben und ausplündern. Ich finde, wir dürfen die Oligarchen nicht befördern, ihnen nicht auch noch Geld zuspielen, sondern wir müssen das Geld der Oligarchen umverteilen. Ich bin für eine Enteignung der Oligarchen in diesen Ländern. Das werden aber die Menschen in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien selber leisten.

(...)

Das Zweite, das mich sehr bewegt, ist Folgendes: Wir reden über diese Abkommen ja nicht in normalen Zeiten. Normalerweise spielen solche Abkommen der Europäischen Union in der Öffentlichkeit nicht so eine große Rolle. Wir reden aber jetzt in Zeiten darüber, in denen der Krieg als reale Gefahr in Europa auf der Tagesordnung steht. Ich finde, wir haben auch eine Verantwortung, darüber nachzudenken, ob sich die Entscheidung, dass sich drei Länder an der Grenze Russlands in ein westliches System integrieren, positiv oder negativ auf die Dämpfung der Kriegsgefahr auswirkt.

Ich zitiere wieder einmal Michail Gorbatschow, weil Sie das besonders trifft. Ich denke, dass wir Gorbatschow einen besonderen Verdienst und auch Verantwortung zurechnen können. Er warnte im Spiegel vor einem großen Krieg in Europa. Er wird im Spiegel zitiert:
"Ein solcher Krieg würde heute wohl unweigerlich in einen Atomkrieg münden. ... Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben."
Das sagt Gorbatschow. Ich hoffe, dass er unrecht hat. Aber ich nehme seine Warnung sehr ernst und frage mich immer: Was können wir tun, auch speziell wir in Deutschland, damit es zu einer Dämpfung des Konfliktes kommt? Gorbatschow sagt weiter in Bezug auf Deutschland - das muss doch jeden von uns tief treffen -:
"Das neue Deutschland will sich überall einmischen. ... In Deutschland möchten anscheinend viele bei der neuen Teilung Europas mitmachen. ... Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg schon einmal versucht, seinen Machtbereich nach Osten zu erweitern. Welche Lektion braucht es noch?"
Welche Lektion braucht unser Land noch? Diese Frage legt uns Gorbatschow vor. Unser Land muss eine Lektion lernen, nämlich dass wir bei allem die künftigen Folgen bedenken.

Ich glaube, es wäre im Moment klüger, mehr Druck zu entwickeln, dass besser verhandelt wird, dass Sanktionen aufgehoben werden und dass dieses Abkommen, so wie es ist, nicht ratifiziert wird. Das wäre ein Beitrag unseres Landes. Ich glaube, damit muss man sich ernsthaft auseinandersetzen.
Ich habe die Befürchtung, dass das Abkommen Europa erneut spaltet, nicht zu guter Nachbarschaft mit Russland führt, nicht dazu führt, dass die eingefrorenen Konflikte, die nur mit Russland zusammen gelöst werden können, wirklich gelöst werden. Ich denke an Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Berg-Karabach und viele andere Regionen. Diese Probleme kann man nur mit Russland zusammen lösen.
Hier zur vollständigen Rede

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Lesetipp: Götz Hausding
Der Heimatlose: Wolfgang Gehrcke in "Das Parlament"(hier zum Artikel)