Ça ira Nr. 120: Was sollte uns bewegen? (21.3.2016)

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Was sollte uns bewegen?


... und warum wir uns bewegen müssen, um andere zu bewegen!

* Die jüngsten Landtagswahlen

* Gleiches Maß für alle!

* Heraus zum Ostermarsch

 

Warum gilt DIE LINKE nicht (mehr) als Protestpartei?


Nach den Landtagswahlen brauchen wir ein tieferes Verständnis unserer Stärken und Schwächen

Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen, ist schwer; noch schwerer ist es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. DIE LINKE hat in hohem Maß Vertrauen verloren, nicht erst bei den jüngsten Landtagswahlen. Bei einem Blick auf vorangegangene Wahlergebnisse in Berlin, Brandenburg, Sachsen hätten schon alle Warnleuchten blinken müssen. Dort, wo wir viel hatten, haben wir viel verloren, dort, wo wir wenig hatten, namentlich in westlichen Landesverbänden, darunter Hamburg, Bremen oder Hessen, aktuell auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, konnten wir bei Landtagswahlen beachtlich, manchmal auch nur ein klein wenig, gewinnen. Wir müssen jetzt den komplizierten Weg, Vertrauen zurückzugewinnen, gehen. Dazu braucht man zuerst einmal Vertrauen untereinander in der Partei DIE LINKE und mit Partnerinnen und Partnern. Aber auch das ist schon schwer geschädigt. Doch eine gemeinsame Analyse und eine politische Konzeption sind dringend geboten. Beide liegen bis heute nicht vor und sie werden noch nicht einmal gemeinsam diskutiert. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten. Nach den ersten Gedanken im letzten Ça ira möchte ich heute auf einige Argumente eingehen, die seitdem geäußert wurden.

Erstens: Es ist noch nicht einmal für alle Beteiligten klar, ob man die verlorenen Wählerinnen und Wähler zurück gewinnen will. Ich höre in der Fraktion und im Parteivorstand auch, den Wählerinnen und Wählern, die von uns zur AfD gegangen sind, weinten wir keine Träne nach. Rassisten und Neonazis wollten wir nicht, auch nicht als Wähler. Wir orientierten uns auf ganz andere Schichten der Gesellschaft, namentlich junge, urbane Leute.
Das ist fatal! Gewiss: die AfD ist eine rassistische wirtschaftsliberale Partei, aber das gilt nicht für alle ihrer Wählerinnen und Wähler. Die PDS hat sich im Osten über viele Jahre große Verdienste auch dabei erworben, dass sich keine stabile rechte Protestkonstellation herausbilden konnte. Selbst DVU und NPD haben das nicht geschafft. Das ändert sich gerade. Es kann zwar gut sein, dass auch die AfD sich spaltet und ausdifferenziert, aber ihre Strömung wird auf absehbare Zeit bleiben und sich politisch artikulieren; zumal sich diese parlamentarische Kraft – auch das im Unterschied zu früheren Wahlerfolgen der Rechten – auf eine recht breite und schon recht lange aktive außerparlamentarische Bewegung stützen kann, namentlich in den ostdeutschen Bundesländern. Die LINKE sollte auf keine Wählerinnen und Wähler, sie sollte nicht auf den Kontakt, den Willen zu überzeugen und den Meinungsstreit dafür in der Bevölkerung in ihrer ganzen Breite verzichten, auch mit Meinungen, die aktuell mit unseren Positionen wenig zu tun haben. Das hat nichts mit Anpassung an irgendwie geartete rechte Positionen zu tun, sondern es ist Kampf um die Köpfe in Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und den anderen Parteien.

Zweitens: Herabsetzend wird – teils im Umfeld und in der LINKEN selbst – über Protestwähler gesprochen. Das Gegenteil gehörte aber einmal zu unserem Selbstverständnis, zu unserem Markenzeichen: wir haben damit geworben, dass eine Stimme für die PDS ein Protest gegen die herrschende Politik sei. Heute taucht dieses Argument kaum mehr auf und man fragt sich: Sind wir – noch – eine Protestpartei? Von einer großen Mehrheit der Wählerinnen und Wähler werden wir in die Schublade „etablierte Politik“ gesteckt. Ich plädiere dafür, in der alltäglichen Praxis unserer Partei, in unserer Kultur, dem Erscheinungsbild, in den Wahlprogrammen muss sich Protest gegen die Politik der Herrschenden ausdrücken, in der Haltung unserer Kandidatinnen und Kandidaten ebenfalls.

Drittens: Besonders bitter für uns: Wir haben keine Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse hinzugewonnen und Menschen aus den marginalisierten Schichten verloren. Die Feststellung, es sei uns nicht gelungen sei, die soziale Frage mit der Flüchtlingsfrage zu verbinden ist richtig, aber sie bleibt sehr abstrakt und wird solange nicht „die Massen ergreifen“, sie nicht auf uns zu bewegen, solange wir das Wesentliche der sozialen Frage, ihren eigentlich Grund und Hintergrund, nämlich Empörung und Protest gegen die herrschenden sozialen Verhältnisse, nicht selbst ausdrücken und, noch mehr: selbst verkörpern, selbst sind. 

Viertens: Die Fähigkeit zum sozialen Protest ist mit dem Abbau von Ängsten verbunden. Abstiegsängste treiben Wählerinnen und Wähler eher nach rechts als nach links. Abstiegsängste gibt es in den Mittelschichten wie in der Facharbeiterschaft. Ängste kann man abbauen, wenn die Individuen und diese sozialen Schichten merken: Sie sind nicht allein, es gibt eine Kraft an ihrer Seite, die mit ihren Alternativen auch zugleich ihre Interessen verficht.

Fünftens: Manche Themen sind bei Funktionären der  LINKEN unbeliebt, weil man befürchtet, sich mit ihnen zu isolieren. Beispiele: Verhältnis zu Russland, Frieden in Syrien, Euro-Kritik. Diese Liste ist durchaus noch länger. Wenn wir hier nicht mehr mit unseren Argumenten im Meinungsstreit vertreten sind, breitet sich die Rechte aus.

Sechstens: Wir erleben nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und weltweit, dass sich Wählerinnen und Wählern von sogenannten Eliten abwenden: Die hätten die Karre in den Dreck gefahren; auch so kann sich Widerspruch zu neoliberaler Politik äußern. In den USA zeigt er sich in der Popularität von Berni Sanders wie auch, so abstrus es erscheinen mag, im „Siegeszug“ von Donald Trump. Hillary Clinton – das ist für viele Inbegriff der korrupten, verhassten Wallstreet-Elite, die die Politik in Washington bestimmt. Bei uns ist die linke Kritik des Finanzkapitals und der Machenschaften von Börsen, Banken, Medien und Netzwerken im Hintergrund schwieriger geworden, seitdem sie leichtfertig mit einem Vorwurf des Antisemitismus belegt wird, was wiederum die Mainstream-Presse gern aufgreift.

Siebtens: Wäre all das durch eine Koalition mit der CDU zu beantworten? Nehmen wir einmal Sachsen-Anhalt: DIE LINKE hat die Wahlen krachend verloren, sich jetzt der CDU aus Gründen der Stabilität als Koalitionspartner zur Verfügung zu stellen, wird unweigerlich zu einem weiteren Aufstieg der AfD und einem weiteren Abstieg der LINKE führen. Diese Frage nach einer Regierungsbeteiligung in Koalition mit der CDU mit Ja zu beantworten, wäre nur zulässig, wenn wir aktuell die Machtübernahme des Faschismus verhindern müssten. Das ist heute nicht gegeben. Keinen Unterschied zu machen zwischen nationalem Selbstverständnis und Nationalismus, zwischen (Rechts-)Konservativen und Faschisten, das war – neben der Sozialfaschismustheorie – ein entscheidender Fehler der KPD in der Weimarer Republik. Schon wieder wird auch in unserer Partei davon gesprochen, dass „Weimarer Verhältnisse“ drohten. Dieser Begriff ist geprägt von dem Inhalt, dass sich Rechte und Linke gegenseitig bekämpft und so die Demokratie zerstört hätten. Das war damals nicht die Ursache des Scheiterns von Weimar und es ist heute eine unsinnige und gefährliche Analogie; sie bedient subtil die Fälschung der Geschichte, die –  zumal im Westen –  nahezu ins Alltagsbewusstsein übergegangen ist: Rechts und links gefährdeten beide gleichermaßen die Demokratie.

 

Darf der das?


... ein Interview mit MdB Dr. Diether Dehm

Mein Fraktionskollege Dr. Diether Dehm beantwortete uns Anfang März aus aktuellem Anlass einige Fragen zur Tätigkeit von Christian Klar für sein Büro als Mitglied des Deutschen Bundestages:

• Seit wann kennen Sie eigentlich Christian Klar?
Ich kenne Christian Klar seit einigen Jahren. Ich habe ihn auf einer Friedenskundgebung kennen gelernt.


• Meinen Sie, dass Straffällige überhaupt Mitarbeiter eines MdBs werden dürften, wissen Sie etwas über die Tätigkeit von Waffenlobbyisten oder Steuerbetrügern für MdBs, rechtskräftig vorbestrafte oder straffrei gebliebene?
Ich will mich eigentlich in keiner Weise zu irgendwelchen aktuellen Vergleichen zu rechten Terroristen aus dem Waffenhändler‐Milieu oder zu Profi‐Steuerhinterziehern wie Uli Hoeneß oder Herrn Zumwinkel äußern. Man sollte hier nicht versuchen, das eine gegen das andere aufzuwiegen. Zumal ich immer in den Verfügungen und Kenntnissen des Rechtsstaats zu agieren habe: Die Taten der RAF sind diesbezüglich nicht vom Rechtsstaat letztendlich en Detail aufgearbeitet oder heute noch sämtlich aufklärbar, auch weil eben keine Aussagen von direkt Beteiligten dazu vorliegen. Auch diese Verweigerung von Aussagen zu Taten selbst‐ und auch eine Verweigerung der jetzt wieder von BILD abgeforderten Reueformeln‐ haben für Christian Klar die Haft übrigens um sehr viele Jahre verlängert. Es ist nun nicht an mir, über Christian Klar mehr zu spekulieren, als der Rechtsstaat Feststellungen getroffen hat oder gar eigene Nachforschungen anzustellen.


• Wie beurteilen Sie die politische Tätigkeit Straffälliger in Deutschland aus dem rechten Spektrum und aus der oft gelobten „Mitte“ der Gesellschaft im Vergleich mit dem sogenannten linken Spektrum?
Christian Klar "saß" 26 Jahre. NS‐Rüstungsminister Albert Speer saß jedenfalls nur 20 Jahre. Der Auschwitz‐Wegbereiter Globke saß gar nicht, und der wurde stattdessen gemeinsam mit dem Auschwitz‐Finanzier Abs von der Deutschen Bank Berater von Adenauer. Speer, Globke und Abs blieben dem kriminellen Großkapital treu. Und wie glaubwürdig deren unverbindliche Reueformeln waren, muß jeder selbst beurteilen. Für die Sozialstaatlichkeit und das Angriffskriegsverbot in unserer Verfassung haben sich diese früheren Naziverbrecher jedenfalls nie eingesetzt.

Meinen Sie, dass man RAF‐Aktivisten wie Christian Klar überhaupt jemals vergeben darf?
Dies ist ja ein Kern unseres Strafrechts! Vom christlichen Abendland ganz zu schweigen. Bereits Friedrich Engels riet im Vorwort zu den "Klassenkämpfen in Frankreich", daß die Linke den demokratischen Rechtsstaat verteidigen sollte, besonders dort, wo es die Bourgeoisie nicht mehr tut. Christian Klar hat eine für bundesdeutsche Verhältnisse äußerst harte Strafe verbüßt, auch deshalb, weil er vor Gericht keine Reueformeln gesprochen hat. Aber es finden
sich in Christian Klars Interview mit Günter Gaus und auch anderswo im Netz durchaus entsprechende Formulierungen von ihm. Diese mögen der BILD‐Zeitung unbefriedigend erscheinen, das ändert aber nichts daran, dass in einem Rechtsstaat ein früherer Straftäter nach dem Abbüßen, also nach der Haftentlassung, undiskriminiert einer bezahlten Arbeit nachgehen kann ‐ und soll! Als Selbstständiger oder als Arbeitnehmer. Dass eine
Arbeitssuche in der sogenannten Privatwirtschaft mit einem entsprechend belastenden Namen wie "Christian Klar" nicht ganz leicht fällt, dürfte auf der Hand liegen.


• Meinen Sie, dass Christian Klar heute eine terroristische Rolle spielen könnte?
Bemerkenswerterweise hat am 21.Feburar der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts, Professor Michael Buback, erklärt, daß es in Ordnung sei, wenn Christian Klar für mich Webdesign macht. Christian Klar hat sich seit der Entlassung 2008 nichts zu Schulden kommen lassen. Warum ausgerechnet die Tätigkeit mit technischen
Arbeiten für einen Abgeordneten nicht infrage kommen soll, mag das Geheimnis von Erika Steinbach, den Shitstorm‐Trollen der Konrad‐Adenauer‐Stiftung und des BND oder anderer rechter facebook‐Hetzer bleiben. Entweder die EU-Staaten entscheiden sich für die Todesstrafe wie in den USA. Dann braucht man kein Resozialisierungsziel und dann
gibt es keine zweite Chance im Leben. Oder wir entscheiden uns für den Rechtsstaat und unser Strafrecht. Und das heißt dann: Resozialisierung geht eben auch von der aufklärerischen Hoffnung aus, daß ein Mensch sich ändern kann. Ohne eine weitere Strafe und ohne Berufsverbot. Für die diesbezügliche Klarstellung danke ich meiner Fraktion und besonders Halina Wawzyniak.
Kurz, bevor man bei uns aus der Haft entlassen wird, hat der Rechtsstaat ein Gericht eingesetzt, dass die Frage zu prüfen hat, ob eine Wiederholung der Tat auszuschließen ist. Dies ist auch im Falle Christian Klar geschehen. Und ich habe dem nichts hinzuzufügen und handle entsprechend. Auch gegen den ganzen Druck der letzten Tage habe ich das Tätigkeitsvolumen für Christian Klar übrigens jetzt heraufgesetzt.


• Welche Kompetenzen bringt Christian Klar mit, um bei Ihnen tätig werden zu können?
Abseits von Gesinnungsschnüffelei hatte ich mir selbstverständlich vor dem Vertrag mit Christian Klar ein eigenes Bild von ihm gemacht, bei dem ich keinerlei Anhaltspunkte gefunden habe, dass mein künftiger Webdesigner jetzt und hier gegen den demokratischen Rechts‐ und Sozialstaat oder das Grundgesetz kämpft. Mein Eindruck war, daß Christian ein nachdenklicher Mensch ist. Meinen Eindruck muss ich vor mir verantworten und nicht vor BILD oder Frau Steinbach. Und Christian Klar hatte ja bereits für meine Musikverlage sehr präzise gearbeitet. Seine Kenntnisse in modernster Kommunikationstechnologie und seine Fähigkeiten als Webdesigner sind hervorragend. In vielen politischen Gesprächen am Rande riet Christian Klar übrigens sehr häufig Menschen von radikalistischer Scharfmacherei ab. Er kennt auch meine grundsätzliche strategische Gegnerschaft zur RAF, die ich gelegentlich mit
einem Telegramm untermauere, das Lenin verschickt hatte, wohl an österreichische Anarchisten: "Terror ‐ auf dem Höhepunkt von Massenaktionen ‐ mag revolutionär sein, anstelle von Massenaktionen ist er konterrevolutionär."

Wir bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch!

Am 17.03.2016 erschien in der Wochenzeitung Die Zeit (2016, Nr. 13, S. 12) in der Rubrik "Recht & Unrecht" ein noch ausführlicheres Interview mit MdB Dr. Diether Dehm.

 

Heraus zum Ostermarsch, denn Frieden braucht machtvolle Bewegungen!


Aktuelle Aufrufe und Termine

Abrüstung, DIE LINKEFriedenspolitische Beschlüsse der LINKEN sind hier zu finden:

http://www.die-linke.de/nc/politik/aktionen/friedens-und-entspannungspolitische-konferenz/beschluesse/

Regionale Termine und Aufrufe sind hier zu finden:

http://www.ostermarsch-info.de/

http://www.friedensratschlag.de/?Startseite:Ostermarsch_2016

http://www.friedenskooperative.de/termdat.htm

Bereits am letzten Wochenende fand die Friedens- und entspannungspolitische Konferenz der LINKEN in Berlin statt. Eine Pressemitteilung von Bernd Riexinger „Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!“ im Nachgang zu dieser Konferenz sind hier zu finden: http://www.die-linke.de/nc/presse/presseerklaerungen/detail/zurueck/presseerklaerungen/artikel/fluchtursachen-bekaempfen-waffenexporte-stoppen/