Ça ira Nr. 75: Europa-Parteitag der LINKEN 2014 (23.2.2014)

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Jedes Ding geht mit seinem Gegenteil schwanger

Wolfgang Gehrcke - Frieden und Solidarität

Dieser Ça ira steht noch ganz im Zeichen des Europa-Parteitags der LINKEN. „Jedes Ding geht mit seinem Gegenteil schwanger“ hat Wolfgang Gehrcke seine ersten Gedanken zur Auswertung überschrieben. Aus seiner Parteitagsrede wurde in der Presse vor allem dieser Satz zitiert: “Wenn wir so werden sollen, wie Gabriel es ist, dann pfeife ich auf die Regierungsteilhabe.“ Er hat aber noch mehr gesagt, unten ist es nachzulesen. Und die Außenpolitik macht auch keine Pause. In seiner Rede zum ISAF-Afghanistan-Mandats erinnert Wolfgang Gehrcke daran, dass er schon 2001 im Bundestag unter ganz anderen Bedingungen einen Blauhelmeinsatz, den die SPD jetzt für Afghanistan entdeckt, als Alternative zum Krieg in die Diskussion gebracht hat.


Zum Europa-Parteitag der LINKEN

Die Presse hat die „Sieger“ des Europaparteitags der LINKEN ausgemacht: Es sind die „Pragmatiker“ (n-tv v. 16.02.2014), die sich gegen die „Ultras“, „Kalten Krieger“ (Süddeutsche Zeitung v. 15./16.02.2014) und „Fundamentalisten“ (Reuters v. 15.02.2014) durchgesetzt hätten. Wer, wie ich, politische Auseinandersetzungen nicht entlang der Kategorien „Sieger“ und „Verlierer“ analysiert – sie sind untauglich, weil schwarz-weiß und von militärischer Denkungsart geprägt -, wird zu differenzierteren Einschätzungen kommen. Als Zustandsbeschreibung nach dem Parteitag hat sich bei mir das sprichwörtliche „Mampe halb und halb“ festgesetzt, halb bitter, halb süß, die (Geschmacks-) Qualität ist nicht eindeutig; oder dichter an Marx: Jedes Ding geht mit seinem Gegenteil schwanger.

Botschaften und Subtexte

Der Parteitag befasste sich mit der Europapolitik. Das war sein Gegenstand, dazu lagen Anträge und Änderungsanträge vor, für die Liste zum Europaparlament kandidierten Genossinnen und Genossen. Nicht zur Debatte stand die Frage, ob und eventuell wie sich DIE LINKE auf eine Regierungsbeteiligung im Bund 2017 vorbereitet. Doch das war der Subtext des Parteitags. Er wurde parallel thematisiert – „drinnen“ unter den Delegierten Europapolitik, „draußen“ auf den Gängen, in der Presse, bei unseren Konkurrenten Regierungsbeteiligung – und/oder verwoben mit den Sachentscheidungen zur Europapolitik, wobei „drinnen“ und „draußen“ zu einer Melange ungleichartiger Zutaten und Absichten verschwimmen. Das macht die Analyse der jeweiligen Interessen nicht einfach.

Ost – West? Rechts – links?
Leitungen, Strömungen oder Küchenkabinette?

Die Entscheidungen zum Wahlprogramm und zur Liste belegen: Differenzen, Widersprüche verlaufen nicht entlang der Linien Ost – West oder Leitung(en) – Basis, rechts – links. Der Ost-West-Unterschied ist, weil so simpel, eine gebetsmühlenartige Masche der Medien. Sie erhalten dafür immer mal wieder Nahrung aus der Partei selbst, z.B. wenn die ostdeutschen Landesvorsitzenden sich zu einem „geheimen Personalvorschlag“ für die Europaliste der LINKEN verabreden. Das Begriffspaar Führung - Basis beschreibt aktuell nicht eine mögliche Konfliktlinie innerhalb der LINKEN. Der Parteivorstand hat sich im Zuge des Europaparteitags selbst entmachtet, er war kein aktiver Teil, schon gar nicht Motor notwendiger Kompromisse oder Konsensus. Und die Autorität des Bundesausschusses wurde angekratzt. Andere Leitungen haben seine Beschlüsse zur inhaltlichen Vorbereitung des Parteitags und seinen Personalvorschlag nicht ernst genommen. Fehlt eine aktive Rolle der Leitungsgremien, die das Statut vorsieht, dann wird diese Leerstelle durch intransparente und informelle Kreise gefüllt. „Parteirechte versus Parteilinke“ letztlich ist ein viel zu grobes Raster für Differenzen innerhalb der LINKEN; sofern es sich zudem auf Strömungen und Plattformen bezieht, wird es noch untauglicher, denn deren Einfluss geht zurück. Ob dadurch mehr innerparteiliche Transparenz und Demokratie einkehrt, ist fraglich. Ich sehe eher eine Stärkung informeller, intransparenter Entscheidungsstrukturen und ein (Wieder-) Erstarken diverser Küchenkabinette und Netzwerke.

Verlockung Regierung

Ihre Ziele für Europa hat DIE LINKE unter großem äußeren Druck formuliert. Seit dem SPD-Beschluss von Mitte November letzten Jahres, wonach eine Koalition mit der LINKEN nicht mehr generell ausgeschlossen sei, wurde der Hamburger LINKEN-Parteitag gleichfalls zum Prüfstein ihrer Regierungsfähigkeit gemacht. Denn die SPD knüpft die Regierungstauglichkeit der LINKEN an eine Bedingung: Sie müsse sich grundlegend verändern, zuallererst und vordringlich ihre Außen- und Sicherheitspolitik. „Erster Testfall wird das Programm für die Europawahl“, schrieb der Spiegel am 25.11.2013. Nach sattsam bekanntem Drehbuch machen die Mainstream-Medien den „Kampf zwischen Fundis und Realos um die Regierungsfähigkeit“ aus. Sie verbreiten Ratschläge wie den von Ernst-Dieter Rossmann, Sprecher der SPD-Parteilinken im Bundestag: „Eine künftige Zusammenarbeit hängt vor allem davon ab, ob sich in der Linkspartei die pragmatischen Reformkräfte um Gregor Gysi durchsetzen“. (Focus v. 25.11.2013). Und sie protegieren die Kräfte in der LINKEN, die sie für jene „pragmatischen Reformkräfte“ halten.
In der Medien-Reflexion wurde der Subtext des Hamburger Parteitags, die Regierungsfrage, wichtiger als sein europapolitischer Gehalt. Und der Ton wurde schärfer. Der Parteitag hat sich von diesem Druck nur teilweise befreien können. Heraus gekommen ist nicht ein Parteitag des Aufbruchs, eher ein Parteitag „Mampe halb und halb“. Über die Qualität und Tragfähigkeit der europapolitischen Alternativen einschließlich ihrer teils ungleichen Zutaten und Absichten wird jetzt zunächst die Praxis entscheiden getreu dem Motto: The proof of the pudding is in the eating. Für den EU-Wahlkampf gibt es viele Ideen aus unseren deutschen und europäischen politischen Zusammenhängen. Wir können einen Wahlkampf führen, der sich erfrischend unterscheidet von dem dumpfen CDU/CSU-, SPD und GRÜNEN-Einerlei, das sich erschöpft in „Mehr Europa, mehr Europa“. Alle sprechen von Quantität. Wir sprechen von den Qualitäten eines demokratischen, sozialen, ökologischen, friedlichen Neustarts der EU und ganz Europas.

Es gibt immer Alternativen in der Politik - Rede von Wolfgang Gehrcke auf dem Europaparteitag in  Hamburg

 

Aktuelles

Ukraine - Nie war die EU neutral, diese Feststellung des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder stimmt. Die EU war immer Teil und Partei in diesem Konflikt. Das Verhältnis zu Russland ist auf einem Tiefpunkt angekommen. Das hätte eine kluge Außenpolitik nie zulassen dürfen. Die EU hat mitgeputscht
(Stellungnahme von Wolfgang Gehrcke zur Situation in der Ukraine)

Bundestagsdebatte zur Verlängerung ISAF-Mandat

Herr Gauck hat in München gesagt: „Der Einsatz der Bundeswehr war notwendig ...“ Meine Position, die Position meiner Fraktion, ist: Der Einsatz der Bundeswehr, der Eintritt Deutschlands in diesen Krieg, war moralisch schändlich, politisch falsch und antihuman. Die ganze Rede lesen

An dieser Stelle verweisen wir noch einmal (so wie Wolfgang Gehrcke auch in seiner Rede) auf sein Buch "Afghanistan - So werden die neuen Kriege gemacht".


Kleines Medien-Echo zum Hamburger Parteitag

> Als Wolfgang Gehrcke vom Podium geht, wird er von vielen der 500 Delegierten der Linkspartei in Hamburg gefeiert wie ein Sieger. Gehrcke ist ein rhetorisch versierter Außenpolitiker, ein Mann des linken Flügels. Er hatte die Formulierung, dass die EU die Formel „neoliberal, militaristisch und weitgehend undemokratisch“ in dem Leitantrag zur Europawahl mit durchgesetzt. Die wurde inzwischen vom Parteivorstand kleinlaut wieder entfernt, und so recht wollte danach auch niemand mehr je dafür gewesen sein. Gehrcke aber verkündet nun, dass „die EU militaristisch“ ist. „Daran ist nichts Falsches“, sagt er lautstark und trotzig. Es folgt donnernder Applaus. (taz.de vom 15.02.2014)

> Wolfgang Gehrcke übte sich in der Radikalität des Alters (fr-online vom 15.02.2014)

> Wolfgang Gehrcke hat schon verloren, bevor er ans Rednerpult im Congress Center Hamburg tritt. Als er wieder heruntersteigt von der Bühne des Europaparteitages der Linken, da darf er sich kurz als Gewinner fühlen. Applaus und Gejohle begleiten ihn. Gehrke ist jetzt so etwas wie der Anti-Europäer der Herzen. Ein Kommunist durch und durch. (Süddeutsche.de vom 15.02.2014)

> Laut wird es wieder, als (ihm) ein Ultralinker antwortet: "Wenn wir so werden sollen, wie Gabriel ist, dann pfeife ich auf die Regierungsteilhabe", ruft der Abgeordnete Wolfgang Gehrke und löst zustimmendes Gejohle aus. (n-tv vom 16.02.2014)

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Termine

10. März 2014, 19 Uhr - Berlin Buchlesung mit Sabine Kebir und Wolfgang Gehrcke zu Ilse Stöbe

10. - 14. März - Berlin Sitzungswoche Deutscher Bundestag