Ça ira Nr. 97: Anerkennung Palästinas (24.4.2015)

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LINKE - Antrag im Bundestag

Staat Palästina anerkennen

Vor 50 Jahren, am 12. Mai 1965, haben Israel und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen. Das war insofern ein „einseitiger“ Akt, als laut UNO-Teilungsplan von 1947 die Staaten Israel und Palästina gleichzeitig gegründet werden sollten. Auch wurde bei der diplomatischen Anerkennung nicht zugleich auf das Existenzrecht Palästinas verwiesen. Der Begriff einseitig spielte in der Bundestagsdebatte zum LINKEN-Antrag „Staat Palästina anerkennen – Vollmitgliedschaft Palästinas in der UNO aktiv unterstützen“ eine zentrale Rolle. Debattenrednerinnen und –redner aller anderen Bundestagsparteien führten ihn ins Feld, um ihre Ablehnung der Anerkennung jetzt zu begründen. Die CDU/CSU hält es für verkehrt, so ihr Redner Johann Wadephul, „einseitig voranzugehen, Palästina einseitig anzuerkennen“; für Omnid Nouripour ist „eine unverzügliche Anerkennung...eher eine Trotzreaktion, aber keine Politik“, laut Niels Annen (SPD) würden „einseitige Maßnahmen das Konfliktpotenzial erhöhen und deswegen eine dauerhafte Belastung für den Friedensprozess darstellen“ und Andrea Lindholz (CDU/CSU) verweist darauf, dass Israel seinen Botschafter aus Stockholm abgezogen hat, nachdem Schweden Palästina anerkannt hat, und warnt: „Eine solche Eskalation der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland ... zu riskieren, wäre unerträglich.“

Hier zum Antrag der Fraktion DIE LINKE.

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Wir müssen unseren Freunden sagen, was heute notwendig ist

Rede von Wolfgang Gehrcke im Deutschen Bundestag am 23. April 2015 in der 1. Lesung zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Staat Palästina anerkennen – Vollmitgliedschaft Palästinas in der UNO aktiv unterstützen“

Unser Antrag, der hier im Parlament bereits diskutiert worden ist, hat eine sehr lebhafte Debatte ausgelöst. Ich will Ihnen nur einmal aus einem Kommentar des ehemaligen israelischen Diplomaten Alon Liel im Tagesspiegel zitieren. Er schreibt:

Es ist gut möglich, dass die schicksalhafte Entscheidung, ob jemals ein palästinensischer Staat entstehen wird, in den Händen des Bundestages liegt.

Ich finde, er hat Recht, und genau deswegen haben wir den Antrag geschrieben und hier eingebracht.

Ich möchte mit Ihnen jetzt einmal sehr ernsthaft ausloten, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, um diese katastrophale Situation im Nahen Osten, möglichst in Richtung Frieden, zu beenden. Sie kennen ja die Erklärung des israelischen Regierungschefs Netanjahu, dass es keinen palästinensischen Staat geben wird, solange er Regierungschef ist. Er hat seine Erklärung zwischenzeitig relativiert das weiß ich auch , aber das ist seine Grundeinstellung.

Ich denke, dass man hier drei Möglichkeiten gegeneinander abwägen muss:

Erste denkbare Möglichkeit. Es bleibt beim Besatzungsstatut und einer Fortsetzung der Besatzung Palästinas. Das wird immer wieder Gewalt produzieren und gewaltsame Auseinandersetzungen mit sich bringen. Die Fortsetzung der Besatzung ist nicht friedlich zu gestalten.

Die zweite denkbare Möglichkeit ist ein gemeinsamer demokratischer Staat mit demokratischen Institutionen, gegenseitiger Akzeptanz und der Bereitschaft zu einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft. Das würde bedeuten, dass die Jüdinnen und Juden in diesem Staat in der Minderheit wären. Das wird in Israel nicht akzeptiert und scheidet deswegen klar aus.

Die dritte denkbare Möglichkeit ist, dass es zwei demokratische Staaten nebeneinander gibt, die miteinander verbunden sind: Israel und Palästina.

Sie entscheiden jetzt, in welche Richtung der Deutsche Bundestag votieren und Druck entwickeln soll. Meine Entscheidung ist hier völlig klar: Ich möchte, dass ein lebensfähiger und demokratischer palästinensischer Staat entsteht, und das muss relativ schnell passieren. Es ist nicht mehr viel Zeit.

Ich möchte gerne einmal aus dem grandiosen, großartigen Buch mit dem Titel Judas von Amos Oz zitieren, das zur Buchmesse herausgebracht worden ist. Ich kann jedem nur empfehlen, dieses Buch zu lesen. Amos Oz beschreibt die Debatte in Israel vor der Staatsgründung. Er sagt:

Dieses Land wird in zwei selbstständige Staaten aufgeteilt, die durch eine Wirtschaftsunion und eine gemeinsame Währung verbunden sind. Jerusalem und Bethlehem werden unter internationale Kontrolle gestellt.

Ich finde das eine großartige Vision, die er im Rückblick entwickelt. Er schließt solche Überlegungen also nicht aus. Um dorthin zu kommen, führt der Weg heute über einen eigenständischen demokratischen palästinensischen Staat.

Zum Abschluss will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, was seine - meine auch - Angstvision ist. Er schreibt in diesem Buch auch:

Die Araber erleben Tag für Tag die Katastrophe ihrer Niederlage, und die Juden erleben Nacht für Nacht ihre Angst vor der Rache.

Das ist die Angstvision von heute. Ich finde, aus dieser Angstvision muss es einen Ausweg geben, und ich möchte gerne, dass wir diesen Ausweg mit aufzeigen.

Der Bundestag hat die Verpflichtung, klar für eine Zweistaatenlösung einzutreten. Der Weg zur Zweistaatenlösung geht über eine Vollmitgliedschaft Palästinas in der UNO. Warum soll man denn unseren Freunden nicht sagen, was heute notwendig ist?

Herzlichen Dank. 

Hier geht es zum Video der Rede von Wolfgang Gehrcke

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Positionen zur Anerkennung Palästinas

Mit der überwältigen Mehrheit von 138 Staaten stimmte die UNO Vollversammlung 2012 für einen palästinensischen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Weltweit haben mittlerweile 135 Staaten Palästina anerkannt. In Westeuropa hat das Schweden getan. Das Europaparlament, die Parlamente Spaniens, Großbritanniens, Irlands, in Frankreich die Nationalversammlung und der Senat fordern dasselbe von ihren Regierungen, wenn nicht rasch eine Verhandlungslösung für zwei Staaten gefunden wird.

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Nach einer heute veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern sprechen sich 71 Prozent dafür aus, dass Deutschland den Staat Palästina offiziell anerkennt. Von den Sympathisanten der LINKEN sind es 93 Prozent, von denen der Grünen 81 Prozent, von denen der SPD 78 Prozent; 69 Prozent der CDU/CSU- und 58 Prozent der AfD-Anhänger sind auch dafür.

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Im Tagesspiegel vom 20. April wendet sich Alon Liel „in einem fast verzweifelten Appell an die Mitglieder des Deutschen Bundestages“. Alon Liel ist Israeli von aus Deutschland stammenden Eltern, ehemaliger Diplomat, er war 1992 bis 1994 Botschafter Israels in Südafrika und von 2000 bis 2001 Generaldirektor des israelischen Außenministeriums. Er schreibt: „Es ist gut möglich, dass die schicksalhafte Entscheidung, ob jemals ein palästinensischer Staat entstehen wird, in den Händen des Bundestages liegt.“
An anderer Stelle: „Nur die Gründung Palästinas wird es dem Staat Israel, der Millionen von Deutschen so teuer und wichtig ist, ermöglichen, seinen Charakter als jüdischen und demokratischen Staat zu wahren.“

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In einer Kontroverse des IPG- (Internationale Politik und Gesellschaft) Journals (www.ipg-journal.de/) schreibt Efraim Inbar contra eine Anerkennung: „Viele Europäer scheinen intellektuell unfähig zu begreifen, dass die Palästinenser einen gescheiterten Staat etabliert haben und dass ihre Nationalbewegung pathologisch dysfunktional ist.“ Aus seiner Sicht ist der „unverschämte Appetit der Palästinenser auf Jerusalem ein Hemmnis für den Frieden.“
Pro Anerkennung nimmt Sam Bahour Stellung: „Jetzt hat Deutschland die Gelegenheit, die Region vor zukünftiger Gewalt zu schützen und Israel vor sich selbst.“ Und: „Mittlerweile ist klar, dass die Mehrheit der Welt einen palästinensischen Staat akzeptiert. Wenn nun internationale Schlüsselstaaten wie Deutschland sich davon verabschieden, darf sich niemand wundern, wenn die jüngere Generation von Palästinensern das Ringen um den eigenen Staat ein für alle Mal beendet. Doch gerade dann wären wir zurück in einem endlosen Kreislauf der Gewalt.“

 

Die Antisemitismus-Kampagne gegen links

Auszug aus einem Interview mit Wolfgang Gehrcke in den Nachdenkseiten über sein in Kürze erscheinendes Buch "Rufmord. Die Antisemitismus-Kampagne gegen links"

"Herr Gehrcke, in ihrem neuen Buch „Rufmord: Die Antisemitismus-Kampagne gegen links“ thematisieren sie eine Rufmord-Kampagne gegen links-humanistische Positionen. Um was für eine Kampagne und was für einen Rufmord geht es denn da?

Es geht um Rufmord gegen linkes Denken insgesamt in seinen unterschiedlichen Ausprägungen mittels des Antisemitismus-Vorwurfs. Der politischen Linken soll Kritik an den USA, Solidarität mit Befreiungsbewegungen, hier besonders mit der PLO, sowie Kritik am Bankensystem offenbar ein für alle Mal ausgetrieben werden. (...)

Warum reagiert die Linke denn so empfindlich auf diesen Antisemitismusvorwurf? Wäre es nicht besser, diese ganzen Kampagnen ins Leere laufen zu lassen?

Nein, denn das würde bedeuten, zur Rechtsentwicklung in unserm Land und in Europa zu schweigen, sich aus dem Konflikt Israel-Palästina rauszuhalten und so Raum für Rassismus und Antisemitismus zu schaffen. Und genau das, uns und unsere Positionen zum Verstummen zu bringen, ist ja das offensichtliche Ziel der ganzen Aktion. Wer glaubt, da ginge es den Herrschenden darum, „den Linken“ ihr „Rechtssein“ auszutreiben, der hat noch nicht begriffen, was wirklich geschieht…

Hier gelangen Sie zum vollständigen Interview aus den Nachdenkseiten und hier zu den Seiten des PapyRossa-Verlages, auf denen das Buch vorbestellt werden kann.

 

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Zurückzahlen! - Deutschland muss endlich seine bestehenden Kreditschulden an Griechenland begleichen.

Petition des Griechenland-Solidaritätskomitee Frankfurt/Rhein-Main 

Wir fordern den Bundestag auf zu beschließen, dass die Bundesrepublik Deutschland den Kredit, den Griechenland während der Besatzung durch Nazideutschland in den Jahren 1942 – 1944 unter Zwang dem Deutschen Reich gewähren musste, samt Zinsen und Wertausgleich zurückzahlt. 

Bei Kriegsende betrug die Summe – nach Angaben des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches vom April 1945 – 476 Millionen Reichsmark. Sie wurde damals ausdrücklich als Kredit anerkannt und sollte nach Kriegsende zurückgezahlt werden. Das ist bis heute nicht geschehen, trotz aller Aufforderungen früherer griechischer Regierungen.

Es darf nicht sein, dass 70 Jahre nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches sich immer noch weigert, diese Schulden an Griechenland, das jahrelang von Nazideutschland besetzt war und terrorisiert wurde, zurückzuzahlen.

Zum Lesen der vollständigen Petition sowie zum Unterschreiben geht es hier. Weitere Erläuterungen sowie der Blog zur Petition finden sich hier:

 

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Termine

27. April 2015 - Athen

Konferenz zum 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus

29. April 2015 - Berlin

Vortrag und Diskussion zur Ukraine-Krise bei der VVN-BdA in Treptow