Konferenz für einen von Atom- und Massenvernichtungswaffen freien Nahen Osten

20.12.2013
Printer Friendly, PDF & Email

Am 5. und 6. Dezember fand im israelischen Haifa die Erste Internationale Konferenz für einen von Atom- und Massenvernichtungswaffen freien Nahen Osten statt. Veranstalter und Unterstützer dieses Treffens waren das Emil-Touma-Institut Haifa, die International Association of Peace Messenger Cities (IAPMC), die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel sowie die israelische Abrüstungsbewegung. Mein Dank gilt an dieser Stelle im Besonderen der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die RLS hat einen sehr positiven Eindruck bei den vielen israelischen, palästinensischen sowie internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern hinterlassen. Insbesondere die Rede von Angelika Timm im Rahmen der Konferenz-Festveranstaltung dokumentierte dies.

An der Konferenz beteiligten sich zahlreiche aktuelle und ehemalige Mitglieder der Knesseth. Prominentester Vertreter und Mitinitiator der Konferenz war der frühere Knesseth-Präsident Avraham Burg. Vertreten waren außerdem zahlreiche israelische NGOs und internationale Gäste aus den USA, Europa und Afrika. Sie vertraten mehr als 30 Organisationen, NGOs und Parteien.

Mit einer schriftlichen Grußbotschaft wandte sich der frühere US-Präsident Jimmy Carter an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und würdigte die Notwendigkeit einer solche Konferenz im Nahen Osten. Ein Grußwort sprach auch der Bürgermeister von Haifa, Yonan Yahav. Von der Europäischen Linken waren die FKP, SYRIZA, DIE LINKE, sowie AKEL aus Zypern mit Parlamentariern und Führungsmitgliedern der Parteien vertreten. Am 7. Dezember fand eine Fortsetzung der Konferenz in Ramallah / Palästina statt.

Mit der Durchführung dieser Konferenz wollten die Initiatoren eine Debatte in Israel über die Atomwaffen Israels beginnen. Ein Bündnis israelischer NGOs und Parteien hat sich auf der Konferenz gebildet, die diese Debatte innerhalb Israels voranbringen wollen. Gleichwohl muss die internationale Debatte weitergeführt werden. Ziel ist es, der israelischen Gesellschaft darzulegen, dass ein anderer, friedlicher Naher Osten möglich ist.

Die Internationale Haifa-Konferenz für einen Nahen Osten ohne atomare und Massenver-nichtungswaffen fand in einer nach Ansicht von Issam Makhoul, früheres Knesseth Mitglied und Vorsitzender des Emil-Touma-Institute für israelische und palästinensische Studien, „in einer extrem wichtigen internationalen Situation statt“. Es war die erste internationale Konferenz dieser Art, die jemals in Israel abgehalten wurde. Laut den Organisatoren fand sie zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Platz statt und zwar kurze Zeit, nachdem die historische Übereinkunft zwischen dem Iran und den sechs Mächten einschließlich Deutschlands erzielt wurde. Diese Konferenz fand außerdem statt, nachdem vor wenigen Monaten eine Übereinkunft zur Beseitigung der syrischen Chemiewaffen erzielt wurde. In Israel hat es bisher keine ausreichende Debatte über die eigenen Atomwaffen gegeben. Dov Khenin, Knesseth-Abgeordneter für Hadash, wies darauf hin, dass zum letzten Mal vor ca. zehn Jahren in der Knesseth über Israels Atomwaffen beraten wurde. Er forderte regelmäßige Debatten darüber.

Die Idee dieser Konferenz in Israel war entstanden, nachdem die israelische Regierung im vergangenen Jahr die Entscheidung traf, sich nicht an der UN-Konferenz über atomare und Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten in Helsinki zu beteiligen. Daraus schufen die Organisatoren das Motto, wenn Israel nicht nach Helsinki gehen will, so kommt Helsinki nach Israel.

Eine herausragende Rolle spielte der ehemalige Bürgermeister von Hiroshima und Vorsit-zende der Organisation „Mayors for Peace“ (Bürgermeister für den Frieden), Prof. Tadatoshi Akiba. Er hob hervor, dass das Jahr 2020 zum Jahr einer atomwaffenfreien Welt werden muss. Niemand dürfe so leiden wie die Bevölkerungen Nagasakis und Hiroshimas. Deshalb benötigen wir eine Welt ohne Atomwaffen. Die Regierungen haben bisher ihre Verantwortung für eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen nicht wahrgenommen, deshalb muss der nötige Druck aus den Zivilgesellschaften auf die Politik wachsen.

Prominentester israelischer Redner war der frühere Knesseth-Präsident Avram Burg. Er sprach davon, dass Israel in den fünfziger Jahren, als es seine atomare Strategie schuf, noch sehr zerbrechlich war. Israel wollte durch die Atombombe ein Machtgleichgewicht gegenüber den arabischen Staaten herstellen. „Was aber früher von Vorteil war beginnt nun, schädlich zu werden.“ Er nannte Ahmadinejad den „besten Freund der israelischen Atomlobby“. In einer Zeit, da alle in der Region nach Atomwaffen streben, entwertet dies den atomaren Vorteil Israels. Jetzt wäre die Zeit reif, dass Israel seine Atompolitik offen legt und eine Debatte darüber beginnt, was es im Austausch zum Verzicht von Atomwaffen bekommen könnte. Die Debatte müsse zu dem Ergebnis führen, dass auf allen Seiten die Erkenntnis wächst, es gibt mehr zu verlieren als zu gewinnen durch den Besitz von Atomwaffen. Die frühere Knesset Abgeordnete Naomi Chazan (Meretz- Israelische Linke) sagte, „die Tatsache, dass so eine Konferenz abgehalten wird, ist von historischer Bedeutung für Israel, denn hier hat es nie eine ernsthafte Debatte über den Besitz von Atomwaffen gegeben“. Auch die Gegenposition, die Israels Regierungspolitik verteidigte, kam auf der Konferenz zum Ausdruck. Dr. Emily Landau vom Institut für Nationale Sicherheit wies darauf hin, dass in den akademischen Kreisen Israels Atompolitik kontinuierlich diskutiert werde. Sie sagte, dass trotz des Abkommens mit dem Iran die Gefahren, die von diesem Staat für Israel ausgehen, nicht kleiner geworden seien. Landau wies darauf hin, das Israel in einer sehr gefährlichen Zone liegt. Es müsse weiterhin eine Politik der Abschreckung aufrechterhalten. Aber Israel selbst stelle für niemanden eine Gefahr dar.

Dagegen argumentierte Professor Uri Bar Joseph, israelischer Experte für strategische Fragen. Er zeigte auf, dass 1967 Israel zur Nuklearmacht wurde. Der Sechs-Tage-Krieg habe aber auch gezeigt, dass Israel Nuklearwaffen gar nicht nötig hat. Israel ging aus diesem Krieg als die dominante Macht in der Region hervor, die den Krieg mit konventionellen Waffen für sich entscheiden kann. Ab 1980 gestaltete sich die Situation weiter zu Gunsten Israels. Insbesondere nach der Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrages und durch den Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges stärkte sich die Position Israels in der Region. Dies alles machte den Besitz von Atomwaffen für Israel im Grunde genommen überflüssig. Alle Versuche anderer Länder in der Region, in den Besitz von nuklearem Potential zu gelangen, wurden von israelischer Seite gewaltsam gestoppt. Es besteht keine Herausforderung Israels durch konventionelle Waffen und die Herausforderung mit nichtkonventionellen Waffen ist größtenteils durch die Entsorgung der syrischen Chemiewaffen verschwunden. Der israelische Journalist Gideon Spiro kritisierte die Entscheidung Deutschlands, atomwaf-fenfähige U-Boote an Israel zu verkaufen. Er gehe davon aus, dass diese von Israel mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden. Er forderte auch eine Solidarisierung der Kon-ferenz mit Mordechai Vanunu.

Am zweiten Konferenztag fand das Panel zur europäischen Perspektive des Problems eines denuklearisierten Nahen Ostens statt. Beteiligt waren außer der LINKEN die Vertreter der auf der Konferenz anwesenden europäischen linken Parteien - Senatorin Michelle Demessine (Französische KP), Zinis Zannas (SYRIZA – Griechenland) und AKEL Zypern. Michelle Demessine kritisierte Frankreichs kontinuierliche imperialistische Intervention in Afrika und im Nahen Osten. Zisis Zannas rief die israelische und arabische Linke dazu auf, Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, die zum Abbau der israelisch-arabischen Spannungen beitragen. Der Vertreter der AKEL hob die Notwendigkeit vertrauensbildender Maßnahmen hervor. Gleichwohl sollten die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates Garantien für die Sicherheit der Staaten im Nahen Osten übernehmen. Er glaubt aber nicht, dass die EU eine positive Rolle in der Region übernehmen kann, da sie organisch mit der NATO und ihrer globalen militärischen interventionistischen Politik verbunden ist. Die NATO-Staaten betreiben die weltweite Aufrüstung und einen Waffenexport in alle Krisenregionen der Welt.

In meinem Redebeitrag wies ich darauf hin, dass es im europäischen und auch im deut-schen Interesse wäre, wenn es international zu bindenden Vereinbarungen für Abrüstung kommen würde. Ein Rückgriff auf Kernelemente der Konferenz für Sicherheit und Zusam-menarbeit in Europa wäre nicht von Übel. Solche Kernelemente für Sicherheit und Zu-sammenarbeit im Nahen Osten habe ich versucht in folgenden acht Punkten zusammenzufassen:

1. Sicherheit kann nur Sicherheit miteinander und nicht gegeneinander sein. Wer garantierte Sicherheit für Israel will, und das ist ein Grundanliegen deutscher Politik, muss auch anderen Staaten Sicherheit garantieren. Sicherheit braucht der Iran, braucht Libanon, braucht Syrien. Eine Zerschlagung des Staates Syrien wird die Sicherheit im Nahen Osten zerstören, auch die Sicherheit Israels.

2. Abrüstung, besonders die Ächtung von Atom- und Massenvernichtungswaffen, wird es geben, wenn einzelne Staaten vorangehen. Die Entscheidung in Syrien sollte entsprechende Schritte in anderen Staaten der Region nach sich ziehen. Israel wird mit Sicherheit nicht in einem ersten Zug seine Atomwaffen zur Disposition stellen. Aber – ein Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag und die Bereitschaft zur Kontrolle der israelischen Atomanalagen wären ein wichtiger Schritt. Eine Erklärung aller Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, Massenvernichtungswaffen nicht als „Erstschlag“ einzusetzen, kann die Dynamik aus der syrischen Entscheidung fortführen.

3. Eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten ist wirklich wün-schenswert – aber derzeit wenig wahrscheinlich. Sie muss das Ziel sein. Möglicherweise ist ein Netzwerk einzelner Regionen, Städte, Gemeinden, die frei von Massenvernichtungswaffen sind und sich frei von Massenvernichtungswaffen erklären, ein nächster Schritt in diese Richtung.

4. Ohne vertrauensbildende Maßnahmen gibt es keinen Weg zu Sicherheit. Ohne einen eigenständigen, lebensfähigen palästinensischen Staat auf der Grundlage der Grenze von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt gibt es kein Vertrauen in der Region. Die israelische Besatzung Palästinas muss beendet werden. Israels Sicherheit ist organisch mit dieser Frage verbunden. Europa darf die Besatzung Palästinas und auch syrischer Gebiete nicht anerkennen.

5. Ein Zerfall Syriens liegt nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Syriens, nicht im Interesse der Region und auch nicht im Interesse Europas. Die Internationale Syrienkonferenz im Januar muss zu einem Erfolg geführt werden, das heißt, in Genf müssen alle Voraussetzungen für einen Waffenstillstand geschaffen werden. Die Gewalt, das Morden in Syrien muss aufhören. Das ist der nächste, wichtigste Schritt. Eine internationale Garantie für die Unantastbarkeit der Grenzen im Nahen Osten, mit der Bedingung, dass Israel die besetzten Gebiete frei gibt, wäre ein Fortschritt.

6. Ein wichtiger Fortschritt wäre es auch, wenn über die UNO eine Verpflichtung, keine Waffen in den Spannungsraum Naher Osten zu liefern und kein Geld für Waffenkäufe zur Verfügung zu stellen, ausgearbeitet und verabschiedet würde.

7. Kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, säkulare Staatsverfassung und Gewaltverzicht – das können wichtige Vertragspunkte sein, zu deren Einhaltung sich die Länder des Nahen Ostens verpflichten. Sie verpflichten sich auch, Bürgerrechte, Freizügigkeit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu achten.

8. Auf einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit erkennen sich alle Staaten im Nahen Osten gegenseitig an und vereinbaren einen Gewaltverzicht. Vereinbarungen über Handelsfreiheit, Verteilung von Naturressourcen einschließlich des Wassers sind zu treffen. Europa muss seine Grenzen für Bürgerinnen und Bürger des Nahen Ostens öffnen und es muss eine Entwicklungszusammenarbeit mit den Staaten des Nahen-Ostens beginnen, die nicht auf Ausbeutung und neokolonialer Herrschaft ausgerichtet ist. Es muss dazu beitragen eine wirkliche soziale und ökonomische Entwicklung der Region einzuleiten die im Interesse der Menschen steht. Dies ist nicht möglich mit der vorherrschenden neoliberalen Herangehensweise der EU, die durch die verschiedenen EU Kooperationspläne mit der Region zum Ausdruck kommen.

Die Konferenz endete mit der Entscheidung, eine israelische „Koalition für die nukleare Entwaffnung und Beseitigung der Massenvernichtungswaffen“ zu bilden. Ziele dieser Koalition sind:

1. Entschiedene und dauerhafte Aktivitäten für einen Nahen Osten, der von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen frei ist.

2. Aktivitäten für einen Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag.

3. Israel muss der internationalen Überwachung der eigenen Nuklearanlagen zustimmen, was Folge der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages wäre.

4. Initiativen für die Beteiligung Israels an der Helsinki-Konferenz für einen atom- und massenvernichtungswaffenfreien Nahen Osten.
Das neue Bündnis möchte das Jahr 2014 – in dem sich der Ausbruch des ersten Weltkrieges zum 100. Male jährt - zu einem Jahr wachsender Aktivitäten für einen gerechten israelisch-palästinensischen und israelisch-arabischen Frieden gestalten, um das Blutvergießen und die Kriegsdrohungen in der Region des Nahen Ostens zu beenden.

Von der Konferenz wurde eine Solidaritätserklärung mit Mordechai Vanunu verabschiedet. Mordechai Vanunu saß 18 Jahre in israelischer Haft und ist heute nur unter Auflagen frei, weil er angeblich die Geheimnisse über Israels Nuklearrüstung preisgegeben hat. Er hat keine Bewegungsfreiheit und darf das Land nicht verlassen. Die Konferenz wendet sich mit einer Resolution an das oberste israelische Gericht mit der Forderung, alle gerichtlichen Beschränkungen, die gegen Vanunu erlassen wurden, aufzuheben.

Die Folgekonferenz in Ramallah am 7. Dezember 2013 konzentrierte sich auf die Auswirkungen der israelischen Atomanlagen auf die Bevölkerungen Israels, Palästinas und Jordaniens. Dort nimmt die Zahl der Krebserkrankungen zu. Israels Atomanlage in Dimona ist eine sehr alte Anlage. Sie ist eine tickende Bombe. Ebenso gefährlich sind die Abfälle, die aus den Atomanlagen anfallen. Zunehmend wird radioaktiv verseuchtes Material ohne Sicherheitsauflagen in den palästinensischen Gebieten vergraben. Das stellt eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen dar. Wasser und Weideflächen werden durch radioaktiven Müll verseucht. Da die Besatzungsbehörde den Palästinensern untersagt, eigene radiologische Untersuchungen zu betreiben, fordern die Palästinenser von der UNO eine Untersuchungskommission, die in Palästina den Grad an radioaktiver Verseuchung untersuchen soll.

Berlin, 18. Dezember 2013

Wolfgang Gehrcke