Der Westen wieder in der Rolle des Zauberlehrlings

02.07.2014
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Den Zauberlehrling von Goethe noch einmal vor Augen führen, auch im Westen: Ich rief die Geister und werd sie nicht mehr los. - Wer hat diese Geister oder Ungeister ISIS gerufen? Müssen wir uns nicht die Frage stellen, ob es stimmt oder nicht stimmt - ich behaupte, dass es stimmt -, dass die Türkei ISIS Unterschlupf gewährt hat, wir hingegen in der Türkei Patriot-Raketen stationiert haben? Müssen wir uns nicht der Frage stellen, ob Geld zur Waffenbeschaffung oder Waffen direkt aus Saudi-Arabien und Katar geliefert worden sind? Es sind enge Verbündete, auch unseres Landes, gewesen, die wir gefördert haben, denen wir Panzer verkauft haben oder verkaufen wollen. Wenn wir diesen Fragen ausweichen, weichen wir möglichen Gegenmaßnahmen erst recht aus. Muss nicht eine Schlussfolgerung sein: Deutschland verkauft in Konfliktregionen absolut keine Waffen mehr?

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45. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Mittwoch, 2. Juli 2014
Vereinbarte Debatte „Bedrohung der regionalen Stabilität durch das Vorgehen der ISIS-Truppen“

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Ich glaube, dass wir uns alle die Frage stellen müssen: Was ist eigentlich in den letzten Monaten im Irak und in Syrien passiert, dass sich ein solches Schreckensregime ausbreiten und militärisch solche Erfolge erreichen konnte? Das Gebiet, das von ISIS erobert worden ist, reicht von Aleppo bis weit in den Irak; mittlerweile ist ein Drittel des Iraks besetzt worden. Ich habe mir die Bilder von der Militärparade zur Ausrufung des Kalifats angeschaut. Natürlich haben solche Bilder immer einen Propagandaeffekt. Aber bei der Parade wurden schwere Waffen vorgeführt, Panzer, Raketen, Haubitzen. Ich habe mir natürlich die Frage gestellt: Wie kommt diese Truppe in den Besitz von schweren Waffen?

Ich weiß, dass der Irak unmittelbar davon bedroht ist, auseinanderzufallen, zu zerfallen. Über die Folgen - gerade wenn man die Geschichte kennt und weiß, dass die Grenzen alle künstlich sind - müssen wir reden. Wird es ein eigenständiges Kurdistan sein? Was wird die Türkei machen, wenn sich so etwas formiert? Ich weiß, dass sich ISIS besonders gegen die Kurden richtet. Welche Auswirkungen wird das auf Syrien haben?

Mir scheint, Kolleginnen und Kollegen, dass man sich den Zauberlehrling von Goethe noch einmal vor Augen führen muss, auch im Westen: Ich rief die Geister und werd sie nicht mehr los. - Wer hat diese Geister oder Ungeister ISIS gerufen? Müssen wir uns nicht die Frage stellen, ob es stimmt oder nicht stimmt - ich behaupte, dass es stimmt -, dass die Türkei ISIS Unterschlupf gewährt hat, wir hingegen in der Türkei Patriot-Raketen stationiert haben? Müssen wir uns nicht der Frage stellen, ob Geld zur Waffenbeschaffung oder Waffen direkt aus Saudi-Arabien und Katar geliefert worden sind? Es sind enge Verbündete, auch unseres Landes, gewesen, die wir gefördert haben, denen wir Panzer verkauft haben oder verkaufen wollen. Wenn wir diesen Fragen ausweichen, weichen wir möglichen Gegenmaßnahmen erst recht aus. Muss nicht eine Schlussfolgerung sein: Deutschland verkauft in Konfliktregionen absolut keine Waffen mehr?

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss den Waffenzustrom austrocknen.

Ich habe mir noch einmal die Rede von Condoleezza Rice, der Sicherheitsberaterin von Bush, angesehen, die sie nach dem Irakkrieg hielt. Herr Kauder, ich lese hin und wieder auch Ihre Erklärungen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Machen Sie es regelmäßig! Es ist gut!)

- Sie geben regelmäßig welche ab. Ich verspreche, dass ich sie regelmäßig lesen werde, wenn ich sie bekomme. Ich will nur eines sagen: Ich finde, die USA sind absolut ungeeignet, diese Situation militärisch zu klären. Andere Staaten mit anderen Einflussmöglichkeiten wären geeigneter, um über die Politik Veränderungen herbeizuführen. Ich habe die Rede von Condoleezza Rice gelesen. Deutschland wäre zum Beispiel geeigneter, nicht militärisch, sondern politisch zur Lösung der Situation beizutragen, weil Deutschland in Syrien und im Irak angesehener ist. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Das ist einfach so. Hier muss man doch nicht ausweichen. Condoleezza Rice sagte, sie habe im Irak die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens gesehen. Wenn das der neue Nahe Osten ist, dann kann man ahnen, was uns blüht. Für mich ist das nicht der neue Nahe Osten.

Ich möchte, dass mehr auf Verständigung gesetzt wird. Natürlich muss man Maliki anhalten, mit dem sunnitischen Bevölkerungsteil besser zusammenzuarbeiten. Aber Maliki war auch der Verbündete Deutschlands. Er war der Verbündete der EU, er war der Verbündete der USA. Das ist alles unter ihren Augen und teilweise mit Billigung geschehen. Ich möchte, dass umgesteuert wird. Zum Umsteuern gehört für mich ein Bündnis der säkularen Kräfte in der Region, ein Bündnis, das Assad nicht ausschließt. Herr Kauder, die Konrad-Adenauer-Stiftung schreibt plötzlich vernünftigerweise darüber. Warum debattieren wir nicht darüber? Ohne eine Lösung des Syrien-Konfliktes werden Sie die Probleme im Irak nicht lösen können. Sie sind miteinander verbunden.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Das haben wir schon gemacht!)

Ich möchte, dass über Verhandlungen gesprochen wird. Ich möchte, dass Deutschland eine andere Syrien-Politik betreibt. Ich möchte, dass wir den Flüchtlingen wirklich helfen. Es ist unverantwortlich, dass wir nicht in der Lage sind, rasch Flüchtlinge aus der Region aufzunehmen. All das geht nicht. Mit Politik kann man Probleme lösen. Ein neuer Irakkrieg wird die Probleme nicht lösen, sondern dann werden wir die Islamisten in der Region nur noch stärker machen. Das möchte ich nicht. Auch aus diesem Grunde bin ich gegen einen neuen Irakkrieg und gegen ein militärisches Eingreifen der USA.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Völlig richtig! Das sind wir auch!)

- Dass ich das bei einer Rede, die ich halte, von Herrn Kauder hören darf: „Völlig richtig!“

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Das musste ich am Schluss wiederholen.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)