Über Einheit und Klarheit, Beliebigkeit und Sektierertum

Warum ich mich für die Wahl von Dominic Heilig in den Parteivorstand ausgesprochen habe
04.06.2016
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Wolfgang Gehrcke

Auf dem Parteitag der LINKEN waren viele Genossinnen und Genossen verwundert, dass ich bei den Vorstandswahlen öffentlich die Kandidatur von Dominic Heilig, dem Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus, unterstützt habe. Diese Verwunderung wiederum verwundert mich. In Reden, Diskussionen, Artikeln habe ich immer wieder vertreten, dass man mit der Partei Die Linke inklusive ihrer Bundestagsfraktion sorgsam umgehen sollte. Ich jedenfalls ärgere mich mehrmals am Tag über Partei und Fraktion und träume von besseren, halte sie auch für möglich. Allein: Man kann nur mit dem umgehen, was man hat. Und völlig klar ist auch, so wie die LINKE derzeit agiert, darf sie nicht bleiben. Wir brauchen eine radikale Selbstveränderung in Richtung Re-Demokratisierung, Unangepasstheit, Widerständigkeit, Radikalität des Denkens und Handelns. Dazu gehört, dass die Strömungen im Wettstreit um die besten Argumente und Lösungen das Parteileben politisieren, das tun sie zurzeit unzureichend, ich halte es aber ebenfalls für möglich. Dazu gehört aber ganz sicher jetzt nicht, sich gegenseitig an den Rand oder rausdrängen zu wollen. Politische Kontroversen also unbedingt bei einem Mindestmaß – und das kann historisch-konkret kleiner oder größer sein – an belastbarer Kooperation.

Ganz schlecht und katastrophal wäre es, wenn die Linke in Deutschland einen ähnlichen Weg gehen würde wie die Linke in Italien zum Beispiel. Einst eine große Partei – geprägt vom antifaschistischen Widerstand, im Alltagsleben der Menschen tief verankert, stark in den Betrieben und stark an den Universitäten, bei Künstlerinnen und Künstlern und bei Ausgegrenzten unterschiedlicher Generationen. Diese große Tradition ist Stück für Stück verspielt worden. Am – vorläufigen - Ende reicht es gerade noch für einige, wenige Parlamentssitze in Regionen und im Europaparlament; im Senat und in der Abgeordnetenkammer ist die Linke nicht mehr vertreten.  Seitdem stöhnt alles auf, wenn von den italienischen Kommunisten die Rede ist. Die vielen Spaltungen auf den italienischen Parteitagen, die ich erlebt habe, haben mich nicht hoffnungsvoll gestimmt, dass am Ende etwas Besseres zustande kommt. Im Kern ist es immer wieder die alte Grundfrage, die in Deutschland zur Spaltung der SPD, zur Gründung der USPD und zur Gründung der KPD geführt hat und bis heute immer wieder aufbricht: Klarheit vor Einheit oder Einheit vor Klarheit. Ich habe mich für die dialektische Aufhebung dieses Widerspruchs entschieden: Einheit durch Klarheit über die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Wer glaubt, man bekäme eine linke Partei mit Masseneinfluss, weil und indem man sich ihres opportunistischen Flügels entledigt, irrt. Man bekommt sie aber auch nicht, wenn der opportunistische Flügel den linken aus der Partei drängt. Es war richtig, dass die Bundestagsfraktion, nachdem Gregor Gysi den Vorsitz abgegeben hat, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch an die Spitze gewählt hat. Sie repräsentieren die beiden Hauptströmungen und sie sind jeweils darin die besten. Ich hoffe, dass der neu gewählte Parteivorstand diese Erfahrung berücksichtigt und sich quasi einem Zwang zur Kooperation unterwirft. Die war in der letzten Wahlperiode des Parteivorstands höchst selten.

Wenn man eine derartige Kooperation für eine bessere und wirkungsvollere Politik als die jetzige anstrebt, dann gehören, neben Genossinnen und Genossen, die eher bestimmte Erfahrungen, Fachgebiete oder Regionen vertreten, diejenigen in den Parteivorstand, die die Hauptströmungen personifizieren. Und das tut Dominic als Ko-Sprecher des Forums. Hinzu kommt: Ich kenne ihn aus der parallelen, teils gemeinsamen, Arbeit in und um die Europäische Linkspartei. Sie hat Mitgliedsparteien die wollen, dass ihr Land aus der EU austritt. Das ist nicht mein Ziel, aber es liegt mir näher als das andere Extrem, das wohl Dominic näher liegt.  Denn es gibt auch Mitgliedsparteien, die der EU alles Fortschrittliche zuschreiben. Das ist aus meiner Sicht ein großer Fehler. Doch um überhaupt europaweit wirksam zu werden, müssen beide Seiten auf der Grundlage eines gemeinsames Programmes und gemeinsamer Aktionen zusammengehalten werden.

Eine solche Denk- und Verhaltensweise führt fast immer dazu, dass Klarheit abgeschliffen wird und am Ende Beliebigkeit herauskommt. Diese Gefahr besteht auch in der Linken. Sie ist höher als die Gefahr des Sektierertums. Nur: Eins führt zum andern. Anpassung führt zu Beliebigkeit und Sektierertum zur Bedeutungslosigkeit.

Natürlich hat meine Fürsprache für Dominic auch eine machtpolitische Seite. Kooperation ist immer wechselseitig. Ich habe darauf gebaut, dass Revolutionäre Reformer mit wählen und umgekehrt; verbunden mit der Hoffnung, dass bei bestehenden und sich vielleicht sogar vertiefenden Meinungsunterschieden der Wille und die Fähigkeit zum Konsens gestärkt wird. Ob sich das einlöst, wird sich zeigen.

 

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