Krieg droht nicht, er wird geführt

Interview zur Friedensbewegung mit Wolfgang Gehrcke
30.03.2018
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Sie werden am Montag an einem Ostermarsch in der Colbitz-Letzlinger Heide
teilnehmen. Warum haben Sie sich für die Altmark entschieden?

Linke haben auch immer eine Verpflichtung, vor Ort zu sein, wo Menschen
sich wehren. Das ist in der Altmark der Fall, wo schon über zwei hundert
Osterspaziergänge und Ostermärsche gegen den Truppenübungsplatz
veranstaltet worden sind. Ich finde das ganz toll und fahre dort hin, um
mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Dort gibt es mehr als nur einen Truppenübungsplatz. Die Bundeswehr hat
sich mit dem Geisterort Schnöggersburg eine eigene Stadt gebaut. Wie
beurteilen Sie die Existenz dieser Anlage?

Offiziell handelt es sich um ein Übungszentrum. Aber um es völlig klar
zu sagen: Dort wird Krieg geübt, dort werden Mord und Totschlag geübt.
Und wer Krieg übt, wird irgendwann Krieg führen. Deswegen muss man Dinge
wie Schnöggersburg auch angreifen.

Dort wird nicht die offene Feldschlacht simuliert, sondern es geht um
Einsätze im Großstadtszenario. Was sagen Sie zu dieser neuen Qualität?

Zur modernen Kriegführung gehört auch das Szenario eines Häuserkampfes.
Das ist eine bedrückende Entwicklung. Die Friedensbewegung und damit auch
die Ostermarschbewegung warnen noch vor Kriegen. Aber ich sage immer: Wir
sind inmitten von Kriegen. Es drohen keine kommenden Kriege, sondern es
wird Krieg geführt. Ob in Syrien heute oder bald auch im Osten an der
ukrainischen Grenze: Wir sind inmitten von Kriegen, und deshalb muss man
widersprechen.

Im Fall des Giftanschlags von Salisbury schloss sich die Bundesregierung
rasch den europäischen Anschuldigungen gegenüber Russland an. Wie stehen
Sie zu diesem Vorfall?

Ich habe 1961 am ersten Ostermarsch teilgenommen, wo wir das Spottlied
sangen: »Wenn einer auf die Straße strullt, dann sind daran die Russen
schuld.« Die gegenwärtige Eintönigkeit eines Vorwurfes gegen Russland
ohne jegliche Beweise, die zeigt mir, dass man Stimmungslagen schaffen
will. Solche Dinge wie in Salisbury müssen untersucht werden. In diesem
Fall sprach aus meiner Sicht alles für eine seltsam organisierte
Geheimdienstaktion, aber ich kann es nicht beurteilen. Die vorschnelle
Verurteilung von Russland zeigt mir, was man eigentlich damit erreichen
will.

Was muss die Friedensbewegung tun, um nicht in die Rolle des Verteidigers
Russlands zu geraten?

Der Friedensbewegung bleibt nur, konsequent gegen militärische
Aufrüstung einzutreten. Ich möchte keine Neuauflage der atomaren
Bedrohung in Europa haben. Schließlich sind weiterhin amerikanische
Atomwaffen in Büchel stationiert. Ich bin natürlich dafür, dass Russland
auch abrüstet, aber dafür muss ich mich nicht mit Putin verbünden – er
ist kein Sozialist und schon gar kein Kommunist.

Die AfD wirbt für bessere Beziehungen zu Russland. Inwiefern droht eine
Öffnung der Friedensbewegung nach rechts?

Die Russland-Politik der AfD wird bestimmt durch ihren Wunsch nach einem
autoritären Staat. Das ist das Gegenteil von dem, was ich mir wünsche.
Eine Friedensbewegung kann mit Rechten, mit aggressiven Kräften, die
dieses Land wieder auf einen Kurs des Elends bringen wollen, nicht
paktieren. Das geht auf gar keinen Fall, und das werden wir nicht machen.

Wie schaut es mit dem Generationenwechsel in der Friedensbewegung aus?

Ich freue mich über jeden Opa, der wie ich seine Knochen noch irgendwie
zusammenkriegt, und ich freue mich über jeden jungen Menschen, der aktiv
ist. Man soll nur nicht glauben, dass man mit Erinnerungen an die
Vergangenheit heute noch Leute mobilisiert. Junge Leute werden ihre eigene
Form des Protestes finden. Die Friedensbewegung muss immer die Bereitschaft
zu einer gewissen Militanz haben. Ich bin aber auch völlig begeistert
über die Aktionen von Schülerinnen und Schülern in den USA gegen den
freien Waffenverkauf. Die Forderungen sind nicht militant, aber dass
plötzlich Hunderttausende junge Leute auf die Straße gehen, das ist doch
ein Beispiel dafür, dass solche Bewegungen häufiger aus der Situation
heraus entstehen und nicht am grünen Tisch geplant werden können. Daher
rate ich der Friedensbewegung: Einheit in der Vielfalt. Man muss immer
danach suchen, was gemeinsam möglich ist.

Interview in jW 29./30. März 2018, S.2