Rede vom 09.05.2008; Thema: EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima

09.05.2008
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Der Wind dreht sich nach LINKS in Lateinamerika (Wolfgang Gehrcke)

 

Der Wind geht nach links!

161. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 9. Mai 2008
u.a.
22.c) Beratung Antrag DIE LINKE.
Zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima - Impulse für solidarische und gleichberechtigte Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika
- Drs 16/9074 -


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe auf der Besuchertribüne den Botschafter Boliviens. Ich freue mich, Exzellenz, dass Sie hier sind und die Diskussion in diesem Parlament verfolgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich finde, so viel Zeit und Höflichkeit muss sein, diesen Gruß auszusprechen.

Zur Sache: Der eigentliche Hintergrund der Debatte ist doch, dass wir es in Lateinamerika mit einem sehr kräftigen politischen Wind nach links zu tun haben, und zwar in einer großen Zahl der Länder. Der Wind hat sich gedreht. Der Wind nach links ist so stark, dass er sogar die SPD erreicht und sie zu einem neuen Strategiepapier gebracht hat.

(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Da haben wir keinen Nachholbedarf!)

Ich habe das Strategiepapier der SPD, das viele vernünftige Punkte enthält, mit dem verglichen, was Willy Brandt zum Nord-Süd-Dialog geschrieben und geleistet hat. Da haben Sie noch großen Nachholbedarf.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!)

Arbeiten Sie ruhig weiter. Der Wind geht nach links, und das finde ich sehr vernünftig.

(Beifall bei der LINKEN – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wer hat denn damals Willy Brandt bekämpft? – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Der Wind treibt nach links.

Wenn man sich die Frage stellt, warum die Linke in Lateinamerika trotz ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit so viele Erfolge erreicht hat, kommt man nicht darum herum – Herr Lintner, Sie haben es mit anderen Worten gesagt –, über die Spur der Zerstörung zu sprechen, die der Neoliberalismus in Lateinamerika hinterlassen hat. Das war der Ausgangspunkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe jetzt leider nicht die Zeit, Ihnen im Einzelnen zu schildern, wie es in den Ländern aussieht, die sich dem neoliberalen Diktat gebeugt haben.

(Dr. Karl Addicks [FDP]: Dann gucken wir einmal, was der Neomarxismus jetzt hinterlässt!)

Ich war in einer Stadt nahe der Hauptstadt San Salvador, einer Stadt mit 100 000 Einwohnern: kein Strom, kein Wasser. Der einzige Brunnen ist privatisiert, man muss Wasser kaufen. Selbst der Friedhof ist privatisiert, sodass die Armen ihre Toten irgendwo verscharren müssen und nur die Reichen ihre Toten dort beerdigen können.

(Beifall bei der LINKEN)

So ist das in vielen Ländern Lateinamerikas. Das ist einer der Hintergründe; da muss man Klartext sprechen.

Ich hoffe, dass die Zeit zu Ende geht, in der die USA Lateinamerika als ihren Hinterhof behandeln und misshandeln konnten. Wenn man sich die Frage stellt, warum es zu autoritären Regimen, zu Diktaturen gekommen ist, kommt man zu dem Schluss, dass die Machthaber in diesen Ländern alle nicht ohne Duldung bzw. Hilfe der USA an die Macht gekommen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie hier nicht darüber reden wollen, wenn Sie das verschweigen wollen, ist das Ihr Problem.

(Dr. Karl Addicks [FDP]: Reden Sie lieber über die Diktatoren, die die Sowjetunion unterstützt haben!)

Herr Außenminister, ich habe sehr interessiert zur Kenntnis genommen, was Sie zu Kuba gesagt haben. Kuba bewegt und entwickelt sich. Das ist eine interessante Entwicklung. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass sich die deutsche Kuba-Politik verändert, und zwar stärker, als es anderen Fraktionen in diesem Hause lieb ist. Sie wissen, dass eine Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba heute möglich ist. Eine solche Entwicklungszusammenarbeit wäre aber leichter, wenn Sie von diesem Pult aus auch gesagt hätten, dass die USA ihren Boykott und ihre Sanktionen gegen Kuba endlich aufzuheben haben

(Beifall bei der LINKEN)

und die Europäische Union diesbezüglich öffentlichen Druck auf die USA ausüben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie immer die Hälfte verschweigen, kommen Sie nicht weiter. Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich die amerikanische Politik verändern muss.

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sich mit Paraguay eines der letzten diktatorisch geführten Länder durch Wahlen verändert hat. Ich freue mich über den neuen Präsidenten, Ex-Bischof Lugo, der aus der Befreiungstheologie kommt. Ich bin sehr gespannt, was sich in Paraguay entwickeln wird.

Ich habe ein ähnliches Gefühl wie Kollege Trittin: An der Seite von Uribe möchte ich, wenn es um Demokratisierung geht, nicht stehen. Dort stehe ich auch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Karl Addicks [FDP]: Lieber auf der Seite von Castro!)

– Nein, ich stehe auf einer ganz anderen Seite.

Auch in Kolumbien, wo noch Bürgerkrieg herrscht, wird sich die offene Wunde durch Verhandlungen und Demokratisierung schließen. Ich sage, weil es immer wieder angesprochen wird, von diesem Platz aus ganz deutlich an die FARC gerichtet: Geiseln zu nehmen, ist keine linke Politik.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich bin dagegen, dass Geiseln genommen werden. Ich finde es unverantwortlich, Menschenleben und die Freiheit von Menschen als Waffe in der Politik einzusetzen. Wenn die FARC auf eine sozialistische Kritik hört, kann ich ihr nur sagen: Lasst die Geiseln in Kolumbien sofort frei.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karl Addicks [FDP]: Das war einmal gut!)

Das ist die Entscheidung, die wir fordern. Sie wollen es nicht hören; Sie sind auf diesem Auge blind. Es wäre eine sozialistische Politik, wenn man sich in diese Richtung verändern würde.

Ein letzter Gedanke – der Präsident macht mich darauf aufmerksam, dass meine Redezeit abgelaufen ist –: Ich habe mich sehr gefreut, dass viele Redner den Umstand, dass Lateinamerika eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen ist, positiv gewürdigt haben. Herr Außenminister, wenn es nicht nur bei Worten bleiben soll, muss man sich dafür einsetzen, dass auch Europa eine atomwaffenfreie Zone wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Dann können wir auch auf dieser Ebene eine Partnerschaft mit Lateinamerika eingehen, und zwar glaubwürdiger und besser, als wenn wir nur über die anderen reden, uns freuen und selber nichts tun.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Karl Addicks [FDP]: Vielen Dank für diese Rede!)