Denkanstoß für die Ausgestaltung des deutsch-russischen Verhältnisses

25.03.2010
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Wolfgang Gehrcke im Bundestag

Der vorliegende Antrag der SPD ist weder Fisch noch Fleisch. Er benennt ein richtiges und wichtiges Thema, aber seine Vorschläge und Konsequenzen sind ideenlos. Insofern steht dieser Antrag in der Tradition der Regierungspolitik von Schwarz-Rot – auch diese war in der Russlandpolitik nicht besonders ideenvoll.


34. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 25. März 2010 – TOP 13

Modernisierungspartnerschaft mit Russland – gemeinsame Sicherheit in Europa durch verstärkte Kooperation und Verflechtung (Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 17/1153)

Beitrag Wolfgang Gehrcke, Fraktion DIE LINKE (zu Protokoll)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der vorliegende Antrag der SPD ist weder Fisch noch Fleisch. Er benennt ein richtiges und wichtiges Thema, aber seine Vorschläge und Konsequenzen sind ideenlos. Insofern steht dieser Antrag in der Tradition der Regierungspolitik von Schwarz-Rot – auch diese war in der Russlandpolitik nicht besonders ideenvoll. Das ist nicht nur eine Feststellung von mir, damit könnten Sie gut leben, das weiß ich. Aber blicken Sie einmal in die Spiegelausgabe 10/2010: Volker Rühe, Ex-Verteidigungsminister, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, und weitere konservative Außen- und Sicherheitspolitiker engagieren sich dort für einen Beitritt Russlands zur NATO. Ich teile auch diese Konsequenz nicht, aber der Artikel ist schon Aufsehen erregend.

Die Autoren greifen auf Altbundeskanzler Helmut Schmidt zurück und referieren seine Feststellung, „Dass viele der heute handelnden Politiker nur geringe Geschichtskenntnisse haben“, und fügen selbst hinzu, „dass es einen erschreckenden Kompetenzverlust für sicherheitspolitische und strategische Fragen gibt“. Ihre Auffassung ist es, dass von Berlin „weder Meinungsführerschaft noch Impulse für die internationale Debatte“ ausgeht. Und sie fragen sich und die Öffentlichkeit, ob „die Deutschen“ – wer immer das auch sein mag – „nicht mehr fähig sind, zukunftsweisende Beiträge einzubringen“. Wenn nicht Rühe, Naumann und die anderen Autoren ihren Artikel weit vor dem SPD-Antrag veröffentlicht hätten, so würde ich jetzt spotten, Sie müssen den SPD-Antrag gelesen haben.

Spott allein reicht nicht aus, ich will Ihnen meine Kritik an einem Punkt durchbuchstabieren.

Der Antrag spricht zu Recht von einer strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland. Das ist auch meine Position. Er erklärt aber an keiner Stelle die Inhalte dieser strategischen Partnerschaft. Wenn die Vorstellung über diese vertiefte Zusammenarbeit eine „Black Box“ bleibt, wird sie politisch nicht greifen. Strategische Partnerschaft ist mehr und vor allem etwas anderes, als die Strickjackenfreundschaft zwischen Kohl und Gorbatschow oder die hemdsärmelige Kooperation zwischen Schröder und Putin. Keine Frage, das persönliche Verhältnis zwischen Regierungspolitikern Russlands und Deutschlands ist wichtig. Es ersetzt aber keine Politik.

Der heutige Außenminister Westerwelle benutzt zwar ebenfalls gern den Begriff „strategische Partnerschaft“ – im Übrigen nicht nur für Russland -, aber er hat offensichtlich weder ein politisches noch emotionales Verhältnis zu diesem europäischen Land. Strategische Partnerschaft muss sich in dem empirischen Verständnis begründen, dass Deutschland im vergangenen Jahrhundert zweimal gegenüber Russland bzw. der Sowjetunion Kriege vom Zaune gebrochen hat, die in einer Menschheitskatastrophe endeten. Wer Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa will, wird das nur mit Russland, und nicht gegen Russland erreichen können. Von dort her hätte ich mir gewünscht, dass die Vorschläge des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew für ein neues System der Sicherheit in Europa positiver und diskussionsoffener aufgenommen worden wären.

Der Vorschlag von Volker Rühe und Kollegen, dass sich die NATO für eine Mitgliedschaft Russlands öffnen solle, ist gleichbedeutend damit, dass die NATO sich grundlegend umwandelt. Das halte ich für wenig wahrscheinlich, aber ein Geflecht verschiedenster Verträge zwischen Russland und den NATO-Staaten in Europa könnte eine neue Art von Sicherheit mit sich bringen. Eine solche Sicherheitsarchitektur müsste auch im Interesse von Ländern wie der Ukraine, Belarus, Moldawien und den baltischen Staaten wie auch anderer liegen. Russland muss ein Interesse haben, gerade gegenüber kleineren Ländern in Osteuropa, Furcht und Sorgen, die historisch begründet sind, abzubauen, und solche Länder wie die Ukraine oder auch Polen gewinnen mehr Sicherheit, wenn sie sich als Brücke, nicht als Grenze zu Russland verstehen könnten. Noch immer gilt: Es soll nicht zu einer neuen Blockbildung in Europa kommen bzw. die Grenzen zwischen Russland und den EU-Staaten müssen durchlässig gemacht werden.

Das EU-Europa oder meinethalben die euroatlantische Gemeinschaft braucht Russland aus vielen Gründen: Energiesicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle, Lösung solcher Konflikte wie der Nahostauseinandersetzung, die Beendigung des Krieges in Afghanistan, Verbesserung der Beziehungen zum Iran und vieles mehr.

Solche Punkte, inklusive auch des gegenseitigen wirtschaftlichen Interesses, begründen eine strategische Partnerschaft und schaffen dafür einen denkbaren bzw. möglichen Rahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begehen 2010 mehrere wichtige Jahrestage, die das deutsch-russische Verhältnis berühren. Und zwar, und das zu allervorderst, den 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Der Sieg der Antihitlerkoaltion über den deutschen Faschismus und der Beitrag der Sowjetunion dafür bleibt ein historisches Verdienst.

Wir begehen den 35. Jahrestag der Konferenz von Helsinki. Die dort gefundene Sicherheitsarchitektur gäbe auch für das heutige viele Denk- und Handlungsanstöße.

Weiterhin haben wir es mit dem 20. Jahrestag der deutschen Einheit zu tun und es wird niemand bestreiten können, dass auch die deutsche Einheit ohne Russland nicht zustande gekommen wäre.

Diese Jahrestage sollten Denkanstoß für die Ausgestaltung des deutsch-russischen Verhältnisses sein.

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