Personen statt Inhalte?

30.05.2012
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Personen statt Inhalte?

Drei „Dritte Wege“ ... zur Lösung oder zur Vermeidung notwendiger Kontroversen?

von Christiane Reymann
Koordinatorin von el-fem,
dem feministischen Frauennetzwerk der Europäischen Linkspartei

Nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte waren Kernthemen der Linken so mehrheitsfähig wie heute – vom Mindestlohn über Kriegs-Verweigerung bis Kapitalismus-Kritik – und noch nie in ihrer kurzen Geschichte stand sich die Partei DIE LINKE so sehr selbst im Weg, diese Stimmungen zur Geltung zu bringen, indem sie mit den Menschen beginnt, die Gesellschaft zu verändern. Diese fundamentale Schwäche ist nicht allein selbst verschuldet, an ihr drehen noch ganz andere Mächte, Medienmogule und Geheimdienste, wie Albrecht Müller wiederholt in Recherchen auf den Nachdenkseiten nachweist. Deren Chancen wachsen, wenn DIE LINKE ihrerseits nicht (mehr) fest unter der Bevölkerung und in Bewegungen verankert ist.

Wenige Tage vor dem Göttinger Parteitag herrscht in der LINKEN nervöse Anspannung: Wer setzt sich durch? Über die Frage hingegen: Was setzt sich durch? wird kaum gesprochen. Auch unter uns tritt zunehmend die verblödende Form von „finde ich gut“ an die Stelle streitbarer Diskussionen; nicht mittels Argumenten werden im Vorfeld des Parteitags Stimmen und Stimmungen organisiert sondern via Unterschriftenlisten; die erinnern eher an Truppen sammeln oder Schlachtordnungen aufstellen als an Suchen nach Gemeinsamkeiten. erinnern, während die Partei tendenziell immer weniger Handelnde, sondern mehr und mehr von der Meinungsindustrie Getriebene ist.

Dabei geraten die unterschiedlichen Inhalte aus dem Blickfeld. Kaum beachtet wird die ganz außergewöhnliche Aktion eines alternativen Leitantrags, eingebracht von einigen Mitgliedern des Parteivorstands, Landesvorsitzenden, stellvertretenden Partei- und Fraktionsvorsitzenden etc. Sähen sie nur Unterschiede, hätten sie Änderungsanträge zum Antrag des Parteivorstands gestellt. Mit ihrem alternativen Leitantrag hingegen signalisieren sie: Sie sehen ihre Verantwortung nicht darin, einen Konsens zu finden; Konsens ist das Ergebnis von offen geführten Kontroversen, nicht von Mauschelrunden in Hinterzimmern. Vielleicht sehen sie auch nicht – mehr? - die Möglichkeit, sich zu einigen, vielleicht wollen sie es nicht. Der alternative Leitantrag provoziert eine Entscheidungssituation zwischen lediglich zwei Alternativen, während die Beratung von Änderungsanträgen immer mehr als nur zwei Möglichkeiten eröffnet, oft sind es drei, vier, fünf. Wenn sich zudem ein Alternativantrag mit einer Kandidatur für den Vorsitz verbindet, dann geht es um ein geschlossenes anderes, alternatives Konzept von der Partei. Ob ganz und gar anders oder graduell verschoben, so oder so steht das Verständnis von der Partei und ihrer Politik hinter der Personaldiskussion und ist das eigentliche Thema des Göttinger Parteitags.

Viele Genossinnen und Genossen wollen sich nicht in eine Situation bringen lassen, in der es nur noch zwei Pole gibt, die sich gegenseitig ausschließen. Sie sind offen für einen „dritten Weg“. Davon sind inzwischen mehrere im Angebot: Zunächst der Aufruf „Wir sind DIE LINKE“. Er trifft offensichtlich das Bedürfnis sehr vieler, sehr unterschiedlicher Menschen. Bis 28.05. wurde er von 1 129 Menschen unterzeichnet. Zuallererst unterscheidet er sich wohltuend von anderen Stellungnahmen, indem er keinen Ost-West-Graben aufreißt, sondern auf die Fähigkeit von Genossinnen und Genossen in Ost und West baut, auf Menschen zuzugehen, ihre Erfahrungen kritisch zu durchdenken und neue Ideen einzubringen. Wichtig auch die „Schlüsselfrage“, die soziale Frage mit der ökologischen und Geschlechterfrage zu verbinden. Der geforderte Pluralismus, solidarische Umgangsformen, Offenheit für neue Themen... alles richtig. Und trotzdem arbeitet auch dieser Aufruf mit einer Ausschließlichkeit: Mit dem vereinnahmenden resp. ausschließenden „Wir“. Wenn „wir“ DIE LINKE sind, wer oder was sind diejenigen, die den Aufruf wie ich nicht unterzeichnen? Dabei kann es gute Gründe geben, sich dem vereinnahmenden (oder ausschließenden) „Wir“ zu entziehen. Meine sind (in Stichworten): Wenn es heißt „Wir waren berauscht vom Erfolg...“ „Wir haben die Zuwendung der Menschen zur LINKEN oft als naturgegeben, geradezu selbstverständlich angesehen...“ etc., trifft das auf mich nicht zu. Ich kann mich zudem nicht unter das Dach eines „Wir“ begeben, dass zwar richtiger Weise eine Strategie des sozial-ökologischen Umbaus aus Geschlechterperspektive einfordert, dabei aber den Frieden vergisst. Endlich muss der Parteitag aus meiner Sicht mehr leisten, als „Signale der Gemeinsamkeit“ auszusenden, „gemeinsame Lernaufgaben“ zu formulieren und auf „aktuelle Entwicklungen ... nachvollziehbar und klar zu reagieren“. Er hat auch das sozialistische Profil unserer Partei zu schärfen gerade in den aktuellen Entwicklungen und in Auseinandersetzung mit unseren politischen Gegnern. Gehöre ich als nicht-Unterzeichnende dieses Aufrufes also noch dazu zum „Wir“ der LINKEN oder bin ich schon draußen, „die andere“?

Einen zweiten „dritten Weg“ bieten Katja Kipping, Katharina Schwabedissen und einige andere mit ihrer Team-Kandidatur für den Vorsitz und einige andere Posten im Parteivorstand an. Als Team sind sie für weitere Mitstreitende offen, aber gleichzeitig auch zu; bislang lehnen Kipping und Schwabedissen die Zusammenarbeit mit einer oder einem anderen Vorsitzenden ab. Sie werben damit, dass sie aus unterschiedlichen politischen Richtungen und Traditionen kommen, nicht immer einer Meinung sind, ihre Widersprüche als Gewinn verstehen. Doch wo bleiben ihre eigenen Positionen? Auf welchen der beiden Leitanträge beziehen sie sich zum Beispiel? Oder wie können sie die beiden Plattformen gewinnbringend zusammenführen? Antworten darauf bleiben sie schuldig. Bei ihnen dreht sich alles um die Form, garniert mit Plattitüden wie „Wir wollen in der langen Erzählung der Linken ein neues Kapitel aufschlagen“. Nun ist die Form linker Politik, sind ihre Methoden, wichtig. Der Mangel an transparenten und partizipativen Formen hat zur jetzigen Krise der Partei beigetragen, die ihrerseits nur überwunden werden kann, wenn diese Formen stark und lebendig werden. Aber Formen ohne Inhalt mögen bei den Piraten ein Erfolgsrezept sein, für DIE LINKE ist es untauglich.

Ein dritter „dritter Weg“ hat sich bislang noch nicht klar eigenständig formiert, doch schon bewegt er sich schattenhaft im Hintergrund: Das wäre die Abkehr vom Parteiprogramm, das vor weniger als einem Jahr in einer Urabstimmung angenommen wurde.

In einigen europäischen Ländern existieren die geistig- politischen Strömungen, die in der LINKEN unter einem Dach etwas miteinander anfangen (wollen), getrennt voneinander als kleine, alternative, oft einander bekämpfende Parteien. Für sie waren wir das leuchtende Beispiel als wir uns vor fünf Jahren gründeten. Heute können wir von ihnen lernen. Von dem Erfolg beispielsweise, mit dem in Frankreich ehemals verfeindete Linkskräfte in der Front de Gauche zusammen arbeiten. Oder der Gradlinigkeit von Syriza und den Linkskräften in Griechenland, die sich jetzt zu einer Partei zusammen geschlossen haben, nicht weil si es unbedingt wollten, sondern um den Menschen für die Wahlen im Juni Hoffnung zu geben.