Ça ira Nr. 124: Einheit und Klarheit, Beliebigkeit und Sektierertum (6.6.2016)

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... nach Magdeburg ... und vor Ramstein


Unsere Lehren aus den Kriegen der Vergangenheit und der Gegenwart

* Wir gratulieren allen auf dem Magdeburger Parteitag am 28. Mai Wieder- oder Neu-Gewählten, besondere für den neugewählten Parteivorstand der Partei DIE LINKE. Wir freuen uns dabei besonders auch über die Wahl unserer beiden Mitarbeiter Ali Al Dailami und Harri Grünberg und wünschen ihnen viel Erfolg.

* Unser Antrag an den Parteitag der Partei DIE LINKE. zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion Frieden mit Russland - Verständigung in Europa - Nein zu Faschismus und Krieg hat auch auch auf dem Parteitag in Magdeburg breiteste Zustimmung erfahren und ist am 29.5.2016 mit großer Mehrheit angenommen worden. Unser Dank daher auch an dieser Stelle all den vielen Unterstützern seit April dieses Jahres!

* Am kommenden Wochenende (10.-12.6.2016) wird unter dem Motto Stopp Ramstein mit vielfältigen Aktionen unser Wille für Abrüstung und Frieden bekundet werden. Die US-Air-Base Ramstein hat durch Morde mittels Drohnenkrieg eine traurige Berühmtheit erlangt. Das Programm, die Route der Menschenkette am 11.6. und aktuelle Informationen können auf www.ramstein-kampagne.eu abgerufen werden.

Beiträge im heutigen Info-Brief:

* Über die Wahlen zum Parteivorstand in Magdeburg

* Aus einer Hommage an einen kulturellen Aufbruch der Linken

* Über den Rechenschaftsbericht einer Hilfsaktion für ein Kinderkrankenhaus in Gorlowka

 

Über Einheit und Klarheit, Beliebigkeit und Sektierertum


Warum ich für die Wahl von Dominic Heilig in den Parteivorstand gesprochen habe

Auf dem Parteitag der LINKEN waren viele Genossinnen und Genossen verwundert, dass ich bei den Vorstandswahlen öffentlich die Kandidatur von Dominic Heilig, dem Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus, unterstützt habe. Diese Verwunderung wiederum verwundert mich. In Reden, Diskussionen, Artikeln habe ich immer wieder vertreten, dass man mit der Partei Die Linke inklusive ihrer Bundestagsfraktion sorgsam umgehen sollte. Ich jedenfalls ärgere mich mehrmals am Tag über Partei und Fraktion und träume von besseren, halte sie auch für möglich. Allein: Man kann nur mit dem umgehen, was man hat. Und völlig klar ist auch, so wie die LINKE derzeit agiert, darf sie nicht bleiben. Wir brauchen eine radikale Selbstveränderung in Richtung Re-Demokratisierung, Unangepasstheit, Widerständigkeit, Radikalität des Denkens und Handelns. Dazu gehört, dass die Strömungen im Wettstreit um die besten Argumente und Lösungen das Parteileben politisieren, das tun sie zurzeit unzureichend, ich halte es aber ebenfalls für möglich. Dazu gehört aber ganz sicher jetzt nicht, sich gegenseitig an den Rand oder rausdrängen zu wollen. Politische Kontroversen also unbedingt bei einem Mindestmaß – und das kann historisch-konkret kleiner oder größer sein – an belastbarer Kooperation.

Ganz schlecht und katastrophal wäre es, wenn die Linke in Deutschland einen ähnlichen Weg gehen würde wie die Linke in Italien zum Beispiel. Einst eine große Partei – geprägt vom antifaschistischen Widerstand, im Alltagsleben der Menschen tief verankert, stark in den Betrieben und stark an den Universitäten, bei Künstlerinnen und Künstlern und bei Ausgegrenzten unterschiedlicher Generationen. Diese große Tradition ist Stück für Stück verspielt worden. Am – vorläufigen - Ende reicht es gerade noch für einige, wenige Parlamentssitze in Regionen und im Europaparlament; im Senat und in der Abgeordnetenkammer ist die Linke nicht mehr vertreten.  Seitdem stöhnt alles auf, wenn von den italienischen Kommunisten die Rede ist. Die vielen Spaltungen auf den italienischen Parteitagen, die ich erlebt habe, haben mich nicht hoffnungsvoll gestimmt, dass am Ende etwas Besseres zustande kommt. Im Kern ist es immer wieder die alte Grundfrage, die in Deutschland zur Spaltung der SPD, zur Gründung der USPD und zur Gründung der KPD geführt hat und bis heute immer wieder aufbricht: Klarheit vor Einheit oder Einheit vor Klarheit. Ich habe mich für die dialektische Aufhebung dieses Widerspruchs entschieden: Einheit durch Klarheit über die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Wer glaubt, man bekäme eine linke Partei mit Masseneinfluss, weil und indem man sich ihres opportunistischen Flügels entledigt, irrt. Man bekommt sie aber auch nicht, wenn der opportunistische Flügel den linken aus der Partei drängt. Es war richtig, dass die Bundestagsfraktion, nachdem Gregor Gysi den Vorsitz abgegeben hat, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch an die Spitze gewählt hat. Sie repräsentieren die beiden Hauptströmungen und sie sind jeweils darin die besten. Ich hoffe, dass der neu gewählte Parteivorstand diese Erfahrung berücksichtigt und sich quasi einem Zwang zur Kooperation unterwirft. Die war in der letzten Wahlperiode des Parteivorstands höchst selten.

Wenn man eine derartige Kooperation für eine bessere und wirkungsvollere Politik als die jetzige anstrebt, dann gehören, neben Genossinnen und Genossen, die eher bestimmte Erfahrungen, Fachgebiete oder Regionen vertreten, diejenigen in den Parteivorstand, die die Hauptströmungen personifizieren. Und das tut Dominic als Ko-Sprecher des Forums. Hinzu kommt: Ich kenne ihn aus der parallelen, teils gemeinsamen, Arbeit in und um die Europäische Linkspartei. Sie hat Mitgliedsparteien die wollen, dass ihr Land aus der EU austritt. Das ist nicht mein Ziel, aber es liegt mir näher als das andere Extrem, das wohl Dominic näher liegt.  Denn es gibt auch Mitgliedsparteien, die der EU alles Fortschrittliche zuschreiben. Das ist aus meiner Sicht ein großer Fehler. Doch um überhaupt europaweit wirksam zu werden, müssen beide Seiten auf der Grundlage eines gemeinsames Programmes und gemeinsamer Aktionen zusammengehalten werden.

Eine solche Denk- und Verhaltensweise führt fast immer dazu, dass Klarheit abgeschliffen wird und am Ende Beliebigkeit herauskommt. Diese Gefahr besteht auch in der Linken. Sie ist höher als die Gefahr des Sektierertums. Nur: Eins führt zum andern. Anpassung führt zu Beliebigkeit und Sektierertum zur Bedeutungslosigkeit.

Natürlich hat meine Fürsprache für Dominic auch eine machtpolitische Seite. Kooperation ist immer wechselseitig. Ich habe darauf gebaut, dass Revolutionäre Reformer mit wählen und umgekehrt; verbunden mit der Hoffnung, dass bei bestehenden und sich vielleicht sogar vertiefenden Meinungsunterschieden der Wille und die Fähigkeit zum Konsens gestärkt wird. Ob sich das einlöst, wird sich zeigen.

 

Aus einer Hommage an einen kulturellen Aufbruch


Wir Linken wollen noch viel lernen

(Der ganze Aufsatz ist hier zu finden)

Die LINKE, Kulturpolitik und künstlerische Vielfalt – das ist eine Straße mit vielen Kreuzungen, Abzweigungen und Irrwegen. Würden wir unsere Vielfalt an den Überlegungen, Erfahrungen und am Handeln der sogenannten Klassiker schulen statt an unseren berufsmäßigen Pragmatikern, wäre die LINKE lebendiger, ausstrahlender und der „Klassenkampf“ nicht so hölzern und trostlos. Das Verhältnis zu Künstlerinnen und Künstlern und ihr überwiegendes Desinteresse an dem, was wir tun, ist ein Spiegel unserer politischen Genügsamkeit; sie zeigt, wie wenig wir mit der Gesellschaft unseres Landes verbunden, ja, dass wir recht isoliert sind.

Das war schon einmal anders, und es geht anders. Mehr Kultur, mehr Bildung, mehr Intellektualität, mehr Kunst „das muss drin sein“. Der italienische Kommunist Lucio Magri, er gehörte zur Il Manifesto-Gruppe und zu den Intellektuellen in der Italienischen Kommunistischen Partei, beschreibt in der großartigen Abhandlung Der Schneider von Ulm die tausenden Fäden, mit denen die italienischen Kommunisten in der Blütezeit des Kommunismus in Italien mit Kunst und Kultur verbunden waren. Die italienische kommunistische Partei, das war die Partei der Filmemacher und der Diskussion über Filme, der Literatur und des Theaters, der großartigen Pressefeste ihrer Zeitung Unita, die es in fast jeder Stadt und jedem Ort gab, der Selbsttätigkeit und des ehrenamtlichen Engagements. Nichts Vorgesetztes und Gekauftes, sonders Selbsterworbenes prägte ihre Arbeit. ...

Marx und Engels erläuterten ihre Haltung zu Künstlern anhand Balzac, den sie von seinen politischen Überzeugungen her als reaktionären Nostalgiker der Königs-Diktatur sahen, aber in seiner Gestaltungskraft das Gegenteil davon spürten: Einen, der als Freigeist Bilder und Erzählungen schuf, um den Kapitalismus an seinen empfindlichsten karrieristischen und opportunistischsten Verbeugungen vor der Macht bloßzustellen. ...

Rosa Luxemburg und Lenin haben sich mit der Dialektik der Kunst am Beispiel Leo Tolstois auseinandergesetzt: Sie nannten ihn einen „Narren in Christo“, dessen Devise dem Übel gegenüber duldsam zu sein, sie scharf zurückwiesen. Und dennoch verstanden sie, dass Tolstoi in seinen Romanen schärfste Kritik am zaristischen System übte und so die Revolution von 1905 geistig mit vorbereitete.

1945 standen die Überlebenden der KZ´s und Zuchthäuser nicht nur vor den Trümmerfeldern der zerstörten Städte, sondern auch, und dies ging noch viel tiefer, vor den Trümmerfeldern in den Köpfen der Menschen. Großartiges hat die kleine DDR damals für die Entnazifizierung im Bildungswesen und in der raschen Heranbildung einer Arbeiterintelligenz geleistet. Oder auch für Theatermacher, das war weit mehr als das Brecht-Theater. Peter Weiss fand mit der Ästhetik des Widerstandes seine Heimat nicht nur in seinem schwedischen Land, sondern im Rostocker Volkstheater. Die Debatten um die Filme von Konrad Wolf wühlten ein ganzes Land auf und die Dresdener Kunstaustellung war zu Zeiten „in aller Munde“. Zugleich konnte die Partei (-Führung) immer weniger mit Leistungen der eigenen Künstlerinnen und Künstlern umgehen. Vielleicht waren deren Aburteilung durch die SED, der Bruch mit Christa Wolf und anderen, die Ausbürgerung Wolf Biermanns die Vorzeichen des Niedergangs der DDR. ...

Eine linke Partei, die über gesellschaftliche Veränderungen nachdenkt, muss lernen, politische Überzeugungen, die nicht unsere sind oder die sich sogar gegen uns richten, in ihrer Dialektik zu begreifen. Das Mindeste, was Leitungen auch der Partei DIE LINKE aus der Gesichte gelernt haben sollten ist, dass Parteileitungen sich aus der Bewertung von Kunst und aus der Gestaltung von künstlerischen Veranstaltungen herauszuhalten haben. Angesichts der Vielfalt linker kultureller Erfahrungen ist es aus meiner Sicht schwer verständlich und nicht hinnehmbar, wenn ein geschäftsführender Vorstand der LINKEN sich bei Veranstaltungen in die Auswahl und die Platzierung von Künstlerinnen und Künstlern einmischt. Warum, so frage ich, darf ein Schauspieler, der eine ganze Nation bewegt, wie Dieter Hallervorden, nicht auf einem Neujahrsempfang der LINKEN auftreten? Etwa, weil er zuvor nicht wie ein reuiger Sünder dem Neoliberalismus in Gänze abgeschworen hat? Zensur hat nichts mit Dialektik, mit Auseinandersetzung, mit Meinungsstreit zu tun. Ein neues Kapitel im Verhältnis Arbeiterbewegung, von politisch organisierter Linker zu Kunst und deren Meinungsvielfalt aufzuschlagen bedeutet auch, sich mit dem Geist der Freiheit, dessen Widersprüchen auseinanderzusetzen und sich deren Dynamik zu öffnen. ...

In der öffentlichen Wahrnehmung verlieren als etabliert geltende politische Kräfte (Personen) deutlich an Einfluss. Nur geht das nicht nach links, sondern nach rechts. Franz-Josef Degenhardt hat das wunderschöne Spottlied „Du bist anders als die andern - einzigartig like a Star“ geschrieben zur allseits propagierten und gewünschten Individualität, die sich dann doch als Illusion erweist. Doch gemeinsam, als Kollektiv können wir tatschlich anders als die andern sein, nicht so einförmig, nicht so kommerziell, ein wenig mehr kollektiv wie zugleich individuell – eben einzigartig like a Star. Vielleicht gäbe es dann auch mehr Künstlerinnen und Künstler, Stars und anti-Stars, die sich darauf freuten, bei uns aufzutreten, mit uns zu diskutieren und uns dann möglicherweise auch bei der einen oder anderen Aktion, es darf auch eine Wahl sein, zu unterstützen.

 

Humanitäre Aktion für Gorlowka erfolgreich beendet


Über den Rechenschaftsbericht zur Hilfe für ein Kinderkrankenhaus in der Südostukraine

Frieden herrscht nicht in der Ukraine. Was sie sehen und erleben, haben die kleinen Patienten aus dem Kinderkrankenhaus in Gorlowka gemalt. Diese Stadt liegt in der Südostukraine, im Rayon Donezk, seine Einwohner sprechen eher von der Volksrepublik Donezk, direkt an der Demarkationslinie zur Ukraine. Hier wird oft und heftig geschossen.

Für dieses Kinderkrankenhaus haben die Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, im Dezember 2014 zu Spenden aufgerufen und sie erlebten eine überwältigende Hilfsbereitschaft: 135.000 Euro sind für diese humanitäre Initiative zusammengekommen, um die so dringend benötigten Medikamente zu kaufen.

Eine einfache Idee, doch schwer zu verwirklichen. Die großen internationalen Hilfsorganisationen können nur Spenden für Ihre eigenen Projekte entgegennehmen, sie sind nicht Dienstleister für andere, wie auch immer sie begründet und konstruiert seien. Die ukrainische Regierung in Kiew könne kein freies Geleit des Hilfstransports zusichern, also musste alles über Russland gehen. Aber auch dort kann man nicht einfach für eine sechsstellige Summe in der nächsten Apotheke Medikamente kaufen.

Nach zahlreichen oft hoffnungsfrohen Anläufen, die sich dann aber doch zerschlagen hatten, und nach einer ersten Teillieferung im Februar konnte endlich im November 2015 ein riesiger LKW mit Medikamenten im Hof des Kinderkrankenhauses vorfahren. Möglich geworden war das durch die Zusammenarbeit mit der St. Petersburger Stiftung Schönheit rettet die Welt.

Von allen Aspekten dieser humanitären Hilfsaktion gibt es jetzt einen abschließenden Rechen­schaftsbericht, auch Fotos, ein Video, eine Reportage und Hintergründe auf unseren Webseiten:

www.andrej-hunko.de, www.wolfgang-gehrcke.de und speziell

http://www.wolfgang-gehrcke.de/de/topic/212.kinderkrankenhaus-gorlowka.html

Die St. Petersburger Stiftung Schönheit rettet die Welt, mit deren Hilfe wir den Großteil der Hilfsgüter nach Gorlowka bringen konnten, hat sich mit weiteren Stiftungen zur Donbass-Hilfe zusammengetan. Eines ihrer Projekte ist das Kinderkrankenhaus in Gorlowka, ihre deutschsprachige Website www.donbass-hilfe.org