Ça ira Nr. 134: Krieg gegen den Terror (22.11.2016)

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Wer Krieg sät, erntet Leid, Flüchtlinge, aber auch Wut und Terror - Ein „Krieg gegen den Terror“ ist daher „Öl ins Feuer gießen"!


Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag hatte (wie zu vielen anderen brennenden Fragen unserer Zeit oft mit dem Mittel einer „Kleinen Anfrage“) am 22. März 2016 eine „Große Anfrage“ an die Bundesregierung zu den „Erfahrungen aus 14 Jahren Krieg gegen den Terror – Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan“ gestellt.

Nachlesbar sind die Begründung der Anfrage der Fraktion DIE LINKE und ihre 101 Fragen auch als Drucksache 18/7991 der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.

Wir wollen heute die vorab elektronisch vorgelegte Antwort der Bundesregierung kommentieren. Aufschlussreich sind dabei bereits die Vorbemerkungen der Bundesregierung zu ihrer insgesamt 287 Seiten umfassenden Antwort auf die Große Anfrage.

Mit diesen Informationen zu Sichtweisen beider Seiten kann eine breitere öffentliche Debatte über die Kriegsziele Deutschlands im Nahen Osten mit Fakten bereichert werden, um das Nachdenken über die wirklichen, kausalen Zusammenhänge zwischen dem „Krieg gegen den Terror“ und den Ursachen der Flucht von Millionen Menschen aus dieser Region weiter anzuregen.

 

Einige Daten zur Erinnerung


"Krieg gegen den Terror" schon seit 15 Jahren

  • Am 16. November 2015 war es 14 Jahre her, dass die Bundeswehr per Parlamentsbeschluss in den von den USA als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ zog. Die Fraktion der PDS war die einzige, die von Beginn an gegen das OEF- und das International-Security-Assistance-Force-(ISAF)-Mandat stimmte.
  • Im Frühjahr 2003 sind die USA mit ihrer „Koalition der Willigen“ in den Irak einmarschiert und stürzten Saddam Hussein. Sechs Monate später gründete sich der Islamische Staat (IS).
  • Am 4. Dezember 2015 beschlossen die Koalitionsfraktionen der CDU, CSU und SPD den völkerrechtswidrigen Einsatz von bis zu 1.200 Soldatinnen und Soldaten im Syrienkrieg.
    Warum? Als Anlass diente ein unmenschlicher Terrorakt am 13. November 2015 in Paris, bei dem die Täter – nahezu ausschließlich französische und belgische Staatsbürger – 130 Menschen ermordeten. Was hat der Staat Syrien damit zu tun?

Es fehlt seitens der Bundesregierung immer noch eine ehrliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Opferzahlen und den Folgen der Kriegseinsätze und auch des Drohnenprogramms der US-Regierung, welches von Deutschland aus durch die Infrastruktur im US-Stützpunkt Ramstein direkt unterstützt wird. Die UNO und ihre Mitgliedstaaten wie auch die Bundesregierung müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und die humanitären, langfristigen Folgen von Militäreinsätzen von unabhängigen Expertinnen und Experten untersuchen, dokumentieren und veröffentlichen lassen.

Die Menschenrechts- und die Sicherheitslage in Afghanistan, Irak und Pakistan ist unverändert kritisch. In einer nichtöffentlichen Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts wird die Lage der Menschenrechte in Afghanistan sehr kritisch beschrieben, besonders die Lage von Frauen und Kindern. Die Regierungsführung sei durch verbreitete Korruption gekennzeichnet, die Sicherheitslage „volatil“. Die Zentralregierung könne den Schutz der Bevölkerung oft nicht garantieren.

 

101 Frage wirklich beantwortet?


Zur Beantwortung der 101 Fragen der Großen Anfrage brauchte die Bundesregierung erfreulicherweise nicht 1001 Nacht: Die Antwort liegt nun vorab (gedruckt etwas später) schon nach acht Monaten, also nach rund 240 Tagen und Nächten vor.

Was sagt nun die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage? Interessant ist, was sie nicht sagt, wozu sie nichts sagen will oder keine Auskunft geben kann. Die Richtung dafür wird schon aus den Vorbemerkungen der Bundesregierung vor der eigentlichen Beantwortung der Fragen erkennbar. Da geht es vorwiegend um die Rechtfertigung der vielen Formen militärischer Aktionen. Weitgehend ausgeblendet werden die Fluchtursachen, maßlos beschönigt werden dabei die Resultate der militärischen wie der zivilen Unternehmungen Deutschlands, wie einige Auszüge ahnen lassen:

„Der Terrorismus hat sich zu einer grenzüberschreitenden, globalen Herausforderung entwickelt …“

Hat er sich, der Terrorismus? Wodurch denn und durch wen?

„Der internationale Terrorismus kann nur überwunden werden, wenn seine Ursachen nachhaltig bekämpft werden. Nur inklusive politische Prozesse, die eine stabile gesellschaftliche Ordnung hervorbringen, können den Einfluss terroristischer Organisationen zurückdrängen.“

Ist das die Rechtfertigung für den militärischen Einsatz der Bundeswehr in Syrien, für die Billigung all der Kriege im Nahen Osten und Nordafrika: Afghanistan, Irak, Libyen, Mali …?

Die Bundesregierung engagiert sich gemeinsam mit den Partnern der internationalen Anti-IS-Koalition im Kampf gegen die Terrororganisation des sogenannten Islamischen Staats (IS) … führt – gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten – den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Stabilisierung“ ... für die Rückkehr von Binnenvertriebenen in diese Gebiete zu ermöglichen.“

Aha, hier wurde offenbar wieder einmal „der Bock zum Gärtner“ auserkoren!

„Die politischen Aktivitäten der Bundesregierung werden durch militärisches Engagement flankiert. … Dies wurde zudem ergänzt durch die deutsche Beteiligung an der Unterstützung der Anti-IS-Koalition durch die NATO mit AWACS-Aufklärungsflugzeugen. Die Bundeswehr bildet auf Bitten der irakischen Regierung Sicherheitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte im Rahmen von militärischen Ausbildungslehrgängen aus.“

Die Bitte, oder überhaupt die Frage an die souveräne syrische Regierung wurde offenbar von der deutschen Bundesregierung vergessen.

Irak ist ein Schwerpunktland der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung …, für die erforderliche Sicherheit für ihre Bürgerinnen und Bürger selbst zu sorgen … Im Irak hat die Bundesregierung seit dem Sturz von Saddam Hussein umfangreiche Hilfe zum Wiederaufbau des Landes geleistet. Seit Verschärfung der Krise im August 2014 hat die Bundesregierung ihr Engagement mit besonderem Fokus auf humanitäre Hilfe, strukturbildende Maßnahmen und Stabilisierung noch einmal intensiviert …“

Eingedenk der Koalition der Willigen im Jahre 2003 ist das ja wohl 11 Jahre später eine ziemlich dürftige Erfolgsquote!

 

Auch in Afghanistan zielt das zivile, polizeiliche und militärische Engagement Deutschlands über die Bekämpfung des internationalen Terrorismus hinaus auf die Stabilisierung und Entwicklung des Landes. Afghanistan hat mit internationaler Unterstützung bedeutende Fortschritte beim Aufbau der während des 22-jährigen Bürgerkrieges erodierten staatlichen Strukturen … gemacht. Erhebliche Defizite bestehen jedoch in allen diesen Bereichen fort. … Der Wiederaufbau des Staates, insbesondere der afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte, ist noch nicht abgeschlossen und bleibt trotz seiner Fortschritte fragil.

Und daher ist also demnächst Afghanistan ein „sicheres Herkunftsland“ für Abschiebungen?

 

Was sagen US-Amerikaner und internationale Organisationen zum Krieg gegen den Terror?


Für die Bundesregierung nur Hypothesen oder zu einseitig ...

Der ehemalige Chef der Special Forces, Mike Flynn, gibt zu bedenken:
Zahlreiche Terrorgruppen, allen voran der so genannte Islamische Staat, sind erst infolge dieses „Kriegs gegen den Terror“ entstanden.
Die Spiegel-Reporter Matthias Gebauer und Holger Stark trafen Flynn 2015 bei Washington zum Interview:
www.spiegel.de/politik/ausland/ex-us-geheimdienstchef-mike-flynn-ueber-denis-wir-waren-zu-dumm-a-1065038.html
Michael Flynn diente mehr als 30 Jahre in der US-Armee, zuletzt als Chef des Militärgeheimdienstes DIA. Zuvor war er stellvertretender Geheimdienstkoordinator der US-Regierung. Von 2004 bis 2007 war er in Afghanistan und dem Irak stationiert, als Kommandeur der US-Spezialkräfte jagte er im Irak den Top-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi, einen der Vorgänger des heutigen Chefs des "Islamischen Staats", Abu Bakr al-Baghdadi. Nachdem Flynns Männer Sarkawi lokalisiert hatten, wurde Sarkawi im Juni 2006 durch einen US-Luftschlag getötet.

Für die Bundesregierung sind derlei Äußerungen, gemäß Beantwortung der Frage 11, „hypothetische Fragen“, zu denen sie „grundsätzlich nicht Stellung“ nimmt.

 

Vier ehemalige Mitglieder der US-Luftwaffe schrieben dem scheidenden US-Präsidenten  Barack Obama, dem US-Verteidigungsminister Ashton B. Carter und dem CIA-Chef John  Brennan am 18. November 2015 einen offenen Brief.
Darin bezeichnen sie den Drohnenkrieg als „eine der verheerendsten Triebfedern des Terrorismus“.
Und das waren keine Unkundigen:

  • Brandon Bryant, Staff Sergeant, USAF Joint Special Operations Command, 3rd Special Operations Squadron, Disabled Iraq and Afghanistan Veteran,
  • Cian Westmoreland, RF Transmissions Systems, USAF CENTCOM, 73rd Expeditionary Air Control Squadron, Disabled Afghanistan Veteran,
  • Stephen Lewis, MQ-1B Predator Sensor Operator, USAF Joint Special Operations Command, 3rd Special Operations Squadron, Iraq and Afghanistan Veteran
  • Michael Haas, MQ-1B Predator Sensor Operator Instructor, USAF Air Combat Command, 15th Reconnaissance Squadron, Iraq and Afghanistan Veteran

ZEIT ONLINE hat den Offenen Brief am 19.11.2015 um 0:25 Uhr veröffentlicht:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-11/drohnen-piloten-offener-brief-obama

Dieser offene Brief von US-Militärs ist der Bundesregierung offenbar zu einseitig. In ihrer Antwort auf die Frage 12 heißt es dazu: „Die Ursachen terroristischer Anschläge und Handlungen sind vielfältig und lassen sich nicht auf vereinfachende Erklärungsansätze reduzieren.“

 

Und zweifelsfrei unabhängige internationale Organisationen zum „Kriege gegen den Terror“?
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR weist die höchste Zahl an Geflüchteten und den schnellsten Anstieg dieser Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg aus:
60 Millionen Menschen sind nach 14 Jahren „Krieg gegen den Terror“ auf der Flucht.
Viele fliehen aus diesen Ländern, die Schauplatz des „Kriegs gegen den Terror“ sind.

IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War, deutsche Sektion IPPNW Deutschland – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.) weist in neuesten Studien auf deutlich höhere, vor allem zivile Opferzahlen hin, als bisher angenommen worden waren: www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_Auflage_deutsch_2015.pdf

 

Zum Verfahren selbst: Warum eine Große Anfrage?


Warum nur dieser Aufwand?

Eine Große Anfrage war nötig und zweckmäßig, um einerseits nicht nur Antworten anhand von aktuell der Regierung verfügbaren Informationen zu erhalten, sondern ausreichend umfassende und sorgfältige Recherchen zu ermöglichen. Im Gegensatz zu Kleinen Anfragen sind Große Anfragen also umfangreicher, die Beantwortung durch die Regierung erfordert mehr Verwaltungsaufwand.

Die Fristen für die Beantwortung Kleiner Anfragen durch die Regierung sind zwar kürzer, weshalb in der Regel auch keine aufwendigen Recherchen durchgeführt werden können oder müssen. Die Antworten beruhen also auf den Fakten, die der Regierung aktuell vorliegen. Kleine Anfragen sind hauptsächlich ein Instrument der Opposition, die damit auch die jeweilige Regierung kontrollieren will; oftmals fordert sie Rechenschaft über bestimmte Handlungen, oder sie will Begründungen, warum bestimmte Maßnahmen nicht ergriffen wurden.

Nicht weniger interessant und wichtig ist, dass im Sinne der Öffentlichkeit die schriftlich vorgelegte Antwort in der Regel im Bundestag debattiert wird, es also nicht mit einem Papier getan ist. Die Debatte muss erfolgen, wenn sie von einer Fraktion (oder von so vielen Mitgliedern des Bundestages, wie eine Fraktion bilden können) verlangt wird. Davon ist in diesem Falle angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Mandatsverlängerungen für die diversen militärischen Einsätze der Bundewehr mit Sicherheit zu rechnen.

Im Übrigen: hätte die Bundesregierung die schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage innerhalb einer bestimmten Zeit gänzlich abgelehnt, so hätte die Große Anfrage ohnehin zur Beratung auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden können. So oder so sollte also die Debatte hiermit angeregt werden und aufmerksam verfolgt werden.

Schließlich geht es um die so oft gebetsmühlenartig beschworene angebliche Bekämpfung der Fluchtursachen.