Ein anderes Europa, eine andere Welt ist möglich - aber nur mit einer anderen Politik

11.09.2014
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Ich möchte der Bundesregierung vorhalten, dass seit der Vereinigung das Verhältnis Deutschlands und der EU zu Russland noch nie so schlecht war wie heute. Ich will hier darauf hinweisen, dass daran die EU und auch die Bundesregierung erheblichen Anteil haben. Sie müssen mir einmal Folgendes erklären: Sie halten hier eine Friedensrede - ich unterstütze Sie darin -, und am gleichen Tag soll über neue Sanktionen gegen Russland entschieden werden. Wäre es nach den ersten Schritten in der Ukraine - der Waffenstillstand ist dünn und brüchig; ich habe ihn immer verteidigt - jetzt nicht vernünftig, zu sagen: „Schluss mit Sanktionen. Wir treten in neue Gespräche mit Russland ein“? Sie wissen ganz genau, dass die einseitige Unterstützung für Kiew eben noch keine europäische Sicherheitspolitik ausmacht und dass hier viel zu verändern ist. Wir werden kein Problem in Europa und weltweit ohne die Zusammenarbeit mit Russland lösen. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren: Machen Sie uns Russland und die Russen nicht zu Feinden! Linke Außenpolitik will Sicherheit in Europa durch eine Politik mit und nicht gegen Russland, und das muss jeden Tag neu erarbeitet werden.

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51. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Donnerstag, 11. September 2014 - Debatte des Haushaltsentwurfs 2015 – Rede zum Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister! Wenn es wirklich das Ziel dieser Bundesregierung ist, alles dafür zu tun, dass der Friede in Europa erhalten bleibt oder - so würde ich es formulieren - wiederhergestellt wird und dass es in Europa nicht zu einer erneuten tiefgehenden Spaltung kommt, dann will ich erst einmal festhalten: Die Fraktion Die Linke und die Bundesregierung haben in dieser Zielgebung einen gemeinsamen Standpunkt. Das ist nicht wenig; das möchte ich unterstreichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe immer gehofft, dass die Generation meiner Tochter und die meines Enkelkindes ohne die Gefahr eines Krieges zumindest in Europa und hoffentlich auch ohne die Gefahr von Kriegen in der Welt aufwachsen. Das war meine feste Überzeugung. Ich war immer ein Freund der Friedensdividende, die eingebracht werden sollte. Ich finde es entsetzlich, dass wir die Sicherheit, dass Generationen nicht mehr mit der Angst vor Kriegen aufwachsen müssen, heute nicht mehr geben können, weil wir sie nicht mehr haben. Das heißt, es muss einen grundsätzlichen Wechsel in der Politik geben.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Vor allem der Russen!)

Darüber möchte ich reden.

Ist der Außenminister noch anwesend? - Ja, aber er hört nicht zu. Es könnte Ihnen nicht schaden, einmal zuzuhören.

Nun sage ich etwas, was ich eigentlich gar nicht sagen wollte, Herr Außenminister. Sie wissen, dass ich Sie als Person schätze und trotzdem tiefe Differenzen in Bezug auf Ihren außenpolitischen Kurs bestehen. Vielleicht ist es möglich, dass Sie einmal eine Kritik der Fraktion Die Linke positiv aufnehmen und überprüfen, ob sie berechtigt ist und ob es nicht doch der deutschen Außenpolitik zum Vorteil gereichen könnte, hin und wieder auf eine solche Kritik zu hören. Das möchte ich Ihnen quasi als Ausgangslage zumindest anbieten.
Nun müssen wir über Differenzen reden. Wenn wir uns über das Ziel einig sind, heißt das noch nicht, dass wir uns über den Weg dorthin einig sein müssen. Ich will ein paar Differenzen ansprechen. Vor knapp einem Jahr waren Sie es, der auf der Münchener Sicherheitskonferenz gesagt hat, dass er die Weltpolitik nicht von der Außenlinie betrachten wolle. Ich habe das immer für falsch gehalten. Die geschichtlichen Erfahrungen, zumindest wie ich sie aufgearbeitet habe, bedeuten: Wenn Deutschland Anspruch als Großmacht oder als Mittelmacht erhoben hat, war es immer schlecht für Deutschland und für die Welt. Ich möchte, dass wir zu einer Politik der Zurückhaltung, insbesondere einer Politik der militärischen und der ökonomischen Zurückhaltung, zurückkehren.

(Thomas Oppermann (SPD): Und Blockfreiheit!)

Deutschland muss nicht Großmacht spielen.

(Thomas Oppermann (SPD): Auch Blockfreiheit, Herr Gehrcke?)

- Da Sie es zurufen: auch Blockfreiheit! Es gehörte einmal zum Kurs der Sozialdemokratie, für Blockfreiheit in und für dieses Land zu kämpfen. Das war nicht das Schlechteste für Ihre Partei.

(Thomas Oppermann (SPD): Das ist aber eine kurze Periode gewesen!)

Ich bin für Blockfreiheit und ein Gegner der NATO. Ich möchte gern, dass die NATO aufgelöst und durch ein kollektives Sicherheitssystem in Europa ersetzt wird. Ich glaube, das wäre eine vernünftige Politik. Ich finde es schon spannend, zu hören, dass die SPD uns vorhält, dass wir für Blockfreiheit sind. Lesen Sie einmal die Geschichte Ihrer Partei nach! Daraus können Sie etwas lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin dagegen, dass Deutschland Anspruch auf Großmachtpolitik erhebt.

(Thomas Oppermann (SPD): Den erhebt doch keiner! Popanz!)

Sie haben das mit Frau von der Leyen in München vorangetrieben. Ich habe den Artikel über Frau von der Leyen im Stern mit dem Titel „Die Kriegsministerin“ sehr genau gelesen. Ich bin außerdem sehr unglücklich über die Reden des Bundespräsidenten. Ich akzeptiere sie überhaupt nicht. Ich habe eine gewisse Sehnsucht nach einem sozialdemokratischen Bundespräsidenten, den wir einmal hatten, Gustav Heinemann, und der auf die Frage, ob er sein Vaterland liebt, geantwortet hat, dass er seine Frau liebt. Das war eine anständige Position und hatte nichts mit der aggressiven Art und Weise der Politik zu tun, wie sie heute betrieben wird.

Ich möchte der Bundesregierung vorhalten, dass seit der Vereinigung das Verhältnis Deutschlands und der EU zu Russland noch nie so schlecht war wie heute. Ich will hier darauf hinweisen, dass daran die EU und auch die Bundesregierung erheblichen Anteil haben. Sie müssen mir einmal Folgendes erklären: Sie halten hier eine Friedensrede - ich unterstütze Sie darin -, und am gleichen Tag soll über neue Sanktionen gegen Russland entschieden werden. Wäre es nach den ersten Schritten in der Ukraine - der Waffenstillstand ist dünn und brüchig; ich habe ihn immer verteidigt - jetzt nicht vernünftig, zu sagen: „Schluss mit Sanktionen. Wir treten in neue Gespräche mit Russland ein“? Sie wissen ganz genau, dass die einseitige Unterstützung für Kiew eben noch keine europäische Sicherheitspolitik ausmacht und dass hier viel zu verändern ist. Wir werden kein Problem in Europa und weltweit ohne die Zusammenarbeit mit Russland lösen.

Ich möchte an die Bundesregierung appellieren: Machen Sie uns Russland und die Russen nicht zu Feinden! Linke Außenpolitik will Sicherheit in Europa durch eine Politik mit und nicht gegen Russland, und das muss jeden Tag neu erarbeitet werden.

Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Im nächsten Jahr werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus begehen. Diese Befreiung war ein weltweites Ereignis. Es war Bundespräsident von Weizsäcker, der die Zusammenhänge in einer historischen Rede vom Kopf auf die Füße gestellt hat, indem er das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht als Niederlage, sondern als Befreiung Deutschlands bezeichnet hat. Wäre es nicht eine Chance, wenn Deutschland und Russland 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung gemeinsam Schlussfolgerungen aus der gemeinsamen Geschichte zögen und wir aus der Situation eines Kalten Krieges wieder hinauskämen? Ich denke, wir sollten diese Chance aufgreifen.

Aufgreifen sollten wir auch die Chance, in der Ukraine eine andere Politik zu machen. Herr Außenminister, ich habe nie verstanden, warum Sie sich mit dem „Rechten Sektor“ an einen Tisch setzen mussten. Ein deutscher Außenminister hat nicht mit Faschisten zu reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe das, was da passiert ist, für falsch gehalten.

(Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Unglaublich! Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist ja nicht zutreffend! Wie kann man nur so blind auf einem Auge sein!)

Ein deutscher Außenminister sollte völlig klar und deutlich sagen, dass die sogenannten Freiwilligenbataillone, die in der Ukraine kämpfen, eine Ansammlung von nazistischen Banden sind, mit denen man nichts zu tun haben will. Ein deutscher Außenminister sollte auf die ukrainische Regierung einwirken, ihrerseits den brüchigen Waffenstillstand nicht auch noch zu gefährden. Ich glaube, dass man vernünftige Schritte gehen kann und dass genügend Vorschläge dafür auf dem Tisch liegen, übrigens auch aus Russland.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wäre es nicht sinnvoll ich sage das auch an die deutschen Medien gewandt , mit der Verteufelung russischer Politik aufzuhören und wieder eine rationale Politik zu betreiben?

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann den Frieden in Europa sichern. Wir wollen den Frieden in Europa. Mein Angebot an Sie: Wenn es um Frieden geht, finden Sie in der Linken Unterstützung. Aber Sie werden auch die Kritik an der Politik der Bundesregierung ertragen müssen. Lernen Sie daraus! Das wäre ganz vernünftig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)