Scheitern oder Hoffnung?

Die Verhandlungen in Genf für einen Frieden in Syrien sind schwierig.
25.07.2017
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Wolfgang Gehrcke & Christiane Reymann

(Dieser Artikel ist in der jungen Welt am 25.7.2017, S.3 erschienen)

Die siebte Runde der SyrienVerhandlungen in Genf sei »erneut gescheitert«, so die Bilanz des UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura. Er unterstützt zugleich den Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Bildung einer »Kontaktgruppe« aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und den am Konflikt beteiligten Nachbarstaaten, die auszuarbeiten hätte, wie es mit Syrien weitergehen soll. Wir haben eine andere Sicht der Dinge: Gescheitert ist in Syrien (und Genf) eben jene imperialistische Politik, für die Syrerinnen und Syrer keine Subjekte ihrer eigenen Zukunft sind und der Nahe und Mittlere Osten eine Verfügungsmasse in der Globalstrategie der klassischen und neoliberal gewandeten Kolonialmächte ist. Bestärkt haben uns darin Gespräche, die wir am Rande der Genfer Verhandlungen geführt haben, so mit Kadri Dschamil, ehemaliger Vizepräsident Syriens und Vorsitzender der Partei des Volkswillens sowie Sprecher der Moskauer Plattform, und Haitham Manna, Menschenrechtler, Publizist und Vertreter der unabhängigen demokratischen Opposition Syriens. Beide befinden sich derzeit im Exil, Kadri Dschamil in Moskau und Haitham Manna in Paris bzw. Genf. Aus drei mach eins? Bei den Genfer Verhandlungen sitzen die Konfliktparteien nicht zur gleichen Zeit und gemeinsam an einem Tisch. Die Parteien haben jeweils eigene Quartiere, Botschaften, Sitzungszimmer. Vertreter der UNO pendeln von den einen zu den anderen. Direkt oder indirekt sind derzeit Russland und die USA, der syrische Staat und syrische Oppositionelle beteiligt, auch die regionalen Mächte Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, der Iran und die Türkei, die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. Die Bundesrepublik spielt eine untergeordnete Rolle. Laut Taz vom 16. Juli gibt de Mistura der syrischen Regierung die Schuld am »Scheitern« der Genfer Runde. Sie habe direkte Verhandlungen mit der »Hohen Verhandlungskommission« der Opposition weiterhin abgelehnt. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Der Titel »Hohe Verhandlungskommission« legt zwar Großes nah, aber tatsächlich ist sie nur eine von drei in Genf anwesenden Plattformen der syrischen Opposition, und zwar die Riad-Plattform. Sie gruppiert sich um die von den Golfstaaten, den USA und der Türkei finanzierten Kräfte, unter ihnen sind die Muslimbrüder einflussreich und die Nationale Koalition der syrischen Revolutionsund Oppositionskräfte (Etilaf), die bislang vom westlichen Ausland als einzig legitime Vertretung Syriens anerkannt wurde. Daneben gibt es die Moskauer Plattform, die eher linke, antiimperialistische Kräfte sammelt, und die Kairoer Plattform, sie stützt sich auf säkulare arabische Kräfte. Die beiden Letztgenannten waren auch in Genf anwesend; die Kontakte zwischen ihnen seien deutlich besser geworden, meint Kadri Dschamil. Mit der Riad-Plattform hingegen sei es erheblich schwieriger. »Obwohl wir in 98 von 100 Fragen keine gemeinsame Position haben«, habe es doch auf verschlungenen Pfaden und nahezu konspirativ Gespräche gegeben. Jetzt bestehe, so Dschamil weiter, die Chance, trotz weiterhin tiefgehender Differenzen eine Verhandlungsdelegation zu bilden. Die Einigungsformel laute: eine gemeinsame Delegation, aber keine einheitliche. Mit anderen Worten: eine Delegation, drei Plattformen – in Verhandlungen über die Zukunft Syriens mit der Assad-Regierung möglichst unter Moderation der Vereinten Nationen. Das ist eine völlig andere Konzeption als beim Macron-Plan. Bei diesem gibt das Ausland vor, was in Syrien geschehen soll. Hier aber formulieren Syrerinnen und Syrer ihre Ziele und richten konkrete Bitten und Forderungen an das Ausland. Neue Kräfte Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Genfer Verhandlungen zeigen eine bemerkenswerte Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in und um Syrien. Militärisch scheint ein Sieg über den »Islamischen Staat« (IS) und andere islamistische Gruppen wie die NusraFront absehbar. In erster Linie herbeigeführt durch die syrische Armee und Russland. Wichtige Schlachten haben die kurdischen Volksverteidungskräfte (YPG) geschlagen. In Genf drückte sich die Veränderung des Kräfteverhältnisses darin aus, dass der Alleinvertretungsanspruch der »Hohen Verhandlungskommission« für die syrische Opposition nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Ein militärischer Sieg ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer politischen Lösung und einem Ende der Gewalt. Bereits 2012 hatte der ehemalige Syrien-Sonderbeauftragte der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, sechs Punkte vorgelegt, die noch heute den Kern eines möglichen Friedensplans bilden. Wege dorthin werden nicht mehr nur in Genf, sondern auch in Astana auf Initiative von Russland, der Türkei und dem Iran ausgelotet. Ein Plan ist also da, nicht vorhanden war bislang ein politisches Kräfteverhältnis, das dessen Realisierung möglich erscheinen ließ. Die Eckpunkte des Plans sind: Syrien bleibt als zentraler säkularer Staat erhalten, das schließt einen föderativen Staatsaufbau ein und nicht aus. Abzug aller ausländischen Truppen und Söldner, Freilassung aller politischen Gefangenen, Bildung einer Übergangsregierung, Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie, demokratische, international kontrollierte Wahlen, Religionsfreiheit für alle, Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge. Gewählt werden soll, und das war neu in dieser Genfer Verhandlungsrunde, nicht nur in Syrien selbst, sondern auch in den Flüchtlingslagern. Im einzelnen sind auf dieser Linie dann Tausende Streitpunkte programmiert, ein lässlicher Preis für das Ende des entsetzlichen Krieges. Die ungeklärte Kurdenfrage Ungeklärt, ja unausgesprochen in den Genfer Verhandlungen ist die Vertretung der Kurdinnen und Kurden. Einzelne Kurdinnen und Kurden spielen in allen drei Plattformen eine Rolle, aber es gibt keine eigenständige kurdische Delegation. De Mistura sagt: Diese Frage würde die Türkei sofort gegen Genf aufbringen und einen möglichen Verhandlungsprozess vorzeitig beenden. Generell gehört die kurdische Frage in der gesamten Region zu den hei- ßen Eisen. 80 Millionen Kurdinnen und Kurden leben auf den Gebieten der Türkei, Iraks, Irans und Syriens. Ein kurdischer Staat würde die Kräfteverhältnisse in dieser Region völlig verändern. Damit es erst gar nicht dazu kommt, bekämpft die Türkei vorsorglich politisch und militärisch die Kurden auf ihrem Staatsgebiet und auch außerhalb. Der Iran ist gegen einen Kurdenstaat, weil er selbst hegemoniale Ansprüche verfolgt, und die irakische Regierung will nicht auf die Petrodollar aus der autonomen Region Kurdistan verzichten. In Syrien leben zwei Millionen Kurdinnen und Kurden, das sind weniger als in Deutschland. Nordsyrien stellt kein zusammenhängendes kurdisches Siedlungsgebiet dar. In welcher staatlichen Form auch immer, dort werden Kurden und Araber, zudem Menschen ganz unterschiedlicher Glaubensrichtungen, zusammenleben (müssen). Die demokratische syrische Opposition, ob unabhängig oder zur Moskauer Plattform tendierend, tritt ganz entschieden für eine verfassungsrechtlich definierte und gesicherte kurdische Autonomie im Rahmen des syrischen Staates ein und möchte gern mit den syrisch-kurdischen Kräften dafür kämpfen. Für sie steht fest, auf dem langen Weg zum Frieden müssen Kurdinnen und Kurden für sich selbst sprechen, und zwar von Anfang an und nicht erst am Ende. Große Sorgen äußerten unsere Gesprächspartner, dass die Kurdenfrage von den USA und regionalen Mächten instrumentalisiert wird. Angenommen, Syrien näherte sich einem – fragilen – Nichtkriegszustand, hätten damit immer noch große Teile der US-amerikanischen politischen Klasse ihre Strategie der »kreativen Zerstörung«, die sie jetzt in Syrien, dem Irak, Libyen und anderswo verfolgen, nicht aufgegeben. Über die Kurdenfrage ist die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens zu destabilisieren. Aktuell kritisiert Haitham Manna scharf die Volksbefragung in den kurdischen Gebieten des Irak zur Segregation und Bildung eines eigenen Staates. Das schwäche überall den Kampf um kurdische Selbstbestimmung. Format stößt an Grenzen Laut Staffan de Mistura sei das Genfer Format nicht mehr tragfähig. Auch aus unserer Sicht stößt es an seine Grenzen, nur aus anderen Gründen: Es bedarf einer breiteren Beteiligung aus der syrischen Gesellschaft und deren demokratischer Legitimation – so fehlt neben einer kurdischen auch eine Vertretung der Frauen – sowie einer engagierten und solidarischen internationalen Begleitung. Unabhängig davon, was man vom Genfer Format hält, man soll Strukturen erst dann auflösen, wenn sich bessere herausbilden und akzeptiert werden.