Kein Krieg für Öl!

16.03.2011
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Kein Krieg für Öl! (Wolfgang Gehrcke)

 

Ich glaube, wir müssen uns zugestehen, dass wir in einer Zeitenwende, in einer wirklichen Zeitenwende leben. Wir erleben einen tiefen Bruch von Zivilisation und müssen neue Antworten darauf geben. Die alten Reden, die Phrasen der Vergangenheit tragen nicht mehr in die Zukunft.

 

95. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 16. März 2011
Regierungserklärung zum „Umbruch in der arabischen Welt“

Rede des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke

Herzlichen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine SPD-Kollegen haben mir zugerufen, ich solle den Außenminister nicht allzu sehr loben. Ich glaube, das hofft er auch. Ich werde mir Mühe geben, ihn nicht allzu sehr zu loben. Es steht genügend zwischen uns.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir sollten uns einen Moment darauf besinnen, die Bilder, die wir alle erleben, vielleicht auch im Inneren ein Stück weit mit zu verarbeiten und darüber nachzudenken, unsere Gefühle und möglichst auch unseren Verstand zu sortieren.

Für mich ist das ein furchtbares Wechselbad von Gefühlen: die Riesenbegeisterung, die ich gehabt habe angesichts der Bilder vom Tahrir-Platz ich war kurz vorher in Ägypten , von dem Freiheitswillen, dem Ruf nach Freiheit, der von dort ausgegangen ist, dem Engagement für Freiheit, und dann die entsetzlichen Bilder aus Libyen, die ich wahrnehme, wo man versucht, den Freiheitswillen mit Militär zusammenzuschießen. Es ist außerdem ein Wechselbad der Gefühle, wenn ich die Bilder aus Japan auch nur ein Stück weit wirklich an mich herankommen lasse. Ich glaube, wir müssen uns zugestehen, dass wir in einer Zeitenwende, in einer wirklichen Zeitenwende leben. Wir erleben einen tiefen Bruch von Zivilisation und müssen neue Antworten darauf geben. Die alten Reden, die Phrasen der Vergangenheit tragen nicht mehr in die Zukunft. Ich finde, das ist ein Signal, das vom Bundestag ausgehen müsste.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich teile die Auffassung, dass der Umbruch in Ägypten nicht ein Werk des Westens war. Die Leute haben gesagt: Vom Westen wollen wir überhaupt nichts wissen. Da habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Ich glaube auch nicht, dass Deutschland in erheblichem Maße an diesem Umbruch im positiven Sinne beteiligt war, sondern eigentlich eher im negativen Sinne. Deutschland hat all die Regime mit zu verantworten gehabt. Deutschland hat sie gestützt, gestärkt, ihnen die Hand gehalten, und es hat mit ihnen paktiert. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Deswegen sollte die erste Botschaft des Bundestags sein, dass wir uns mit großem Respekt an die Menschen wenden, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt haben, um Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu erreichen: in Ägypten, in Tunesien und auch in Libyen. Diesen Respekt sollten wir in diesem Hause aussprechen und sagen: Es war nicht unser Umbruch. Es war nicht unsere Revolution. Es war euer Umbruch. Es war eure Revolution. Dafür sind wir euch dankbar. Davon erwarten wir uns auch etwas für uns und für die Gestaltung hier in unserem Lande.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich (SPD))

Meine zweite Bitte ist, dass wir viel dafür tun, dass der Freiheitsimpuls aus den nordafrikanischen und arabischen Ländern durch die Unterdrückung der Freiheit durch Gaddafi oder Bahrain nicht verloren geht. Er muss im Vordergrund bleiben.

Da manche noch mit dem Bild herumrennen, Gaddafi habe angeblich einmal etwas mit einer antiimperialistischen Bewegung zu tun gehabt, möchte ich Folgendes sagen: Gaddafi ist nicht links, Gaddafi ist nicht Freiheit, sondern Gaddafi ist das Gegenteil von links und von Freiheit. Eine solche Politik darf man - und das gilt auch für eine ganze Reihe anderer Länder - nicht unterstützen, egal wo in der Welt man Verantwortung trägt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Da machen Sie es sich zu einfach!)

- Ach komm, hör auf!

Ich möchte aber gerade in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Wie kann man überhaupt helfen? Welche Möglichkeiten haben wir außer Krieg und dem Einsatz von Militär, wenn man diese nicht als Hilfsmittel ansieht, sondern eher als das Gegenteil davon? Ich denke, dass man, auch in Libyen, nach wie vor auf die Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien setzen muss. Das klingt nicht leicht; aber es wäre eine Aufgabe für Deutschland, das auch im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen durchzusetzen. Vermitteln ist in einer solchen Situation besser, als die Menschen weiter aufeinander schießen zu lassen. Wer die Menschen wirklich retten will, muss sich für eine Vermittlung einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin strikt dafür, dass handelspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Wenn wir für Öl kein Geld mehr bezahlen und die Öllieferungen ausgesetzt werden, wird uns das zwar in Probleme bringen. Es wäre aber ein wirksames Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Gaddafi-Regime. Es ist interessant, dass über diese Frage kaum nachgedacht wird.

Ich bin ganz entschieden dafür, dass das Verbot von Waffenexporten nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft für die gesamte Region, also den Nahen Osten und Nordafrika, durchgesetzt wird. Es darf keine Waffenlieferungen mehr geben. Denn - diese Frage ist doch berechtigt - was passiert später mit den Waffen?

Ich sage ehrlich: Ich möchte, dass Deutschland als Nation und als Mitglied der Europäischen Union vorangeht, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können den Menschen doch nicht auf die Schulter klopfen und sagen: Ihr habt gut für Demokratie gekämpft, aber bleibt, wo ihr seid. - Wenn wir den Menschen, die für Demokratie gekämpft haben und kämpfen, Respekt entgegenbringen, muss unser Land sich für die Flüchtlinge öffnen und in dieser Hinsicht ein Vorbild sein. Dazu gehört, dass man FRONTEX aufkündigt. Dazu hat der Außenminister hier nichts gesagt - wohl aus guten Gründen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man das tut, ist das schon eine ganze Menge. Ich füge hinzu, dass ich militärische Maßnahmen für völlig ungeeignet halte. Ich habe die Bilder vom Irakkrieg noch gut in Erinnerung, ebenso die Rede von Condoleezza Rice, die nach dem Irakkrieg glaubte, im Irak einen neuen Nahen Osten erkennen zu können. Das Ergebnis des Irakkrieges kennen wir alle. Deswegen warne ich davor, allzu leicht über Krieg und Militär zu reden und möglicherweise irgendwo hineinzurutschen, wo man vielleicht nicht wieder herauskommt. Ich sage kategorisch: Kein Krieg für Öl! Keine militärische Unterstützung, weder der einen noch der anderen Seite!

Ich gestehe der Bundesregierung zu, Herr Außenminister, dass sie sich in dieser Frage mit Bedacht bewegt hat. Das heißt nicht, dass jeder Schritt in Ordnung war. Wie wollen Sie denn mit dem französischen Präsidenten umgehen, der mit seiner Luftwaffe Ziele in Libyen bombardieren will? Frankreich ist doch, zusammen mit Großbritannien, einer unserer engsten Partner in der Europäischen Union. Was heißt es, sich in der NATO an Planungen zu beteiligen bis hin zu einem operativen Plan, wie heute noch einmal bestätigt worden ist? Wer plant, befindet sich schon mit einem halben Fuß in der Ausführung. Es darf weder Planung noch Teilhabe an den Planungen geben!

Bitte lassen Sie uns unserer Bevölkerung sehr deutlich sagen: Wer Flugverbotszonen einrichtet, Kollege Mützenich, oder sich diesbezüglich offen zeigt, muss bereit sein, sie auch durchzusetzen, das heißt, Flugzeuge abzuschießen und die Luftabwehr auszuschalten. Dann befindet man sich im Krieg und kommt so leicht nicht wieder heraus. Auch das ist eine Erfahrung aus internationalen Auseinandersetzungen. Das wollen wir nicht. Für uns ist völlig klar: Kein Krieg für Öl! Keine militärische Unterstützung, weder für Gaddafi noch gegen ihn! Das ist kein Mittel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich schlage vor, dass wir auch über ein paar andere Dinge nachdenken, bei denen wir uns unserer eigenen Rolle vielleicht nicht ganz sicher sind. Ich fand den Einwand, dass man auch mit Schurken in Staatsämtern verhandeln muss, richtig; das war immer auch meine Position.

(Jörg van Essen (FDP): Deswegen fahren Sie auch nach Kuba und Venezuela!)

Aber Verhandeln ist etwas anderes als Paktieren. Unser Land hat mit solchen Schurken in Staatsämtern paktiert, zum Beispiel mit Mubarak, den wir finanziert und im Amt gehalten haben. Unser Land hat mit Gaddafi paktiert, und zwar einzig und allein aus dem Grunde, dass er die Flüchtlinge in Libyen hält und diese nicht nach Europa lässt. Das Paktieren mit Schurken gilt auch in Bezug auf Ben Ali. Das darf sich nicht wiederholen. Das ist aber doch das Bild, das sich ergibt. Die Schlussfolgerung müsste sein: Verhandeln ja, aber nicht paktieren.

Ich möchte gern, dass hier klar wird: Wir stellen die Waffenexporte ein. Deutschland hat an Saudi-Arabien, an Libyen, an die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen in großem Umfang geliefert und dafür Geld kassiert. Auch das muss hier einmal ausgesprochen werden: Ein Teil der Waffen, mit denen jetzt in Bahrain gegen die Demonstranten vorgegangen wird, stammt aus Deutschland bzw. ist von Deutschland geliefert worden. Wollen wir das etwa fortsetzen? Ich finde, darauf gibt es nur eine einzige Antwort: Sofort beenden!

(Beifall bei der LINKEN)

Es kann doch nicht dabei bleiben, dass wir mit unserer Politik dazu beitragen, dass sich die Preise von Nahrungsmitteln so erhöhen, dass sich Menschen in vielen Teilen der Welt sie nicht mehr leisten können. Die Politik muss sich nicht nur im Nahen Osten, in den arabischen Ländern ändern. Auch wir müssen die Grundlagen unserer Politik ändern. Damit zeigen wir, dass wir etwas von dem begriffen haben, was uns die Menschen auf dem Tahrir-Platz vorgemacht haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)