Brief an Günter Grass

26.04.2012
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Sehr geehrter Günter Grass,


meinen Dank für Ihren Mut, das auszusprechen, was ausgesprochen werden muss, und zwar so lange, bis sich etwas bewegt, habe ich öffentlich gemacht. Nun möchte ich Ihnen auch persönlich danken. Ich mache das auch deshalb, weil die Schmutzkampagne, mit der Sie, wie Sie sagen, gerechnet haben, noch übler als erwartet ausfiel. Ungeheuerlich war der Angriff von Josef Joffe auf Zeit online; es widerstrebt mir, daraus eine Zeile zu zitieren.
Ich möchte Ihnen danken, dass Sie Ihre Bekanntheit, Ihre Reputation in die Waagschale warfen und das thematisierten, was von den Mainstream-Medien und der herrschenden Politik verschwiegen und verdeckt wird. Die Erklärung der Friedensbewegung und der Friedensforschung zum Irankonflikt („Friedens- statt Kriegspolitik im Irankonflikt - Sanktionen und Kriegsdrohungen sofort beenden“), der wenige Tage vor dem Erscheinen Ihres Gedichts per Anzeige in die Zeitungen kam, wurde ignoriert. Das zeigt, wie hilfreich ihre Wortmeldung war und ist.

Mir war klar, als ich Ihren Text in der Süddeutschen las, welche Auseinandersetzungen Sie auslösen würden. Und mir war auch klar, dass ich in der politischen Landschaft ziemlich allein stehen werde, wenn ich Ihre inhaltliche Position öffentlich verteidige. Ich habe mich oft in Distanz und Kontroverse zu Ihnen bewegt und das wird sicher auch so bleiben, aber ich fand es sehr bedauerlich, dass sich nicht mehr Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Parteien auf Ihre Seite stellten.
Sie haben das ausgesprochen, was Friedensbewegung, Intellektuelle, KünstlerInnen und PolitikerInnen in Deutschland und anderen Ländern seit Jahren sagen und was in Israel selber seit Jahren hundertfach diskutiert, aber nicht oder zu wenig gehört wird: Die Option eines Erstschlags, die sich Israel offen hält, die Israel immer wieder als Option benennt, kann in ein atomares Inferno führen, von dem auch Europa betroffen wäre. Und die gegenwärtige deutsche Regierung und ihre Vorgänger wären die Komplizen dieses Erstschlags und sie wären Kriegspartei.
Wir haben Ihnen zu danken, dass Sie den Kopf hinhielten, obwohl Sie wussten, dass nicht die Drohung mit einem Erstschlag und die Kumpanei der Bundesregierung Empörung und Aufschrei bewirken wird, sondern das Aussprechen der Warnung. Die alte Kassandra-Geschichte! Sie wussten, was Ihr Gedicht auslösen würde, weil es Ihnen natürlich nicht verborgen geblieben ist, wie mit Friedensbewegung, Solidaritätsbewegung, NGOs, mit (überwiegend) linken PolitikerInnen umgesprungen wurde und wird, wenn sie auch nur einen Millimeter weiter gehen, als die selbsternannten Israelfreunde es zulassen wollen.
Der Vorwurf des Antisemitismus, der Ihnen gemacht wird, ist absurd. Dazu haben sich viele Menschen geäußert, Prominente und nicht Prominente. In der Bevölkerung haben Sie einen großen Rückhalt gefunden. Und schnell wird allenthalben der Eindruck erweckt, dass die Zustimmung, die Sie gefunden haben, Ausdruck von verbreitetem Antisemitismus in der Bevölkerung sei. Allen Zustimmenden wird pauschal Antisemitismus vorgeworfen, obwohl die Wortmeldungen in Blogs und LeserInnenkommentaren von Onlinezeitungen eine andere Sprache sprechen. Der Antisemitismusvorwurf ist die stärkste ideologische Waffe derjenigen, die ihre eigenen Interessen, sei es der globale Einfluss, sei es der Profit, der mit Rüstungsgütern gemacht wird, durchsetzen wollen. Das muss demaskiert werden. Und es muss gesagt werden: Die freie Meinung in unserem Land ist bedroht.
Ich habe viele Freunde, sowohl in Israel wie auch in Palästina. Die FriedensfreundInnen in Israel, die Linken und VertreterInnen von NGOs weisen uns vermehrt in letzter Zeit darauf hin und klagen darüber, dass es in Israel selber immer schwieriger wird, eine kritische Meinung zu äußern, dass die Angriffe immer aggressiver werden, dass Repressionen, die früher „nur“ gegen arabische Israelis gerichtet waren, sich zunehmend auch gegen jüdische Israelis richten. Wir tun den Friedenskräften und den demokratischen Kräften keinen Gefallen, wenn wir das verschweigen und das Bild eines im Innern demokratischen Staates zeichnen, ohne diese Entwicklung zu benennen. „Helft Israel, indem Ihr es kritisiert“, das sagen viele in Israel.
Es ist Ihnen weiterhin zu danken, dass Sie auf Auswege aus der gefährlichen Situation im Nahen Osten hinwiesen. Als erstes: Viele mögen sich vom Schweigen befreien, die Verursacher der Gefahr zum Verzicht auf Gewalt auffordern. Dann die Kontrolle des israelischen Kernwaffenpotenzials genauso wie der iranischen Atomanlagen.
Frieden machen, muss man nicht mit seinen Freunden. Frieden muss man mit seinen Feinden schließen, dazu muss man aufhören, sie zu verteufeln. Die Pflege von Feindbildern dient, wenn nicht der Kriegsvorbereitung, dann doch der Aufrechterhaltung von Spannungen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden und auch über andere wichtige Fragen hat weiterhin Revolutionsführer Ali Chamenei. Und dieser sagte nach den Äußerungen Ahmadinedschads und dem Wirbel darum: "Iran wird gegen keine Nation eine Aggression begehen." Daran sollte angeknüpft werden.
Oft können die verfeindeten Parteien ihre Feindschaft, weil sie alt und eingefleischt ist, nicht überwinden. Dann brauchen sie Unterstützung. Alles in eine Politik des Ausgleichs und die Überwindung von Feindschaften zu setzen, wäre eine wirkliche Hilfe für Israel und den ganzen Nahen Osten. Die Vorschläge für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten liegen auf dem Tisch. Der Schlüssel zur Entschärfung der gefährlichen Lage und die Chance für einen Friedensprozess aber liegt in der Lösung des Palästina-Konflikts. Dafür müssen wir uns einsetzen. Europa hat gute Erfahrungen mit OSZE/KSZE gemacht. Davon könnte der Nahe Osten profitieren.

 

Herzliche Grüße
Wolfgang Gehrcke