Brief an einen russischen Freund

09.05.2014
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9. Mai - Tag des Sieges für sehr viele Menschen in Russland und den Ländern, die ehemals zur Sowjetunion gehörten. Auch für mich ein besonderer Tag.

Brief an einen russischen Freund:

Lieber Leonid Kalashnikov,

nun arbeiten wir bereits mehrere Jahre zusammen – Du im Ausschuss für Außenbeziehungen der Duma, ich im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Beide tragen wir Verantwortung für die internationale Politik unserer Parteien. Ich habe dieser Tage, nach unserem Zusammentreffen in Moskau Anfang April, viel an Dich gedacht. Es beunruhigt und empört mich ganz tief, wie heute in vielen Medien und in der Politik des Westens mit Russland umgegangen wird.

Heute werde ich im Bundestag sprechen, auch zu diesem Thema, da die Regierungsfraktionen "10 Jahre Osterweiterung der EU" feiern wollen. Ich werde Dir so schnell wie möglich meine Rede und auch meine Eindrücke von der Debatte übermitteln.

Solidarische Grüße, Wolfgang

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Auszug aus der Rede in der Vereinbarten Debatte zum Thema "10 Jahre EU-Osterweiterung"

>> Auch ich denke, man muss zurückblicken, wenn man bestimmen will, was erreicht worden ist, und wenn man feststellen will, wo die Defizite liegen.

Mein Rückblick beginnt nicht nur wegen des heutigen Datums am 8. und 9. Mai 1945. Das war der entscheidende Punkt: dass mit dem Faschismus in Deutschland und mit dem europäischen Faschismus gebrochen worden ist. Das ist der Ausgangspunkt, an dem klar war: Dieses Land muss neues Vertrauen erwerben. Das kann man nur erwerben, indem man kategorisch auch mit der eigenen Geschichte ins Gericht geht.

Ich bitte darum, von diesem Ausgangspunkt aus einige Dinge zu überlegen. Die einfache Botschaft, die zu dem gehören müsste, was der Außenminister hier für unser Land und für Europa vorgetragen hat, heißt für mich: Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus! Das möchte ich in der europäischen Entwicklung durchgesetzt sehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn man das will, muss man auch Spaltungen in Europa überwinden, dann muss man eine andere Art und Weise der Zusammenarbeit erreichen.

Ich bitte sehr darum - das sage ich mit Blick auf die Kollegen der CDU-Fraktion -: Lassen Sie uns auch dem Ehrenmal der damaligen Sowjetunion und dem heutigen Russland in unserer Nähe, das an den Akt der Befreiung erinnert, diesen Respekt entgegenbringen. Ich bitte Sie sehr: Hände weg von diesem Ehrenmal! Hier geht es auch um die Symbolik.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Die Panzer, die zu diesem Ehrenmal gehören, waren die Panzer, die Deutschland, das deutsche Volk vom Faschismus befreit haben. Das anzuerkennen, gebietet ein Mindestmaß an Respekt. 27 Millionen Sowjetbürger sind in diesem Krieg umgekommen - auf verschiedene Art und Weise. 6 Millionen Jüdinnen und Juden sind industriell vernichtet worden. Wenn man sich diese Zahlen vergegenwärtigt, kommt man zu einer Beurteilung, die vielleicht etwas quer zu dem liegt, was heute so oft gesagt wird.

Ich will Ihnen ein kleines Zitat von Arno Lustiger vorlesen, für mich einer der wichtigsten jüdischen Intellektuellen und Schriftsteller. Er hat in einem Buch ein großes Werk -, in dem er Stalin kritisiert, am Ende geschrieben:

... unerlässlich, der Millionen sowjetischer Soldaten zu gedenken, die im Kampf gegen Hitlerdeutschland gefallen sind oder in der Gefangenschaft ermordet wurden. Ohne ihr Opfer wäre die Welt verloren; sie haben uns vor der Herrschaft des mörderischen Nazismus gerettet.

Ich finde, die Panzer dieses Ehrenmals sind Symbole für diese Aussage von Arno Lustiger, von der ich möchte, dass wir sie uns selber aneignen.

Wenn das der Ausgangspunkt ist, dann muss man auch dazusagen: Das Ziel war, die Spaltung Europas zu überwinden. Meine Einschätzung ist, dass Europa nach wie vor tief gespalten ist, vielleicht sogar tiefer denn je: in Ost und West, sozial gespalten, militärisch tief gespalten.

Im Verbund mit der Europäischen Union - darüber sprachen Sie nicht, Herr Außenminister - kam leider die NATO. Die Friedensdividende, die möglich gewesen wäre, ist nicht eingebracht worden. Die NATO steht heute an den Grenzen Russlands. All das kann die Spaltung nicht überwinden; es ist vielmehr Ausdruck von Spaltung. <<

(Leonid Kalashnikov (Jahrgang 1960), Abgeordneter der Russischen Staatsduma, Fraktion der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, stellvertretender Vorsitzender des Außenausscusses der Staatsduma und Sekretär des ZK der KPRF)