Fragestunde im Deutschen Bundestag am 19. März 2014

19.03.2014
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22. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Mittwoch, 19. März 2014

Fragestunde (Auszug aus dem Protokoll)

Fragen zur Situation in der Ukraine und zur "Krim-Krise"

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Hunko auf:

Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung angesichts des Ausgangs der Volksabstimmung über einen Anschluss der Krim an Russland auf die Sicherheitslage in Deutschland und durch die in diesem Zusammenhang verhängten bzw. geplanten Sanktionen gegen Russland auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die Stabilität der Euro-Zone bzw. die Volkswirtschaften der Europäischen Union?

Herr Staatsminister Roth, bitte schön.

 

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Lieber Herr Kollege Hunko, ich will noch einmal daran erinnern, dass sich die Europäische Union bei ihren Maßnahmen und Sanktionen auf ein dreistufiges Verfahren verständigt hat. Gemäß dem jüngsten Beschluss vom 17. März 2014 greift nun die Stufe 2, das heißt, gegen 21 Personen aus der Ukraine und aus Russland sind Einreiseverbote ausgesprochen worden, und deren Vermögen wurden eingefroren.

Die Bundesregierung sieht derzeit weder Beeinträchtigungen der Sicherheitslage in Deutschland noch nennenswerte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, in der Euro-Zone oder in der Europäischen Union.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Hunko.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. – Herr Kollege Roth, in der letzten Woche waren Außenminister von Staaten, die gerade aus der Krise herausgekommen sind oder bei denen es den Anschein hat, dass sie jetzt aus der Krise herauskommen, zu Besuch hier im Bundestag, und sie haben diese Sorgen ebenfalls geäußert. Würden Sie auch ausschließen, dass es Auswirkungen auf die Stabilität in der Euro-Zone haben könnte, wenn es nach den jetzt umgesetzten Sanktionen zu einer Sanktionsspirale käme und der Konflikt über diese Sanktionen weiter eskalieren würde, oder wäre das eine reale Gefahr?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Es gibt keinen Sanktionsautomatismus, Herr Kollege Hunko. Die Bundesregierung und die Europäische Union insgesamt sind nach wie vor zuvörderst um eine diplomatisch-politische Lösung bemüht. Wir wollen deeskalieren und nicht eskalieren.
Der nächste Europäische Rat am morgigen Donnerstag wird im Lichte der jüngsten Entwicklung auf der Krim, aber auch vor dem Hintergrund der russischen Entscheidung, sich die Krim einzuverleiben, über wei¬tere Schritte nachdenken. Es gibt derzeit aber noch kei¬nerlei konkrete Überlegungen, Wirtschaftssanktionen auszusprechen. Ich müsste hier also spekulieren, und das möchte ich nicht.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Schönen Dank. – Herr Staatsminister, ich möchte Sie gerne fragen, ob aus Ihrer Sicht eine Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Russland bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und Auswirkungen auf die Verhandlungen mit dem Iran über das Atomprogramm in dem Sanktionskatalog vorgesehen sind und wie sich die Bundesregierung dazu verhält.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Es gibt eine klare Priorität der Bundesregierung – daran arbeiten wir Tag und Nacht –, nämlich auf politischem Wege und auf diplomatischem Wege zur Deeskalation beizutragen. Wir haben auch das Ziel, dass – unabhängig von weiteren Maßnahmen – die Gesprächskanäle mit Russland offen gehalten werden. Ich habe den Eindruck, dass diese Position innerhalb der Europäischen Union auf große Zustimmung stößt.

Im Übrigen wissen Sie, dass wir für die Lösung von einer Reihe von internationalen Problemen – Sie haben einige angesprochen – weiterhin auf Russland angewiesen sind. Unabhängig davon gibt es aber ein klares, deutliches Signal der Bundesregierung und der Europäischen Union: Was Russland bezüglich der Krim getan hat, verstößt gegen das Völkerrecht und ist absolut inakzeptabel.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Kollege Krischer hat jetzt Gelegenheit, eine weitere Frage zu stellen.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister, es hat in der vergangenen Woche und in der Woche davor zwei große Geschäfte von deutschen Unternehmen gegeben: zum einen die Transaktion der Firma Wintershall, die im Rahmen eines Asset-Tauschs Gasspeicheranteile an Gazprom verkauft hat, und zum anderen die Entscheidung von RWE, ihre Öl- und Gasfördertochter an einen russischen Investor zu verkaufen, und zwar zu einem überraschend hohen Kaufpreis und – wenn man die gesamte Verhandlungsdauer dieses Kaufs betrachtet – zu einem interessanten Zeitpunkt.

Meine Frage ist: Welche Position hat die Bundesregierung zu diesem Thema, und erachtet sie es als notwendig, in irgendeiner Weise bei diesen Geschäften einzugreifen, zu prüfen, zu handeln?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Unabhängig davon, wie wir zu solchen wirtschaftli¬chen Entscheidungen der Privatwirtschaft stehen, gibt es für die Bundesregierung derzeit keine Möglichkeiten, einzugreifen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Keul.

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Wenn wir jetzt über Sanktionen oder Einschränkungen im Handel sprechen, dann ist der erste Bereich, der mir dazu einfällt, der Bereich der Rüstungsexporte. Jetzt frage ich: Gedenkt die Bundesregierung die Lieferung eines gesamten Gefechtsübungszentrums nach Russland durch die Firma Rheinmetall zu stoppen? Ist dieses Geschäft möglicherweise durch eine Hermesbürgschaft abgesichert? Wie wird das dann in der Praxis abgewickelt?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Liebe Frau Kollegin, auch wenn in der Öffentlichkeit immer wieder anderes behauptet wird: Faktisch werden bereits jetzt keinerlei Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Russland mehr erteilt. Das gilt insbesondere auch für Dual-use-Güter mit einem militärischen Verwendungszweck. Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Überprüfung der bislang schon erteilten Ausfuhrgenehmigungen eingeleitet und wird dann, wenn dies erforderlich ist, die entsprechenden Schritte einleiten. Das gilt auch für die konkreten Fälle, die Sie eben benannt haben.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatsminister, angesichts des hohen Tempos der Veränderungen in der Ukraine, mit denen kaum jemand gerechnet hat, und der sich daraus ergebenden Tatsache, dass wir die handelnden Personen und Parteien oft nicht wirklich gut kennen, möchte ich Sie fragen, wie die Bundesregierung die Übergangsregierung in Kiew und die Beteiligung der Partei Swoboda daran einschätzt. Haben wir es dort mit faschistischen Kräften und einer Regierung zu tun, der faschistische Parteien angehören?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die Bundesregierung hat wie die Europäische Union insgesamt ein Interesse an einer möglichst inklusiven Regierung, die möglichst alle gesellschaftlichen Kräfte, die der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie verpflichtet sind, einbezieht. Ich weiß, dass es insbesondere in Deutschland eine kontroverse Diskussion über die Rolle von Swoboda gibt. Diese Partei ist an der Regierung beteiligt und stellt zwei Minister. Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen möchte ich nicht von einer faschistischen Partei sprechen. Es ist zweifellos eine rechtspopulistische, nationalistische Partei, aber es ist keine faschistische, eindeutig antisemitische Partei. Im Übrigen – das wissen Sie; da teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundestages – ist es deutsche Tradition: Wir verabscheuen und verurteilen den Antisemitismus überall. Wir setzen uns auch in der Ukraine für eine Aufklärung der Gewalttaten auf dem Maidan, aber auch anderswo ein. Swoboda ist nach unseren Erkenntnissen – auch nach den Gesprächen mit der Zivilgesellschaft in der Ukraine, insbesondere mit den Vertretern der jüdischen Gemeinde – zwar eine rechtspopulistische und nationalistische, aber keine faschistische Partei.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Dr. Neu.

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Herr Staatsminister, der Kollege Gehrcke hatte gerade eine Frage gestellt, die Sie etwas unpräzise beantwortet haben. Es geht darum, ob angesichts des Instrumentenköfferchens, in denen die gerade ausgearbeiteten Sanktionen enthalten sind, auch der Abzug aus Afghanistan, bei dem Russland eine Rolle spielen wird, und der Iran Thema sind. Ja oder nein? Danke.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege Neu, wir befinden uns derzeit noch in der Stufe 2 des sogenannten Sanktionsmechanismus. Die Stufe 3, die Sie ansprechen, ist überhaupt noch nicht im Gespräch. Wir befinden uns hier im spekulativen Bereich. Es bedürfte dafür auch eines gesonderten Beschlusses des Europäischen Rates.

Derzeit investieren wir unsere gesamte Kraft, unser Engagement, aber auch unsere Kreativität darauf, weitere Sanktionen zu verhindern. Ich habe auch den Eindruck, dass es darüber in der Europäischen Union eine intensive Diskussion gibt. Denn wir müssen uns die Frage stellen, wer welchen Preis für welche Sanktion zahlt und ob wir das, was wir uns wünschen, mit den entsprechenden Sanktionen wirklich erzielen können. Insofern kann ich Ihnen noch nichts Konkretes sagen, weil es diese konkrete Diskussion noch nicht gibt.

Einen Instrumentenkoffer mit Sanktionen, den Sie angesprochen haben, gibt es weder bei der Bundesregie¬rung noch bei der Europäischen Union.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Petzold.

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):

Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, dass es innerhalb der Bundesregierung noch gar keine Vorstellung über die Stufe 3 gibt?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Es gibt selbstverständlich eine Reihe von Überlegungen, aber es gibt noch keine Beschlüsse. Über die würde ich Sie dann informieren, wenn sie anstehen. Derzeit haben wir eine klare Priorisierung. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es zu einer weiteren Eskala-tion kommt. Denn die sogenannte dritte Stufe greift erst dann, wenn die Eskalationsspirale sich weiterdreht. Ich meine, dass es derzeit noch ein Fenster für diplomatische Bemühungen gibt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Danke schön. – Herr Staatsminister, wenn ich die Fragen insbesondere der Vertreter der Linksfraktion richtig verstehe, besteht ein großer Konsens im Haus, dass wir daran mitwirken wollen, die Chemiewaffen in Syrien zu vernichten. Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Wochen Gelegenheit haben, in diesem Zusammenhang Äußerungen der Linksfraktion zu einer gemeinsamen Haltung zu hören.

Ich würde gerne darauf Bezug nehmen, was Sie gesagt haben. Es ist nicht nur Auffassung der Bundesregierung, dass die Ereignisse auf der Krim in den letzten Stunden und Tagen und die Handlungen unterschiedlicher Personen, aber auch von Institutionen in Russland nicht nur nicht akzeptabel, sondern auch völkerrechtswidrig sind. Vielleicht kann die Bundesregierung auch hier noch einmal dokumentieren, dass dies keine Einzelmeinung Deutschlands ist, sondern dass Russland mit seiner Position und Haltung mittlerweile auch innerhalb der Europäischen Union, des Europarats und insbesondere – das ist für uns sehr wichtig – des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen isoliert ist.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege Mützenich, ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis und die damit verbundene Frage, weil sie mir die Chance eröffnet, eines deutlich zu machen: Es geht nicht um die Position „Der Westen gegen Russland“. Ich will auch keinem unterstellen, in den Kategorien des Kalten Krieges zu argumentieren. Sie haben völlig recht: Russland ist aufgrund seines völkerrechtswidrigen Vorgehens gegen die Ukraine und insbesondere der Einverleibung der Krim völlig isoliert. Es gibt eine klare Positionierung des Sicherheitsrates. Es gibt eine klare Positionierung im Europarat. Es gibt derzeit – auch und gerade in dieser Stunde – Bemühungen in der OSZE. Es gibt nicht zuletzt eine klare, einmütige Positionierung der Europäischen Union.

Das alles macht deutlich: Es geht nicht um „den Westen gegen Russland“, sondern um das Handeln der der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Welt. Ich will das zwar nicht im Namen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sagen. Aber es gibt ein klares Bekenntnis, das verdeutlicht, dass das, was Russland derzeit tut, auf deutlichen Widerspruch in der Weltgemeinschaft stößt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank.

Ich rufe nun die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu auf:

Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Einsatz einer nach Medienberichten am 13. oder 14. März 2014 über der Krim abgefangenen, auf einem Standort der US-Armee in Bayern stationierten Drohne des Typs Hunter MQ-5B, unter anderem darüber, aus welcher Quelle die öffentlich gewordenen Informationen über diese angeblich abgefangene Drohne ursprünglich stammten, wer diese den Medien zugänglich machte, von wem die Drohne gegebenenfalls abgefangen wurde, wo bzw. in wessen Gewahrsam sie sich seither befindet, ob diese Drohne mit Aufklärungstechnik (welcher?) ausgestattet bzw. ob sie waffenfähig bzw. bewaffnet (womit?) war, und war die Bundesregierung über diesen Einsatz vorab informiert, bzw. welche weiteren Erkenntnisse über diesen Einsatz hatte sie in dessen Vorfeld?

Bitte, Herr Staatsminister Roth.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte die dringlichen Fragen 2 und 3 im Zusammenhang beantworten.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Sind Sie damit einverstanden, Herr Dr. Neu? – Dann rufe ich auch noch die dringliche Frage 3 auf:

Sofern die Bundesregierung über einen dieser Aspekte keine Erkenntnisse besitzt, was hat sie unternommen, um entsprechende Erkenntnisse zu erlangen, bzw. sofern dies nicht geschehen ist, aus welchem Grund wurde nicht versucht, Erkenntnisse zu erlangen?

Bitte, Herr Staatsminister Roth.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege Neu, um das den Kolleginnen und Kollegen zu erläutern, die nicht so im Bilde sind wie Sie: Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten betreiben auf den Truppenübungsplätzen in Grafenwöhr und Hohenfels in Bayern zu Übungszwecken einige unbewaffnete, unbemannte Flugzeuge des Typs Hunter, also Drohnen. Diese haben eine Reichweite von 260 Kilometern. Um von Bayern in die Ukraine zu kommen, müssten ungefähr 2.000 Kilometer zurückgelegt werden. Insofern halte ich das deutliche und sofortige Dementi des US-Verteidigungsministeriums, dass es sich dabei nicht um Drohnen des Typs Hunter gehandelt haben kann, für mehr als nachvollziehbar.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Neu, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Sie gehen also davon aus, dass diese Drohnen sozusa¬gen keinen Zwischenstopp in Polen, Rumänien oder Ungarn machen können, um aufgetankt zu werden?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Uns liegt ein deutliches Dementi der Vereinigten Staaten vor. Wir haben keine weiteren Erkenntnisse. Meine Ingenieurskunst reicht nicht aus, um Ihre Frage so zu beantworten, dass sie vielleicht in das Schema passt, das Sie von mir erwarten.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich erwarte kein Schema, sondern eine Auskunft! Danke!)

– Die habe ich Ihnen auch gegeben.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort zu einer Frage hat jetzt der Kollege Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Frau Präsidentin. – Sie gehen jetzt davon aus, dass es sich um eine Drohne des Typs Hunter handelt. Nehmen wir einmal an, dass es eine Drohne eines anderen Typs war, möglicherweise sogar eine bewaffnete Drohne. Geben Sie mir recht, dass eine solche Drohne in Deutschland starten und auch bis in die Ukraine fliegen könnte und dass es in der Vergangenheit schon vorgekommen ist, dass solche Drohnen von Deutschland aus in eine andere Richtung, nämlich in Richtung Afrika, eingesetzt worden sind?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege Ströbele, die Frage des Kollegen Neu bezieht sich auf eine Information von The Voice of Russia. Demzufolge soll die russische Rüstungsagentur am 14. März behauptet haben, dass ein unbemanntes US-Flugzeug des Typs Hunter bei einem Aufklärungsflug auf der Krim-Halbinsel abgefangen worden sei. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass in Bayern solche Drohnen stationiert sind, dass es aber technisch unmöglich ist, bei einer Reichweite von 260 Kilometern von Bayern in die Ukraine zu kommen. Insofern handelt es sich hier um eine grobe Spekulation, die ich nicht weiter befeuern möchte.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatsminister, angesichts der besorgniserregenden militärischen Handlungen auf der Krim und der großen Sorge der internationalen Gemeinschaft, dass sich der nächste militärische Akt in der Ostukraine ereignet, frage ich Sie, ob Sie Informationen bestätigen können, dass im Dorf Strilkowe, also auf kontinental-ukrainischem Gebiet, mehrere Kampfhubschrauber russischer Herkunft gelandet und gepanzerte Fahrzeuge russischer Herkunft einschließlich 60 Soldaten stationiert sind, die eine Gasverdichtungsstation besetzt haben?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Sie wissen, Frau Kollegin Beck, dass die Lage insbesondere in der Ostukraine, aber auch im Süden der Ukraine mehr als instabil ist und dass es dort eine Reihe von Gefährdungen gibt. Ich möchte mich jetzt ausdrücklich nicht auf Ihr Beispiel beziehen, weil mir die entspre-chenden Erkenntnisse im Detail dazu fehlen.

Nicht zuletzt veranlasst uns diese doch sehr fragile, gefährliche Lage dazu, nach Kräften dazu beizutragen, dass es die entsprechende Monitoring-Kommission der OSZE alsbald gibt – gerade heute finden die Verhandlungen statt –, um dafür Sorge zu tragen, dass mithilfe der OSZE, eines Partners, der den Menschenrechten verpflichtet ist, die derzeitige Lage vor Ort aufgeklärt wird, damit wir nicht nur auf informelle Berichte angewiesen sind.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat jetzt die Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister, bereits seit über einer Woche erreichen uns immer wieder Berichte über verstärkte Aktivitäten von NATO-Truppen im östlichen Polen, insbesondere in der masurischen Region. In diesem Kontext würde mich schon in-teressieren, was der genaue Auftrag dieser Truppen ist und inwieweit und in welcher Form die Bundesregierung diese Aktivitäten unterstützt.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Frau Kollegin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um mögliche Aktivitäten der NATO in Polen handelt und nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern kann ich Ihre Frage nicht beantworten, weil das nicht in den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amts fällt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Kollege Krischer.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatsminister, angesichts dieser auch von den Kollegen beschriebenen militärischen Entwicklung möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen, die Sie mir eben beantwortet haben. Sie sagten, dass Sie keinerlei rechtliche Möglichkeit sehen, auf Geschäfte der RWE oder der Wintershall AG Einfluss zu nehmen oder in irgendeiner Weise aktiv zu werden. Deshalb meine konkrete Nachfrage.

In § 4 des Außenwirtschaftsgesetzes wird eine ganze Reihe von Gründen genannt, in denen die Bundesregierung in Vertretung der Bundesrepublik aktiv werden kann. Da ist zum Beispiel von einer Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker die Rede, da ist von einer Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik die Rede. Meine Frage: Interpretiere ich Sie richtig, dass diese Gründe, die in § 4 des Außenwirtschaftsgesetzes genannt werden, auf die Geschäfte der RWE bzw. der Wintershall AG keine Anwendung finden?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich wiederholt für ein gemeinsames Vorgehen – ich hatte bislang immer den Eindruck, dass dies auch von einer sehr breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag getragen wird – und eine gemeinsame Strategie der Europäischen Union ausgesprochen. Das heißt, das, was wir tun oder auch nicht tun, ist in eine Strategie der Europäischen Union eingebettet. Wir werden nicht zuletzt am kommenden Donnerstag auf dem Europäischen Rat darüber sprechen müssen, wie wir mit der jüngsten Entscheidung Russlands umzugehen haben, ob wir im Bereich der zweiten Stufe verbleiben.

Aber wir sind noch weit davon entfernt, über die dritte Stufe konkret zu verhandeln, geschweige denn, diese zu beschließen. Ich will wiederholen: Das setzt nämlich einen weiteren dezidierten Beschluss des Europäischen Rates voraus. Es geht also hier um eine ge-meinsame Anstrengung, um gemeinsame Maßnahmen, die von der Europäischen Union insgesamt verabredet werden. Ich hielte es für nicht besonders überzeugend, wenn hier einzelne Mitgliedstaaten vorpreschten und einzelne, nationalstaatliche Maßnahmen ergreifen würden.

(...)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke auf:

Über welche Erkenntnisse und Hinweise verfügt die Bundesregierung, dass die gegen jüdische Einrichtungen und Bürger jüdischen Glaubens gerichteten Angriffe in der Ukraine wie in Kiew im Januar 2014 (www.santegidio.org/pageID/3/langID/de/itemID/8473/Solidaritt_mit_der_jdischen_Gemein de_die_Opfer_antisemitischer_bergriffe_geworden_ist.html) vom russischen Geheimdienst, von anderen russischen Sicherheitsorganen und/oder vom ukrainischen Geheimdienst oder von anderen ukrainischen Sicherheitsorganen organisiert und gesteuert wurden?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Gehrcke, wir gemeinsam hier im Hohen Hause, aber auch in der Bundesregierung verurteilen den Antisemitismus auf das Schärfste – überall und selbstverständlich auch in der Ukraine. Die Bundesregierung verfügt aber über keine derartigen Erkenntnisse, wie Sie sie mit Ihrer Frage insinuiert haben.

Sie können sich darauf verlassen: Wir stehen in engstem Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden in der Ukraine. Selbstverständlich ist die Lage in der Ukraine ausgesprochen schwierig. Aber alle Repräsentanten der jüdischen Gemeinden haben uns gegenüber noch einmal bestätigt, dass man von einer allgemeinen Zunahme des Antisemitismus im Zusammenhang mit den jüngsten Unruhen in der Ukraine nicht sprechen könne.

Ich will noch einen Punkt ergänzen, Herr Kollege Gehrcke. Sie werden sich bestimmt an den offenen Brief der jüdischen Gemeinden an Präsident Putin vom 5. März erinnern, in dem prominente Vertreter der ukrainischen jüdischen Organisationen deutlich gemacht haben, dass das Argument Putins, es handele sich hier um einen wüsten Antisemitismus, mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun hat.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Ich muss ja nicht dem russischen Präsidenten Putin helfen wollen; ich will der Bundesregierung helfen,

(Niels Annen [SPD]: Das wäre das erste Mal!)

klare Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Positionen, die Sie beschrieben haben, in der Öffentlichkeit auch energisch genug vorzutragen.

(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Dann wollen wir mal sehen!)

Ich zitiere aus der israelischen Zeitung Haaretz; sie ist bekannt, das ist eines der großen seriösen Blätter. Dort war am 23. Februar zu lesen:
Aus Angst vor antisemitischen Übergriffen inmitten des Chaos in Kiew fordert der ukrainische Rabbiner Moshe Reuven Asman die Juden zum Verlassen der Stadt auf.

„Ich habe meine Gemeinde aufgefordert, das Stadtzentrum und auch die ganze Stadt zu verlassen und wenn möglich auszureisen.“

Das können Sie in der Haaretz nachlesen. So wird das in Israel wahrgenommen.

Muss nicht die Bundesregierung angesichts solcher Wahrnehmungen viel energischer deutlich machen: „Man setzt sich nicht mit Nazis zusammen an einen Tisch, man lässt sich nicht mit denen fotografieren, sondern man wird international die Ächtung betreiben“?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Ich muss das auf das Schärfste zurückweisen. Die Bundesregierung setzt sich nicht mit Nazis und Faschisten an einen Tisch. Sie können sich darauf verlassen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür tun, um Jüdinnen und Juden in der Ukraine zu schützen. Wir verlassen uns dabei nicht so sehr auf Medienberichte, sondern in erster Linie auf unmittelbare Gespräche mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinden in der Ukraine.
Ich möchte daran erinnern, dass heute, in dieser Stunde, der Vorsitzende des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine, Herr Zissels, in Berlin ist – ich bedanke mich auch noch einmal bei der Kollegin Beck, die das offenkundig initiiert hat –, um unter anderem mit den Vertreterinnen und Vertretern des Menschenrechtsausschusses, aber auch mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses über die Lage der Juden in der Ukraine zu sprechen.

Wenn ich als Vertreter der Bundesregierung sage, dass uns derzeit keine Erkenntnisse über eine Zunahme des Antisemitismus in der Ukraine vorliegen, speist sich das aus unmittelbaren Gesprächen mit Vertretern der jüdischen Gemeinden in der Ukraine.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Auf die Quelle unmittelbarer Gespräche kann auch ich zurückgreifen. Ich halte Ihnen aber noch einmal vor – ich möchte ja, dass sich die Bundesregierung bewegt und etwas tut –, wie Ihr Kollege Günter Verheugen, der ehemalige EU-Erweiterungskommissar, der ja Ihrer Partei angehört und nicht meiner – ich könnte jetzt sagen: bedauerlicherweise; aber das ist so –, die Lage beurteilt – ich zitiere –:

Das Problem liegt eigentlich gar nicht in Moskau oder bei uns. Das Problem liegt ja in Kiew, wo wir die erste europäische Regierung des 21. Jahrhunderts haben, in der Faschisten sitzen.

Ende des Zitates von Günter Verheugen, Mitglied der SPD, ehemaliger Erweiterungskommissar.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Diese Auffassung teilen wir so nicht. Ich will Ihnen einfach einmal erklären, was wir bislang tun, um jeden gewaltsamen Akt entschlossen und entschieden aufzuklären:

Erstens. Es gibt eine klare Zusage der derzeitigen ukrainischen Regierung, in der sie ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen bekräftigt hat.

Zweitens hat sich eine Kommission in der Ukraine gegründet unter starkem Einbezug der Zivilgesellschaft, selbstverständlich auch unter Einbezug der jüdischen Gemeinden.

Drittens hat der Europarat das sogenannte International Advisory Panel etabliert, das an der Aufklärung von Gewalttaten in der Ukraine aktiv beteiligt ist.
Nicht zuletzt war der Untergeneralsekretär für Menschenrechte der Vereinten Nationen jüngst in der Ukraine und hat sich über die Menschenrechtssituation, auch über die Gefährdung durch Antisemitismus, einschlägig informiert. Wir sehen seinem unmittelbar aus der Lage vor Ort gewonnenen Bericht mit großer Spannung entgegen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Die Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat der Kollege Petzold.

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):

Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal nachfragen, welche Rolle denn solche Erkenntnisse spielen – diese sind ja auch im Internet oder in der Presse deutlich nachvollziehbar – wie die, dass führende Repräsentanten der Swoboda-Partei eindeutige Posen zeigen, die bei uns als verfassungswidrig gelten, und dass Führungspersonal dieser Partei, dass Parlamentarier dieser Partei an Veranstaltungen der rechtsextremen NPD in Deutschland teilnehmen und teilgenommen haben. Welche Rolle spielt das bei Ihrer Meinungsbildung? Das muss doch die Alarmglocken bei Ihnen schrillen lassen.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Es gibt ja noch eine schriftlich eingereichte Frage zu der möglichen Kooperation der NPD mit Swoboda oder auch mit anderen Organisationen in der Ukraine. Ich will dem aber durchaus einmal vorgreifen und eines deutlich sagen: Aus den Erkenntnissen, die der Bundesregierung zu Swoboda vorliegen, wird deutlich, dass es sich um eine rechtspopulistische und nationalistische Partei handelt, aber um keine faschistische.

Sie haben darüber hinaus nachgefragt, wie die Kooperationen der NPD mit Swoboda oder auch mit Prawyj Sektor – das ist ja eine andere Organisation, die aber dezidiert nicht der ukrainischen Regierung angehört – aussehen. Uns liegen derzeit keinerlei Hinweise auf eine finanzielle Zusammenarbeit vor. Es gibt auch kein klares Bild. Ich will Ihnen einfach einmal ein paar Beispiele nennen: Es ist durchaus richtig, dass sich die NPD bemüht hat, entsprechende Kontakte in die Ukraine zu vertiefen. Dafür spricht nicht zuletzt auch das Interview, das ein Swoboda-Funktionär im Parteiorgan Deutsche Stimme gegeben hat. Es gab auch den Besuch einer Swoboda-Delegation im Mai 2013 bei der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Der Vertreter des sogenannten Rechten Sektors, des Prawyj Sektor, hat seine Teilnahme am Europakongress der Jungen Nationaldemokraten im März dieses Jahres inzwischen zurückgezogen.

Es gibt auch Äußerungen der NPD, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Hier gibt es nämlich teilweise eine deutliche Parteiergreifung für die Position Russlands. So wirft zum Beispiel die NPD in Mecklenburg-Vorpommern den USA und der Europäischen Union in Bezug auf die Ukraine eine antirussische Aggressionspolitik und die Destabilisierung durch Einflussagenten vor. Eine klare Positionierung der NPD kann ich hier nun beim besten Willen nicht erkennen.

Auf eines können Sie sich aber immer verlassen: Die Bundesregierung wird immer uneingeschränkt gegen Antisemitismus und Faschismus vorgehen – egal wo, weltweit.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Staatsminister, ich darf Sie im Hinblick auf die Beantwortung der weiteren Fragen an die Einhaltung der Redezeit erinnern.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Danke.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Der Herr Kollege Grund hat eine Frage.

Manfred Grund (CDU/CSU):

Herr Staatsminister, ich möchte auf die Frage von Herrn Kollegen Gehrcke zurückkommen und Sie und die Bundesregierung fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass mehrere Mitglieder des Übergangskabinetts in Kiew, so zum Beispiel Ministerpräsident Jazenjuk, jüdische Wurzeln haben und dass der vor kurzem ernannte Gouverneur von Dnipropetrowsk, Kolomojskyj, Vorsitzender des Europäischen Rats der Jüdischen Gemeinden, Präsident der Europäischen Jüdischen Union und Leiter der Vereinten Jüdischen Gemeinden der Ukraine ist?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Lieber Herr Kollege Grund, Sie haben völlig recht: Es gibt eine Reihe von politischen Repräsentanten jüdischen Glaubens; Sie haben einige genannt. Auch der stellvertretende Premierminister, Herr Hrojsman, ist jüdischen Glaubens. Darüber hinaus gibt es – das sind zumindest meine bisherigen Erkenntnisse – drei Gouverneure, die ebenso jüdischen Glaubens sind.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank.

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die organisatorische und finanzielle Zusammenarbeit zwischen der ukrainischen Partei Swoboda und der Kampfgruppe Rechter Sektor mit der deutschen NPD und anderen rechtsextre¬mistischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland vor?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Ich hatte diese Frage im Rahmen der Frage Ihres Kollegen eben schon weitgehend zu beantworten versucht. Ich will das noch einmal kurz darstellen und erläutern: Es ist gefragt worden, ob es eine finanzielle Zusammenarbeit zwischen Swoboda oder der sogenannten Kampfgruppe Rechter Sektor, Prawyj Sektor, zur NPD gebe. Ich habe deutlich gemacht, dass es derzeit keinerlei Hinweise auf eine finanzielle Zusammenarbeit gibt. Das ambivalente Verhältnis zwischen der NPD einerseits und diesen Gruppierungen andererseits habe ich bereits beschrieben.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Ich finde Ihre Unterscheidung zwischen einer faschistischen Partei sowie einer nationalistischen und rechtspopulistischen Partei schon interessant. Wenn die Position der Bundesregierung etwas klarer und entschlossener herüberkäme, würde ich gern mit Ihnen weiter darüber diskutieren.

Ich möchte Ihnen einfach einmal ein paar Wahrnehmungen bezüglich der Swoboda-Partei schildern: Die Denkfabrik, das ideologische Zentrum der Swoboda-Partei, heißt „Joseph-Goebbels-Forschungszentrum für Politik“. Ist das faschistisch oder rechtspopulistisch? Das würde mich schon interessieren.

Viele der Anhänger dieser Partei laufen mit Armbinden herum, auf der die sogenannte Wolfsangel zu sehen ist. Das war das Erkennungszeichen der Waffen-SS in der Ukraine. Und was Waffen-SS in der Ukraine, gerade in der Westukraine, bedeutet, ist bekannt.

Ist die Bundesregierung, was Swoboda angeht, wenigstens bereit, zu sagen, dass der Übergang von einer faschistischen zu einer rechtspopulistischen Partei fließend ist und dass diese Partei eine Gefahr für die ukrainische und europäische Demokratie ist?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Da mich die Präsidentin an meine Redezeit erinnert hat, möchte ich Ihnen ausdrücklich das Angebot unterbreiten, andernorts noch einmal intensiver gemeinsam darüber zu diskutieren, wo die Unterschiede zwischen einer rechtsnationalistischen und einer faschistischen Partei liegen. Dies hat insbesondere etwas mit dem Parteiaufbau zu tun.

Ich habe Ihnen deutlich gemacht, wie die Bewertungen der Bundesregierung bezogen auf Swoboda aussehen. Ich finde es schon merkwürdig, dass hier insinuiert werden könnte, wir würden faschistisches, antisemitisches Gedankengut in irgendeiner Weise decken. Dies ist mitnichten der Fall.

Ich will noch einmal eines deutlich unterstreichen: Der weitaus größte Teil der Protestbewegung in der Ukraine und auch deren Unterstützer haben mit Rechtsnationalismus oder -populismus, mit Faschismus, mit Antisemitismus überhaupt nichts am Hut. Insofern möchte ich hier gerne eine Trennung vornehmen: Das eine sind Entwicklungen, die auf unseren deutlichen Widerstand stoßen. Wir werden das auch im Rahmen unserer Möglichkeiten zum Thema machen und bekämpfen. Das andere ist, dass nicht der Eindruck entstehen sollte, dass die Protestbewegung auf dem Maidan in erster Linie von Faschisten und Antisemiten unterwandert wurde.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Das ist überhaupt nicht mein Eindruck. Ganz im Gegenteil: Ich möchte Trennschärfe und Klarheit haben.

Ich stelle Ihnen einmal die Regierungsbeteiligung der Swoboda-Partei dar: Sie stellt vier Minister: den stellvertretenden Premierminister, den Verteidigungsminister – hier geht es um Waffen –, den Minister für Agrarpolitik und Ernährung sowie den Minister für Umwelt und Bodenschätze. Der Rechte Sektor stellt den Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates, den Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates sowie den Generalstaatsanwalt. Finden Sie es angemessen, gerade vor dem Hintergrund Ihrer Analyse, dass diese Rechtspartei – ich finde, faschistische Partei – einer Regierung so stark angehört?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Die Bundesregierung hat ein Interesse an einer möglichst – ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe – inklusiven ukrainischen Regierung, die alle der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Teile der ukrainischen Gesellschaft angemessen einbezieht. Dieser Linie bleiben wir treu.

Alle anderen Aspekte zur Situation und Bewertung von Swoboda habe ich Ihnen deutlich geschildert. Da scheint es zwischen Ihrer Bewertung und der Bewertung der Bundesregierung einen Dissens zu geben. Sie können sich aber darauf verlassen, dass wir in dieser Frage sehr wachsam sein werden. Sollte es irgendeinen Anlass geben, der Ihre Unterstellungen erhärten sollte, dann wird es darauf eine klare Antwort der Europäischen Union, aber auch der Bundesregierung geben.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (DIE LINKE):

Herr Staatsminister, die Bundesregierung legt offensichtlich großen Wert auf die Unterscheidung zwischen rechtspopulistischen und faschistischen Kräften. Ich finde es gut, wenn man dies sauber trennt. Deswegen würde mich interessieren, worin aus Sicht der Bundesregierung der Unterschied besteht zwischen der FPÖ eines Jörg Haider in Österreich, die von allen hier im Hause vertretenen Parteien ausgesprochen kritisch gesehen wurde und mit deren Funktionären man eine Zusammenarbeit aus gutem Grund gemieden hat, und der Swoboda, die, wie der Kollege sagte, vier Minister, darunter den Verteidigungsminister, stellt, und warum Sie, wenn Sie eine möglichst inklusive Regierung aller an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientierten Kräfte wollen, eine Partei einbezogen sehen wollen, die ein Joseph-Goebbels-Forschungszentrum unterhält?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Ich finde es erst einmal interessant, dass Sie ein Mitgliedsland der Europäischen Union, nämlich Österreich, offenkundig mit der Ukraine gleichzusetzen versuchen.

Im Übrigen habe ich Ihnen deutlich klarzumachen versucht, dass die Bundesregierung eine andere Definition von Faschismus und von einer faschistischen Partei vornimmt als Sie. Daraus dürfen Sie aber nicht schließen, dass die Bundesregierung nicht mit aller Entschlos-senheit und Entschiedenheit gegen Faschismus und Antisemitismus in der Ukraine und weltweit vorgeht und dagegen entschieden eintritt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Hunko.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. – Herr Kollege Roth, Sie haben hier Ihre Linie damit begründet, dass Sie Swoboda als rechtspopulistisch und nicht als faschistisch einschätzen. Nun hat der Cheftheoretiker von Swoboda, Mychaltschyschyn, persönlich das Kleine ABC des Nationalsozialisten von Goebbels, das 25-Punkte-Programm der NSDAP oder den Aufsatz Warum SA von Ernst Röhm ins Ukrainische übersetzt und das mit der Aktualität dieser Schriften begründet. Wenn Sie meine Aussagen bestätigt sehen würden, würden Sie dann im-mer noch davon ausgehen, dass es sich dabei um Rechtspopulisten handelt, oder würden Sie dann nicht zu der Einschätzung kommen, dass es sich doch um Faschisten handelt?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Meine Antworten speisen sich aus den Informationen, die mir derzeit vorliegen. Auf Grundlage dieser Informationen formuliere ich die Antworten, die ich Ihnen und im Übrigen allen anderen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages gebe.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Grund.

Manfred Grund (CDU/CSU):

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Einschätzung, dass die Bürgerbewegung in der Ukraine, die Protestbewegung gegen das Anketten an Russland im russischen Fernsehen und von den dortigen Nachrichtenagenturen sehr stark – eigentlich fast ausschließlich – unter dem Stichwort „Faschismus“ und in Bezug auf eine mögliche faschistische Machtübernahme dargestellt wird und diese Bürgerbewegung dadurch diskreditiert wird? Teilen Sie meine Einschätzung, dass früher die Sowjetunion und heute Russland diesen Vorwurf sehr gerne nutzte bzw. nutzt, wenn es um eigene Interessen ging bzw. geht, etwa im Zusammenhang mit dem Bürger- und Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953, der von der sowjetischen Propaganda ebenso als faschistisch gesteuert bezeichnet wurde, um das Eingreifen zu rechtfertigen? Liegt das jetzige Verhalten möglicherweise auf einer solchen Linie, die es schon in der Vergangenheit gab?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Kollege Grund, die Bundesregierung – auch ich persönlich – tut sich mit Gleichsetzungen mit Geschehnissen der Vergangenheit immer schwer. Aber ich kann Ihnen nur darin zustimmen, dass sowohl beim Aufstand von 1953 als auch bei den Aufständen von 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei, in Prag, immer von faschistischen Aufständen gesprochen wurde. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt eine Parallele zu der Pro-paganda ziehen möchte, die offenkundig in Russland betrieben wird.

Ich will eines klarstellen: Nichts wiegt für die Bundesregierung schwerer als der Vorwurf des Antisemitismus. Deshalb sind wir mit den Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden, aber auch mit den Vertretern der Zivilgesellschaft sehr eng und intensiv im Gespräch. Wenn uns die Vertreter der jüdischen Gemeinden beispielsweise erklären, dass es aus ihrer Sicht zu keinem Anstieg des Antisemitismus in der Ukraine gekommen ist, dann liegt es mir fern, dem öffentlich oder auch nichtöffentlich zu widersprechen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Frage 10 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich beantwortet.


Anlage 8
Antwort
des Staatsministers Michael Roth auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Drucksache 18/814, Frage 10):

Ist die derzeitige De-facto-Regierung in der Ukraine nach Ansicht der Bundesregierung verfassungsgemäß zustande gekommen?

Am 27. Februar 2014 wählte das Parlament der Ukraine einen neuen Premierminister und bestätigte eine neue Regierung. Beide Beschlüsse wurden mit breiter Mehrheit gefasst. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, an der Verfassungsmäßigkeit dieser Beschlüsse zu zweifeln.