"Das Parlament" befragt Wolfgang Gehrcke zu Haiti

05.02.2010
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Das Parlament

Herr Gehrcke, Sie waren vor fast genau einem Jahr als Leiter auf einer Delegationsreise in Haiti. Was waren die Themen? Wen haben Sie getroffen?

Die Delegation des Deutschen Bundestages, genauer der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe, war Anfang Februar 2009 in Haiti. Wir haben mit den Partnern vor allen Dingen über Armutsbekämpfung gesprochen. Es gab Treffen mit Abgeordneten beider Parlamentskammern, mit dem Präsidenten Reval und der damaligen Ministerpräsidentin, mit dem Parlamentspräsidenten und vielen Nichtregierungsorganisationen. Ausführlich haben wir mit verschiedenen UNO-Einrichtungen diskutiert. Ich bin tief entsetzt, nachdem ich gehört habe, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNO bei der Katastrophe ums Leben gekommen sind.


Wie würden sie den Entwicklungsstand des Landes damals bezeichnen? Was waren die Herausforderungen, die Trends?

Den damaligen Entwicklungsstand Haitis begreift man wohl am besten mit einem Besuch in den Slums von Port-au-Prínce. Soviel Elend, soviel Not und soviel Verzweiflung habe ich an keinem anderen Ort in der Welt erlebt. Es ist grausam, welche Langzeitfolgen aus der Skalvenhaltergesellschaft, aus der Sklaverei gewachsen sind. Das ist die Verantwortung Europas. Um es deutlich zu sagen: Wir sind schuldig geworden. Die Insel war ein Freiluftgefängnis, ein Touristenbordell und doch – die Bürgerinnen und Bürger Haitis sind stolze Menschen. Haiti hat sich aus der Sklaverei selbst befreit. Auch daran muss erinnert werden.

Haben Sie noch Kontakt zu den Gesprächspartnern der Reise? Wie geht es denen?

Das weiß ich leider nicht im Einzelnen. Zu vielen habe ich Kontakte bewahren können, bei anderen sind sie leider abgebrochen. Aber ich weiß momentan im Einzelnen leider nichts über ihr Schicksal.

Sie haben vor allem Parlamentarier getroffen? Welche Rolle spielen die in Haiti?

Wir haben nicht nur Parlamentarier getroffen, nicht einmal vor allem. Sehr viele Gespräche gab es mit engagierten Menschen von Nichtregierungsorganisationen und es gab eine reichhaltige intellektuelle und künstlerische Szene. Was die Abgeordneten angeht, würde ich mir wünschen, dass Parteien in Haiti ein deutlicheres politisches Profil hätten und selbstverständlich: auch Haiti braucht eine starke Linke.

Was muss nun aus Sicht der Linken für Haiti getan werden? Was ist versäumt worden?

Haiti braucht eine Art Marshall-Plan. Das heißt Wiederaufbau und Umbau. Haiti braucht eine grundsätzlich neue Energiepolitik und Genossenschaftsmodelle zur Sicherung einer eigenständigen Versorgung, Arbeitsplätze müssen entstehen, Demokratie sich wirklich durchsetzen. Haiti braucht Partnerschaft und nicht Bevormundung.

Was fordert die Linke von der Bundesregierung, um die Situation vor Ort kurzfristig aber auch langfristig zu verbessern?

Kurzfristig muss man Helfen, Helfen, nochmals Helfen. Das heißt medizinische Versorgung, sauberes Wasser, Nahrungsmittel und Unterkünfte. Mich empört es, dass in Haiti offensichtlich um die führende Rolle bei der Katastrophenbekämpfung gewetteifert und nicht zusammengearbeitet wird. Ich wäre dankbar, wenn die Dominikanische Republik und andere Länder ihre Grenzen öffnen würden. Und ich bezweifle, dass die Entsendung von noch mehr Soldaten Haiti wirklich hilft. Es ist so unwichtig, ob jetzt die USA oder Frankreich die führende Rolle beim Wiederaufbau inne haben. Ich bin allen Menschen in unserem Lande dankbar, die für Haiti gespendet haben. Das sollte die Bundesregierung zu weiterer Unterstützung ermuntern.

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