Offener Brief an den Bundesverteidigungsminister

28.04.2010
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Ohne mich! Wolfgang Gehrcke, MdB DIE LINKE, sagt Nein und sagt ab
Der Bundesverteidigungsminister Guttenberg hat Abgeordnete des Deutschen Bundestages als Beobachter zum Bundeswehrmanöver „EXTRICATE OWL“ eingeladen. Wolfgang Gehrcke nimmt diese Einladung nicht an und hat mit einem Offenen Brief darauf geantwortet. Angesichts der Toten und Verletzten redeten die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister, von „Helden“, „Ehre“ und dem „Eid“, anstatt zunächst einmal über die eigene Schuld und Mitverantwortung nachzudenken. Jede und jeder Abgeordnete müsse die Frage beantworten: Womit rechtfertigen wir ihren Tod?


Offener Brief

Sehr geehrter Herr Minister, verehrter Herr Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,

Sie haben mich eingeladen, am 29. April 2010 als Beobachter an der Übung der Bundeswehr „EXTRICATE OWL 2010“ in Bitburg teilzunehmen, einem Manöver zur „militärischen Evakuierung deutscher Staatsbürger aus einem Krisengebiet“. Ich nehme Ihre Einladung nicht an und möchte über die Gründe öffentlich sprechen. Deshalb wähle ich die Form des Offenen Briefes.

Kein Manöver, was auch immer im Einzelnen geübt werden mag, kommt um die Tatsache herum, dass die Bundeswehr von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer Armee im Krieg gemacht worden ist. Nicht Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, sondern Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Dort geht es nicht zuletzt um die Aufteilung von Interessensphären.

Die Opfer dieser Politik sind vor allem afghanische Frauen, Kinder, Schüler, Jugendliche, Männer, deren Vergehen es war, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Die Trauer um diese Menschen hält sich in unserem Land sehr in Grenzen. Über sie wird wenig gesprochen, ihre Namen sind unbekannt.

Opfer sind auch Soldaten und Angehörige der Bundeswehr. Viele von ihnen sind der Überzeugung, dass sie in Afghanistan Gutes und Richtiges tun, schließlich hat der Bundestag sie geschickt. Deshalb muss sich jede und jeder einzelne Abgeordnete die Frage stellen: Womit rechtfertigen wir ihren möglichen Tod?

Angesichts der Toten und Verletzten redet die Bundeskanzlerin und reden Sie, Herr Verteidigungsminister, von „Helden“, „Ehre“ und dem „Eid“, anstatt zunächst einmal über die eigene Schuld und Mitverantwortung nachzudenken. Es hat mich zutiefst entsetzt, dass Sie sogar das Gespräch mit Ihrer kleinen Tochter über Helden und Stolz ins Feld führen, statt schlicht in Trauer zu schweigen, innezuhalten.

Umkehr ist nötig aus meiner Sicht, moralisch und politisch. Wir müssen unsere Soldaten aus Afghanistan abziehen, nicht, um das Land allein zu lassen, sondern um ihm eine Chance auf Versöhnung und Entwicklung zu geben.

Ich gehöre einer Generation an, für die es selbstverständlich war, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht. Das gab mir für meine Tochter und meine Enkelin die Hoffnung, dass Deutschland zum Frieden und nur zum Frieden beiträgt. Ich wollte, dass wir nie mehr Helden brauchen und stolz nur auf den Mut des Alltags sind.

In Bitburg, wo das Manöver stattfinden wird, wurde dieses Selbstverständnis der alten Bundesrepublik gebrochen, als Helmut Kohl und Ronald Reagan 1985 mit einem Händedruck über Kriegsgräbern von Angehörigen der US-Armee, der Wehrmacht und der Waffen-SS ein neues Kapitel der Nachkriegsgeschichte aufschlugen. Es ist jener Geist von Bitburg, der zur angeblichen deutschen Normalität geführt hat, die auch Kriege beinhaltet. Für mich wird Krieg nie normal sein. Ich danke für die Einladung. Ich sage weiter NEIN! Ohne mich!

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Gehrcke

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