Ein bekanntes Muster

15.09.2010
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Foro de Sao Paulo

Deutsche Außenpolitik am Beispiel Lateinamerika: neoliberal, heuchlerisch und interessengesteuert

Der folgende Artikel erschien in der Septemberausgabe des "Disput" - Der Mitgliederzeitung der Linken.

Auf dem Wege zum Foro Sao Paulo, dem Treffen der Linken aus Lateinamerika und der Karibik, lese ich das von der Bundesregierung beschlossene »Lateinamerika und Karibik Konzept«. Es soll eine strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und den Ländern in diesem Subkontinent begründen. Das Konzept ist auf Glanzpapier und mehrfarbig gedruckt. Es macht was her. Ich will es ernst nehmen, als ein Muster deutscher Außenpolitik. Deutschland will in den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen; dafür in meinen Gesprächen zu werben, hat mich der Außenminister gebeten. Mein schroffes Nein hat ihn verschnupft. Ich will mich auch versichern, war das richtig, war das falsch? Was also will die schwarz-gelbe Bundesregierung in Lateinamerika?

Ich lese im Konzept der Bundesregierung: »… das wirtschaftliche Potenzial der aufstrebenden Länder Lateinamerikas, ihre Bedeutung für unsere Rohstoff- und Energieversorgung und ihre steigende Innovationskraft (sind) für Deutschland von strategischem Interesse.« Klar, das deutsche Kapital will einen Zugriff auf Rohstoffe, Energie und einen ungehinderten Zugang zu den Märkten. Und was braucht das Kapital dazu? »Schutz des Privateigentums als Basis für ein selbstbestimmtes Leben und wirtschaftliche Freiheit.« Diese Strategie prägte bereits den Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP: freier Welthandel als Wertedominanz der deutschen Außenpolitik. Das ist der Kern der außenpolitischen Strategie von Schwarz-Gelb. Während ich mich weiter durch das Strategiepapier der Bundesregierung quäle, bin ich mir sicher: Deutschland braucht nicht in den Weltsicherheitsrat der UNO, drei Europäer – Russland, Frankreich und Großbritannien – sind bereits drin. Aber kein Land aus Afrika und keins aus Lateinamerika. Das entspricht nicht gerade der Welt von heute. Auch unter den nicht-ständigen Mitgliedern, darum geht es jetzt, ist anderes nötig und denkbar.
Das Außenpolitische Konzept der Bundesregierung ärgert mich, und irgendwie kommt mir vieles bekannt vor, was ich hier lese. Ich fange an, in meinen Unterlagen, die ich mit mir schleppe, zu wühlen. Dann habe ich den Text der »Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft«. Deren Empfehlungen datieren vom 1. März 2010, der Beschluss der Bundesregierung vom Juli. Die Wirtschaft kommt gleich zur Sache und verzichtet auf Vier-Farb-Brimborium: »Um Zugang zu diesen zukunftsträchtigen Rohstoffen (Lithium, seltene Erden und Metalle, nicht traditionelle Biomasse) zu bekommen und sich vor allem langfristige Marktanteile zu sichern, bedarf es strategischer Partnerschaft durch die deutsche Wirtschaft.« Und deshalb, so die Wirtschaftsbosse, müssen »Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit optimal ineinander greifen« und die »Interessen der deutschen Wirtschaft angemessen berücksichtigt werden«. Das ist dann auch im strategischen Konzept der Bundesregierung geschehen. Entwicklung und Außenpolitik werden gebündelt, und im Zentrum stehen nicht etwa Armutsbekämpfung und Demokratisierung, sondern Rohstoffe und Märkte. Staatsmonopolistischer Kapitalismus war wohl doch kein Hirngespinst.
An irgendeiner Stelle, so dachte ich, zumindest bei den Menschenrechten, wird die Bundesregierung vielleicht etwas selbstkritisch werden. In einer Parlamentsanfrage forderte ich von der Regierung Auskunft darüber, wie man sich in der Vergangenheit für Menschenrechte eingesetzt hat. Zum Beispiel in Argentinien, wo während der Militärdiktatur 30.000 Menschen verschwunden sind, bis heute. Im Park der Erinnerung in Buenos Aires sind 10.000 Namen Ermordeter in Stein gemeißelt. Später treffe ich, mit Hilfe der deutschen Botschaft, den Untersuchungsrichter Daniel Rafecas, Bundesrichter und Vertrauensanwalt der Botschaft. Deutschland ist Nebenkläger im Prozess gegen die Militärs wegen der Ermordung von Elisabeth Käsemann. Endlich stehen die Mörder vor Gericht, zumindest in Argentinien. In Chile, Paraguay, Uruguay, Brasilien und anderen Ländern sind sie bisher im Wesentlichen straffrei davon gekommen. Mit dem »Plan Condor« sollte die Linke ausradiert werden. Im Gespräch benutzt Daniel Rafecas, dessen Mut und Gerechtigkeitssinn mich sehr beeindrucken, zweimal einen deutschen Begriff. Er spricht von der »Endlösung«, die Militärs und Einsatzgruppen anstrebten, das heißt, alles Linke auszumerzen war ihr Ziel. Der Anwalt der Nebenklage informiert mich näher über das Schicksal der christlichen Sozialarbeiterin Elisabeth Käsemann. Ihr Tod wurde als Folge eines Gefechtes beschrieben, tatsächlich wurde sie mit Genickschüssen umgebracht. Ihren Leichnam verkauften die Militärs später mit der Legende vom Gefecht an ihre Eltern – für 20.000 Dollar.
Und was tat die deutsche Außenpolitik? Hat sie die Beziehungen abgebrochen, sich an die UNO gewandt, den Botschafter einbestellt und Aufklärung gefordert? Ich will wissen, ob der Regierung bekannt war, dass Kinder von Jüdinnen und Juden, die aus Deutschland in diese Länder geflohen waren, nun hier verschleppt und ermordet wurden. »Schauen Sie mal auf das Anwachsen der Rüstungsgeschäfte in dieser Zeit, dann beantwortet sich ihre Frage von selbst«, sagen mir meine Gesprächspartner in Argentinien.
Und heute? Kein Satz, kein Wort der Selbstkritik kommt den Vertretern der deutschen Außenpolitik über die Lippen. Wenn es um Menschenrechte geht, wird in Lateinamerika nur ein Land namentlich kritisiert. Wer jetzt vielleicht an Kolumbien denkt, irrt sich. Kritisiert wird Kuba.
Mit solcher Heuchelei kann man in Lateinamerika keinen Blumentopf mehr gewinnen. Kuba ist nicht mehr isoliert. Heute muss, und auch daran zeigt sich, wie sich die Dinge ändern, der neoliberale deutsche Außenminister dem brasilianischen Präsidenten versichern, dass auch er Gewerkschaften für wichtig hält. Präsident Lula war vor dem Staatsamt als Gewerkschaftsführer aktiv. Und in Uruguay findet Westerwelle sogar Verständnis für den Befreiungskampf. Der Präsident José Mujica, El Pepe, ist ein ehemaliger führender Tupamaro-Kämpfer.
In Lateinamerika und der Karibik wird der Walzer linksrum getanzt. Aber zur eigenen Warnung: Beim Tango geht noch beides.


Wolfgang Gehrcke ist Parteivorstandsmitglied und außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.