Ça ira Nr. 161: Aus Moskau Abrüstung – aus Berlin Aufrüstung (22.03.2018)

Infobrief Ça Ira Header

Aus Moskau Abrüstung – aus Berlin Aufrüstung


Die angebliche massive Verantwortung Russlands für den Giftgasanschlag in Salisbury hat die Welt in Atem gehalten. Ohne Beweis oder innere Logik wurden feindselige Stimmungen bis zur Erwägung von Militäreinsätzen losgetreten. Wem, außer den Russen, sei so etwas zuzutrauen. Als die russische Seite eine öffentliche Pressekonferenz zu ihrer Sicht der Dinge ankündigte, war plötzlich von einem Tag auf den anderen Schluss mit dieser Schmierenkomödie. In diesem ca ira schreiben wir über die deutsche Mitschuld an der Katastrophe von Afrin und kommentieren das Ergebnis der russischen Präsidentenwahl. Drei Tage nach seiner Wahl hat Putin Abrüstung angekündigt, drei Tage nach ihrer Wiederwahl kündigt Merkel Aufrüstung an. Das ist der momentane Zustand.

 

Russland senkt die Rüstungsausgaben


Nachlese zur Wahl

Der alte und neue russische Präsident, Wladimir Putin, will keinen Rüstungswettlauf. Auf seiner ersten Pressekonferenz nach seiner Wiederwahl hat er angekündigt, sein Land werde in diesem und dem kommenden Jahr seine Rüstungsausgaben senken. Schon 2016 hatte Russland etwas, 2017 dann noch einmal um 14 Prozent weniger für seine Armee ausgegeben. Auf der Skala der größten Militärmächte ist Russland auf Platz acht, noch hinter Indien, gerutscht. Nicht aus Versehen, sondern bewusst. Es ist die materielle Antwort auf die Frage: „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ Die Senkung seiner eigenen Militärausgaben ist ein politisches Zeichen in Richtung USA und NATO. Von diesen Staaten wird es (noch?) nicht aufgegriffen. Umso wichtiger ist es, dass die Ostermärsche Zeichen setzen für Abrüsten statt Aufrüsten.

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Russland ist für viele Medien eine herbe Enttäuschung. Für sie war Putins Wahl zwar unstrittig, doch die Höhe der Wahlbeteiligung und sein Stimmergebnis sollten doch bitte von seiner abnehmenden Akzeptanz zeugen. Das ist nicht eingetreten. Mit 77 Prozent, das sind 56.411.688 Stimmen, erreichte er vielmehr sein bisher bestes Wahlergebnis. Auf dem zweiten Platz landete der Kandidat der Kommunistischen Partei, Pawel Nikolajewitsch Grudinin, mit 11,77% der abgegebenen Stimmen; ein respektables Ergebnis. Abgeschlagen der Rechte Schirinowski mit 5,65% der Stimmen. 

Doch hierzulande interessierte vor allem einer: Alexej Nawalny. Er war von der Wahlkommission nicht als Kandidat zugelassen worden, nachdem er wegen Unterschlagung zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt gewesen war. Von den Medien zum Bürgerrechtler und Anti-Korruptionskämpfer gemacht, tat er sich in seinem mit viel Geld ausgestatteten Kampf für einen Wahlboykott mit rassistischen und nationalistischen Losungen hervor. Soll wirklich einer im Kreml Zugriff auf den Roten Knopf haben, der für freien Waffenbesitz ist für den Fall, „dass Kakerlaken in unsere Wohnung eindringen“ – wobei Kakerlaken sein Synonym für Migranten ist? Oder was ist von einem Anti-Korruptionskämpfer zu halten, der sich wirtschaftspolitisch den ersten Regierungschef Singapurs, Lee Quen Yew, zum Vorbild nimmt, der „zwar eine totalitäre Politik etabliert“, aber wenigstens „Gauner“ gejagt habe. Wer Nawalny gegen Putin aufbaut, macht sich mit der europäischen extremen Rechten gemein.

Herzlichen Glückwunsch dem wiedergewählten russischen Präsidenten. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ein so großer Wahlsieg und eine vierte Amtszeit dem Kandidaten unbedingt guttun. Sie erfordern von ihm selbst Demut und von seiner Umgebung genaues Hinschauen und die Fähigkeit zur Kritik.  Das habe auch ich mir vorgenommen.

Ach ja, was macht eigentlich der Fall Skripal? Es ist merkwürdig still geworden um die Schuld Russlands und die persönliche Verantwortung Wladimir Putins für den Giftgasanschlag in Salisbury. Zu einer Entschuldigung bei der russischen Regierung reicht es nicht, notwendig wäre sie allemal. Die internationale Diplomatie muß raus aus der Sackgasse der Leichtfertigkeit und Vorverurteilung. Das hat auch die große Mehrheit kritischer Menschen in unserem Land von unserer Regierung gefordert. Gelaufen ist es umgekehrt. Von Anbeginn stand für die Regierungen Großbritanniens, der USA, Deutschlands, Frankreichs fest: „Der Russe ist schuld“. Sogar die Ausrufung des Bündnisfalles nach Artikel 5 des NATO-Vertrages ist in Erwägung gezogen worden. Wer darüber auch nur laut nachdenkt, denkt an Krieg. Und der neue deutsche Außenminister Heiko Maas hat seine Chance vertan zu zeigen, dass er anders ist als die anderen. Schade.

Wolfgang Gehrcke

weiter...

 

Afrin und die Mitschuld der Bundesregierung


Wann endlich wird das Töten und Morden in Syrien beendet? Die türkische Armee und die mit ihnen verbündete "Freie Syrische Armee" haben Afrin erobert. Wieder befinden sich zehntausende Menschen auf der Flucht. Ihre Häuser und Wohnungen sind zerstört oder werden geplündert. Der Diktator Erdogan dröhnt von den großen Siegen des türkischen Militärs in der Aktion mit der unverschämten Bezeichnung "Olivenzweig". Die Opposition im eigenen Land wird gewaltsam niedergehalten, die Demokratie vernichtet, vom Versöhnungsprozess mit Kurdinnen und Kurden ist keine Rede mehr. Es herrschen Feindschaft und rohe Gewalt.

Wieso darf die Türkei entgegen jeglichem Völkerrecht mit Panzern und Raketen in ein Nachbarland einbrechen? Übrigens mit Panzern aus deutscher Produktion. Das einzige Argument, auf das sich die Türkei zurückziehen kann, lautet: Ihr seid ja auch nicht besser, ihr liefert die Waffen an alle Seiten, eure Flugzeuge nutzen den syrischen Luftraum ohne Genehmigung des syrischen Staates. Die Proteste aus Berlin bei der türkischen Regierung sind kaum wahrnehmbar. Trotz dieses Krieges und der Schrecken von Afrin wird die deutsche Polizei eingesetzt, auf den kurdischen Neujahrsfesten Bilder von Öcalan einzusammeln und Bundestagsabgeordnete wie Diether Dehm von der Bühne zu holen. Drei Beschwerden aus Ankara, dass die deutsche Polizei nicht entschlossen genug gegen PKK-Sympathisanten vorgeht, und schon soll das Gegenteil bewiesen werden.

Die Plünderer von Afrin nennen sich "Freie Syrische Armee" und stehen jetzt im Bündnis mit der Türkei. Das waren doch die Formationen, die unter dem Stichwort "Gemäßigte Islamisten" von Deutschland und den USA hochgerüstet wurden. Wie soll das jemand verstehen, rechtfertigen kann man das alles sowieso nicht. Deutschland liefert Waffen an kurdische Verbände im Irak, diese Waffen finden auch ihren Weg zu den kurdischen Formationen und werden in den aktuellen Kämpfen eingesetzt. Die von Deutschland an die Türkei verkauften Panzer schossen Afrin "frei", die türkischen Militärverbände sind mit deutschen Sturmgewehren ausgerüstet. Geld stinkt nicht, das war und ist die Moral der deutschen Rüstungsindustrie und der deutschen Bundesregierung, was allerdings zum Himmel stinkt.

Ich stelle mir immer wieder die Frage, hätte Russland den Einmarsch der Türkei verhindern können, indem es mit seiner Luftwaffe eine Flugverbotszone über dem syrischen Norden durchsetzt? Das heißt: Alles abschießt, was dort fliegt? Ich bin mir nicht sicher, aber ich befürchte, das wäre der Beginn eines Krieges gegen die NATO auf dem Territorium des Nahen und Mittleren Ostens geworden. Was kann unter diesen Bedingungen der syrische Staat leisten, um die Sicherheit seiner kurdischen Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten? Auch die kurdische Selbstverwaltung wollte sich zuerst von Assad befreien und hat dessen Regierung erst um Hilfe gerufen, als es schon zu spät war. Kurdinnen und Kurden haben phantastisch gegen den IS gekämpft, doch sie sind erneut verraten worden, aktuell durch die USA. Erdogan triumphiert, die vom Westen aufgebaute "Freie Syrische Armee" plündert, und Trump reibt sich die Hände. Die Frauen und Kinder Afrins sind auf der Flucht, in anderen kurdisch besiedelten syrischen Gebieten droht das gleiche Schicksal.

Deutschland ist mit der Türkei zusammen im gleichen Militärbündnis, nämlich der NATO. Die Türkei hat auf einer positiven Entscheidung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages bestanden. Jetzt leistet Deutschland den Schlächtern von Afrin militärischen Beistand. Mit dieser doppelzüngigen Moral kann unserem Land nur Verachtung entgegengebracht werden. Die Gefahr war und ist sehr hoch, dass es auf syrischem Gebiet zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen militärischen Großmächten wie der Türkei, den USA und Russland kommen kann. Die Welt steht am Rande einer großen, ja weltweiten militärischen Katastrophe. Gebraucht werden nicht forsche militaristische Sprüche wie von Frau von der Leyen, sondern bedächtige diplomatische Politik.

weiter...

 

Video-Blog "Roter Platz"


 

am nächsten Wochenende nicht verpassen: Wer hat Afrin verraten?

Mit dem „Roten Platz“ will ich dank Weltnetz.TV mithelfen, die Politik und ihre Entscheidungen wieder aus den Hinterzimmer der Macht auf die öffentlichen Plätze zu holen. Die „res publica“ – die öffentlichen Angelegenheiten – verlangen gerade das von der Linken in Deutschland.

weiter...