Es fehlte der politische Wille

04.04.2014
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Meine erste Frage lautet natürlich: Was kann Menschen dazu bringen, andere Menschen in einer kollektiven Raserei umzubringen? Brecht hat das einmal so formuliert: Welche Kälte muss über Menschen gekommen sein, um so etwas vollbringen zu können? Auf diese Frage suche ich eine Antwort: Was kann Menschen dazu bringen?

Ich blicke dabei nicht nur auf Ruanda, und ich sage das schon gar nicht in Verbindung mit Afrika. Wir können hier auch auf die Killing Fields in Kambodscha blicken, und wir können blicken auf die Geschichte unseres eigenen Landes. Ich fand es sehr in Ordnung, dass der Außenminister auch angesprochen hat, dass wir von Deutschland als von einem Land reden, das industriell, massenhaft, Menschen ermordet hat. Wir kommen also auch aus einer Tradition der Schuld.

 

 

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27. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Freitag, 4. April 2014
Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU/CS/, SPD und Grünen „Erinnerung und Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994“

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es bleibt natürlich die Fassungslosigkeit über das, was in Ruanda passiert ist. Ich finde, das können der menschliche Verstand und erst recht die menschliche Seele nicht aufnehmen und verarbeiten. Ich wünsche mir sehr, dass diese Fassungslosigkeit fraktionsübergreifend alle Mitglieder dieses Parlamentes bewegt.

Vielleicht können wir eines tun, nämlich zu gleichen Fragen kommen. Ob wir dann auch zu gleichen Antworten kommen, weiß ich nicht. Ich möchte Ihnen aber anbieten, dass wir über gleiche Fragen an gleichen Antworten arbeiten. Ich biete Ihnen also meine Fragen an und bitte Sie, mit darüber nachzudenken.

Meine erste Frage lautet natürlich: Was kann Menschen dazu bringen, andere Menschen in einer kollektiven Raserei umzubringen? Brecht hat das einmal so formuliert: Welche Kälte muss über Menschen gekommen sein, um so etwas vollbringen zu können? Auf diese Frage suche ich eine Antwort: Was kann Menschen dazu bringen?

Ich blicke dabei nicht nur auf Ruanda, und ich sage das schon gar nicht in Verbindung mit Afrika. Wir können hier auch auf die Killing Fields in Kambodscha blicken, und wir können blicken auf die Geschichte unseres eigenen Landes. Ich fand es sehr in Ordnung, dass der Außenminister auch angesprochen hat, dass wir von Deutschland als von einem Land reden, das industriell, massenhaft, Menschen ermordet hat. Wir kommen also auch aus einer Tradition der Schuld.

Meine nächste Frage lautet: Was kann man dafür tun, dass Menschen so immun gemacht werden, dass sie nicht gegen andere Menschen aufgehetzt werden können? Das ist doch eine Frage, die wir weltweit beantworten müssen.

Ich suche eine Antwort darauf, dass solche Aufhetzungen wie in Ruanda nicht vom Himmel fallen, sondern Ursachen haben. Wenn man Bevölkerungsteile aufeinander hetzt, hat das zuletzt und am wenigsten ethnische und religiöse, sondern auch konkrete ökonomische und politische Ursachen.

Ich möchte gerne, dass wir Anstrengungen dafür unternehmen, Ausgleichsformen zu finden, und ein staatliches Gewaltmonopol entwickeln, das tatsächlich an Recht, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit gebunden ist.

Wir können, wenn wir über Ruanda diskutieren, nicht von uns weisen, auch über koloniale Geschichte zu reden. Ich möchte den Außenminister und auch die Bundesregierung sehr bitten: Wenn Sie von einer neuen Afrika-Konzeption sprechen, die dringend notwendig ist, dann lassen Sie uns auch darüber reden, dass sich die europäischen Staaten, auch Deutschland, gegenüber der Bevölkerung in vielen Ländern Afrikas schuldig gemacht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur wenn wir unsere Schuld eingestehen, wird eine neue Konzeption überhaupt möglich werden. Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken, gerade vor dem Hintergrund dessen, was heute in vielen Teilen Afrikas passiert.

Wir sollten auch darüber nachdenken, dass soziale Konflikte durch Landknappheit, Landraub, Land-Grabbing und durch Wasserknappheit verstärkt werden Landknappheit und Wasserknappheit sind die ökonomischen Ursachen von Kriegen der Gegenwart und auch der Zukunft , dass Konflikte durch Spekulationen auf Preise verstärkt werden, durch die Zerstörung gewachsener Strukturen, durch die Verführung von Elitekonzeptionen und auch durch sprachliche Spaltung. Kann man nicht, wenn wir aus Ruanda lernen wollen, eine Afrika-Politik entwickeln, die sich ganz klar gegen Land- und Wasserraub ausspricht, gegen die Fortsetzung des Kolonialismus mit ökonomischen Mitteln? Darauf müssen wir Antworten geben.

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Konflikte nicht vom Himmel fallen. Es ist immer komisch, wenn es heißt, irgendetwas sei plötzlich eingetreten. Nichts tritt plötzlich ein; Konflikte werden vorbereitet und geschürt. Ruanda hat eine halbe Million Macheten im Ausland gekauft. Hat sich niemand die Frage gestellt, wozu man eine halbe Million Macheten kauft? Vielleicht sind wir, was Ruanda angeht, über das Archaische des Völkermordes erschrocken. Ich frage mich selbst und auch uns: Was ist mit Kleinwaffen? Sind die Kleinwaffen nicht die moderne Form der Macheten?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Müssen wir nicht zumindest zu einer Initiative „Schluss mit dem Handel und dem Profit durch den weltweiten Verkauf von Kleinwaffen“ kommen? Diese Fragen richten sich an uns selbst. Muss man nicht zusammen und öffentlich der Propaganda nachgehen und Propaganda sofort aufgreifen, wo sie rassistisch ist oder zum Rassismus führt, auch in Europa, auch im eigenen Land? Das müssen die Schlussfolgerungen sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Kofi Annan hat nach dem Völkermord gesagt: „Der Grund für das Scheitern von Ruanda war fehlender politische Wille.“ Bringen wir einen wirklichen Willen zur Gleichberechtigung auf, politisch und ökonomisch, damit so etwas nicht wieder eintritt!

Ich möchte zum Schluss noch ganz knapp einige Punkte ansprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Wenn wir über Völkermord sprechen, müssen wir dann nicht zugleich auch darüber reden, dass jeden Tag weltweit 57.000 Menschen verhungern? Auch das ist eine Form von Völkermord, die wir bekämpfen müssen. Müssen wir nicht darüber reden, dass im Mittelmeer 19.000 Menschen ertrunken sind, Menschen, die gehofft hatten, in Europa ein besseres Leben zu finden? Ist nicht auch das ein Teil der Verantwortung, die wir wahrnehmen müssen? Ich finde, das ist unsere Verantwortung. Indem wir solche Fragen aufwerfen, finden wir einen neuen Weg zu den afrikanischen Ländern. Indem wir unsere Schuld anerkennen, können wir die Schuld anderer besser benennen. Diese Botschaft wollte ich Ihnen von dieser Stelle aus überbringen. Lassen Sie uns zumindest gemeinsame Fragen stellen! Über die Antworten kann man dann streiten.

Ich hätte gerne an diesem fraktionsübergreifenden Antrag mitgearbeitet. Das Verhalten, diese Kleinkariertheit, dass man im Zusammenhang mit einem Völkermord die Linke ausgrenzt und sie daran hindert, an einem solchen Antrag mitzuarbeiten und ihre Fragen einzubringen, muss sich hier in diesem Hause ändern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)