Einstieg in den Ausstieg – Sanktionen gegen Russland aufheben

14.11.2014
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Wenn man wirklich Sicherheit und Stabilität in Europa will, muss man ein anderes, besseres Verhältnis zu Russland herstellen. Dazu wäre ein erster Schritt, dass man sagt: Wir bauen nicht mehr auf Sanktionen, sondern wir suchen den Ausstieg aus den Sanktionen, genauer: den Einstieg in den Ausstieg.

 

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66. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Donnerstag, 13. November 2014

Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Klaus Ernst, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einstieg in den Ausstieg – Sanktionen gegen Russland aufheben

 


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

 

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir könnten, wenn sich die Kollegen der SPD und der CDU/CSU ein bisschen mehr zutrauen würden, gemeinsam feststellen, dass die Sanktionen gescheitert sind und dass die Sanktionen bisher nichts Vernünftiges gebracht haben. Das wissen Sie alle. Sie trauen sich nur nicht, das zuzugeben.

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Sie wissen es auch besser! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

Ich will Ihnen dafür auch ein paar Argumente nennen.
Erstes Argument. Das Verhältnis zu Russland war in den letzten 20 Jahren noch nie so schlecht, wie es heute ist. Nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges gab es ein so schlechtes Verhältnis zu Russland.

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Warum wohl? – Zurufe von der SPD)

– Ja, das war ja ein Teil der sozialdemokratischen Politik. „Wandel durch Annäherung“ war ja nicht meine Politik; das war Ihre. Dazu stehen Sie ja bloß nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Völkerrecht!)

Wenn man wirklich Sicherheit und Stabilität in Europa will, muss man ein anderes, besseres Verhältnis zu Russland herstellen. Dazu wäre ein erster Schritt, dass man sagt: Wir bauen nicht mehr auf Sanktionen, sondern wir suchen den Ausstieg aus den Sanktionen, genauer: den Einstieg in den Ausstieg. Wir haben es ja vorsichtig formuliert. Sie müssen ja nicht gleich alles aufheben.

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Genau falsch!)

Ich möchte Ihnen ein zweites Argument nennen. Durch Ihre Politik ist Putins Position in Russland so stabil wie nie zuvor mit Zustimmungsraten von über 80 Prozent. Eigentlich müsste Putin Ihnen ein Dankschreiben für das schicken,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da verzichten wir drauf!)

was Sie ihm an Ansehen und Resonanz im eigenen Land verschafft haben.
Mein drittes Argument ist – da muss man auch genau hinschauen –: Die Ukraine ist tief gespalten, und die Gefahr wird immer größer, dass sich auch andere Teile der Ukraine aus dem staatlichen Verbund herauslösen.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Propaganda! Wie immer bei den Linken!)

Wenn man das nicht will, muss man für die Ukraine einen anderen Weg aufzeigen. Ich sage Ihnen noch einmal: Die Ukraine darf nicht Bollwerk sein, sondern die Ukraine muss Brücke zu Russland werden. Es ist unbedingt notwendig, einen solchen Schritt zu gehen.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Herr Gehrcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

 

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ja, gerne.


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Bitte.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Verehrter Kollege Gehrcke, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie eine andere Ukraine haben möchten. Jetzt könnte ich Ihnen natürlich unterstellen – wir kennen uns ja ein bisschen –, dass zu dieser anderen Ukraine oder überhaupt zu Ihrem Bild, wie ein Staat sich positiv entwickeln sollte, die politische Präsenz von kommunistischen Parteien gehört oder zumindest ein Beitrag ist, wenn nicht sogar der eigentlich entscheidende.
Sie und Ihre Kollegen haben hier im Deutschen Bundestag und auch in den Ausschusssitzungen immer wieder kritisiert, dass die Kommunistische Partei in der Ukraine nicht zu den Wahlen zugelassen werden sollte. Das dortige Verfassungsgericht hat aber den Ausschluss verhindert, und die Kommunistische Partei hat an den Wahlen teilgenommen. Sie hat die Fünfprozenthürde leider knapp verpasst, weil die Wähler in den Bollwerken der Partei, in Luhansk und Donezk, nicht abstimmen konnten.
Ich frage Sie: Sind Sie bereit, Wladimir Putin zu kritisieren – und damit wirklich deutlich zu machen, dass Sie sich von seiner Politik distanzieren –, der nicht dafür gesorgt hat, dass die Kommunistische Partei bei den angeblichen Wahlen in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk antreten konnte? Im Gegensatz zum angeblich faschistischen Kiew, wo die Kommunistische Partei bei den Wahlen antreten durfte, konnte man bei den von Separatisten angesetzten Scheinwahlen in Donezk und Luhansk die Kommunistische Partei nicht wählen, weil sie dort nämlich gewählt worden wäre. Sind Sie bereit, sich von diesem Vorgehen in aller Schärfe zu distanzieren?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich nicht!)

Sind Sie bereit, zu sagen: „Ich bin mehr Kommunist, als dass ich Putin verteidige“?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ich will Ihnen zwei Antworten darauf geben.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zwei gleich?)

– Ja, zwei gleich. – Die erste Antwort ist: Bei den Wahlen herrschte ein unglaublich schlechtes Klima. Es kam zur persönlichen Bedrohung von Leuten, die für die Kommunistische Partei kandidieren wollten. Sie waren überhaupt nicht mehr in der Lage, eigene Versammlungen und Veranstaltungen durchzuführen; das ist für einen Wahlkampf nie gut. Dass drei Tage nach diesen Wahlen das Verbotsverfahren gegen die Kommunistische Partei wieder eröffnet worden ist, halte ich für einen extremen Fehler.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Sie kriegen ja Ihre Antwort.
Die zweite Antwort. Dass die Kommunistische Partei in Donezk nicht kandidieren konnte, bedaure ich sehr; das halte ich für einen großen politischen Fehler. Egal, ob Putin oder wer auch immer dafür verantwortlich ist: Wenn man da schon solche Wahlen und Abstimmungen durchführt, hätte ich es gerne gehabt, dass alle politischen Kräfte, die wollen, auch kandidieren können. Dann hätten die Kommunistische Partei und andere kandidieren können; dann hätte das Ergebnis mehr Substanz und Aussagekraft gehabt. Das gehört auch zur Antwort dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben auch erwartet, dass Sie von mir solch eine Antwort kriegen.
Ich will Ihnen noch ein Argument dafür anführen, dass die Sanktionen gescheitert sind. In Russland treffen die Sanktionen nicht die Oligarchen;

(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Na, na!)

sie leben nach wie vor nicht schlecht bzw. sehr gut. In Russland treffen die Sanktionen die einfachen Menschen. Sie finden sie in den Metrostationen, wo sie versuchen, sich aufzuwärmen.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem, weil von Russland Gegensanktionen getroffen werden!)

In Deutschland werden durch die Sanktionen immer mehr Arbeitsplätze und auch die Wirtschaft gefährdet. Ich will Ihnen ehrlich sagen: In der ganzen Zeit, in der ich im Bundestag war, hatte ich noch nie so viel Besuch von Unternehmerinnen und Unternehmern, die – angesichts dieser Frage – Interesse an der Politik der Linken haben.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Nennen Sie einen Namen!)

Die Linke ist auch für die Unternehmer, für den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft ein Partner im Hinblick auf eine andere und vernünftige Europa- und Deutschlandpolitik geworden.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darauf bin ich ein Stück weit stolz. Sie müssen sich bemühen, wieder dorthin zu kommen.

(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

– Nehmen Sie doch mal Fakten zur Kenntnis.

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Nein! Das sind keine Fakten!)

Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Betriebsräte vieler Betriebe gerade des Maschinenbaus höchst verunsichert sind im Hinblick darauf, was mit ihren Arbeitsplätzen passiert. Auch das gehört zu den Ergebnissen der Sanktionen. In Deutschland ist es nicht besser geworden, in Russland ist es nicht besser geworden. Das möchte ich gern geändert sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte Ihnen gerne noch zwei Argumente vortragen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, so etwas zu ak¬zeptieren.

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: In der Tat!)

– Ja, das weiß ich doch. – Ich habe die Rede von Gorbatschow, seine öffentlichen Einlassungen, seine Warnungen, dass wir wieder zum Kalten Krieg zurückkehren, sehr ernst genommen, gerade weil ich Gorbatschow gut kenne und ich mich oft auch kritisch mit ihm auseinandergesetzt habe.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind wir ja ganz komisch: Eine Zeit lang war es „unser Gorbi“; alle haben geklatscht und gejubelt. Jetzt hat er uns einmal die Leviten gelesen, und jetzt ist es nicht mehr „unser Gorbi“, sondern der frühere sowjetische Parteiführer, der gegeißelt wird und dem man eine Abfuhr erteilt. Ich finde, man hätte Gorbatschow ganz anders behandeln und seine Kritik ernst nehmen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie schon Gorbatschow nicht ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie: Ähnliches können Sie von drei ehemaligen Vorsitzenden Ihrer Partei hören. Helmut Schmidt, Matthias Platzeck und Gerhard Schröder – alle bedauern, dass man zu einer Politik des Kalten Krieges zurückgekehrt ist.

 

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Herr Gehrcke, lassen Sie noch einmal eine Zwischenfrage zu?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ja, gerne. Von wem? – Omid, prima.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, Sie haben gerade Gorbatschow zitiert. Gorbatschow hat unzweifelhaft riesige Verdienste auch um die deutsche Einheit. Aber das bedeutet ja nicht, dass man alles, was er sagt, richtig finden muss. Deshalb will ich Sie fragen, ob Sie auch richtig finden, dass Gorbatschow dieser Tage wiederholt hat, dass er es völlig richtig findet, dass die Krim annektiert worden und nun ein natürlicher Bestandteil der russischen Republik sei.
Außerdem würde mich interessieren – weil Sie es bisher nicht gesagt haben –, ob Sie nun, nachdem die Wahl-ergebnisse in der Ukraine so waren, wie sie waren, und nachdem Swoboda unter 5 Prozent und der rechte Sektor unter 2 Prozent gerutscht sind, Abstand von der These nehmen, dass es in Kiew jetzt eine faschistische Machtübernahme gegeben habe.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Gut, ich werde Ihnen zunächst einmal die Frage zu Gorbatschow beantworten. Man muss nicht alles akzeptieren, was ein Mensch – auch mit den Verdiensten Gorbatschows – sagt. Man muss sich aber auch offen da¬mit auseinandersetzen.

(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Aha!)

Wenn Gorbatschow sagt, er habe Sorge, dass Europa wieder in den Kalten Krieg zurückkehrt, halte ich das für die sehr ernsthafte Aussage eines Mannes, der ein solches Lebenswerk vollbracht hat, dass man das ernst zu nehmen und sich mit dieser Aussage auseinanderzusetzen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich finde, er hat recht: Wir kehren zum Kalten Krieg zurück. Und genau das möchte ich verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt will ich Ihnen etwas zu dem rechten Sektor sagen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Krim!)

Also zur Krim: Ich war immer der Auffassung, dass das Vorgehen Russlands auf der Krim völkerrechtswidrig ist. Das habe ich in Russland immer gesagt. Ich darf meine russischen Kollegen ja nicht nach Deutschland einladen; denn sie sind hier gelistet worden. Russische Abgeordnete dürfen noch nicht einmal Deutschland betreten. Das ist das, was wir unter Dialog verstehen.
Das habe ich in Russland immer gesagt: Das Vorgehen auf der Krim war genauso völkerrechtswidrig wie das Vorgehen im Kosovo. Wenn wir das eine nicht kritisieren, dann haben wir bei dem anderen ganz schlechte Karten.

(Beifall bei der LINKEN)

Von Ihnen habe ich noch kein Argument gehört, dass das Vorgehen im Kosovo völkerrechtswidrig war.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gegen den drohenden Völkermord!)

Zum rechten Sektor in der Ukraine: Mich hat das sehr entsetzt und besorgt, was an faschistischen Positionen,

(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die haben aber verloren!)

an Gewalt, an faschistischer Symbolik da aufgetaucht ist. Mich hat das Vorgehen der sogenannten Freiwilli-genbataillone besorgt. Das sind Mörderbanden in der Ostukraine. Ich bin froh, dass Swoboda und andere Naziparteien nicht wieder hineingekommen sind.

(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Aber schauen Sie sich einmal die Zusammensetzung der Abgeordneten der Volksfrontpartei von Jazenjuk und anderen an. Da finden Sie diese ganzen rechten Figuren wieder, und das kritisiere ich genauso.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Entwicklung nach rechts muss man entgegentreten.
Ich bitte Sie sehr: Wir beantragen einen Einstieg in den Ausstieg. Lassen Sie uns zumindest für einen Moment innehalten und uns überlegen, ob wir uns da nicht anders benehmen können. Könnten wir nicht sagen – wir müssten es EU-weit regeln –, russische Abgeordnete sollten wieder nach Deutschland und in andere EU-Länder kommen können?

(Beifall bei der LINKEN)

Sollte es hier nicht endlich ein Treffen des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages mit dem Auswärtigen Ausschuss des russischen Parlamentes geben? Dann kann man über die Fragen ja streiten und diskutieren. Sollten wir nicht eine solche Geste an den Tag legen – mehr ist es ja nicht –, mit der gezeigt wird, dass wir über eine andere Politik nachdenken?
Ich finde, wir sollten hier auch darüber nachdenken, ob man nicht die Sanktionen zumindest erst einmal in ei-nigen Bereichen zurücknimmt, was auch zum Vorteil der deutschen Wirtschaft und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre. Ich würde Sie bitten, mit uns mindestens ernsthaft darüber zu diskutieren, ob die Sanktionen im Bereich des Maschinenbaus zurückgenommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Mich stimmt die Frage sehr besorgt, ob nicht ein neuer Krieg im Donezk vor der Tür steht. Vieles spricht dafür, dass es zu einem neuen Krieg um das Gebiet kommen könnte. Das wäre das Letzte, was wir uns in Europa leisten können. Ich möchte Sie bitten, zumindest in dieser Frage mit uns gemeinsam zu agieren, damit diese Kriegsgefahr ausgeschaltet wird.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)