Deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan war ein grundlegender Fehler

23.04.2015
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Was von der Bundesregierung gar nicht erst versucht wird, ist, eine Wertung vorzunehmen. Die Bevölkerung unseres Landes hat das Recht, nach 14 Jahren Krieg eine eindeutige Wertung der Bundesregierung zu erfahren. Ich mache Ihnen einen Vorschlag für einen Satz, mit dem man die Wertungen zusammenfassen könnte. Er würde lauten: Die deutsche Kriegsbeteiligung war ein grundlegender Fehler, und die Konsequenz, die wir daraus ziehen, heißt: Nie wieder!

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100. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Donnerstag, 23. April 2015
TOP 8 – Aussprache zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Krieg in Afghanistan – eine Bilanz“

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine ordentliche Fleißarbeit der Bundesregierung, auf unsere 186 Fragen geantwortet zu haben.

(Beifall bei der SPD - Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war nicht immer so!)

Den Fleiß bestätige ich Ihnen, der Inhalt hält mit dem Fleiß aber nicht mit.

Was von der Bundesregierung gar nicht erst versucht wird, ist, eine Wertung vorzunehmen. Die Bevölkerung unseres Landes hat das Recht, nach 14 Jahren Krieg eine eindeutige Wertung der Bundesregierung zu erfahren. Ich mache Ihnen einen Vorschlag für einen Satz, mit dem man die Wertungen zusammenfassen könnte. Er würde lauten: Die deutsche Kriegsbeteiligung war ein grundlegender Fehler, und die Konsequenz, die wir daraus ziehen, heißt: Nie wieder! Ich möchte, dass das hier im Bundestag festgeschrieben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann, wenn man sich die einzelnen Punkte anschaut, sehr deutlich sehen, welche Probleme mit diesem Krieg aufgeworfen - nicht gelöst, sondern aufgeworfen - worden sind. Das erste Problem ist, dass man sich davor drückt, eindeutig zu sagen, dass auch die deutsche Kriegsbeteiligung der jeweiligen Regierungen in unterschiedlichen Farbzusammenstellungen - was nicht so erheblich - ist dazu beigetragen hat, dass Menschen in Afghanistan ihr Leben verloren haben. Sie haben nicht Leben gerettet. Sie haben in Afghanistan Leben vernichtet. Das muss man mit aller Deutlichkeit aussprechen. 70.000 Menschen sind seit 2001 im Zuge dieses Krieges umgekommen. Das ist eine furchtbare Katastrophe, eine furchtbare Bilanz. Davor, das zur Kenntnis zu nehmen, kann man sich nicht drücken.

Wenn das so ist, müsste eine Regierung doch einmal einen Gedanken darauf verschwenden, wie Schuld, die man auf sich geladen hat, abgetragen werden kann. Ich finde, dieser Bundestag muss darüber nachdenken, Schuld abzutragen, und nicht neue Schuld aufhäufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Zweite ist, nachzuprüfen, wie viel Geld in diesem Krieg falsch eingesetzt worden ist. Geld für Krieg ist immer falsch. Insgesamt sind mindestens 11 Milliarden Euro das wird dann mit „einsatzbedingten Ausgaben für ISAF und OEF“ beschrieben eingesetzt worden. Dabei habe ich noch gar nicht das Geld hineingerechnet, das zusätzlich für Rüstung ausgegeben worden ist. Was hätte man mit 11 Milliarden Euro an Not, Elend und Unterentwicklung in solchen Ländern korrigieren können, wenn sie von Anfang an sinnvoll eingesetzt worden wären? Das wäre die Aufgabe gewesen. Das war die Chance, die man da gehabt hat. Das ist aber nicht passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Es schmerzt ungeheuer, dass auch heute überhaupt keine Ideen für politische Lösungen präsentiert werden. Wenn man die afghanische Entwicklung wirklich in einer vernünftigen Art und Weise vorantreiben will, dann erreicht man das nicht, ohne dass der Iran und China in die Lösung eingebunden werden. Das liegt doch auf der Hand. Was kommt? Nichts! Was tut die Politik? Fehlanzeige! Bei den Militärausgaben hat diese Bundesregierung dagegen immer offene Taschen. Das finde ich falsch.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das glaubt er selbst nicht!)

Ich glaube, zur Bilanz gehört auch, dass das Völkerrecht vielfach gebrochen worden ist. Es hätte immer andere Chancen gegeben.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Da kennst du dich aber aus!)

Das Völkerrecht bietet genügend Möglichkeiten, einen Krieg bzw. Angriff abzuwehren. Die Verantwortung muss dann aber auch auf die Vereinten Nationen übergehen und darf nicht von einer Koalition der Willigen oder Unwilligen eigensüchtig in Anspruch genommen werden.
Das Völkerrecht ist auch mit deutscher Beteiligung gebrochen worden. Ich will dazusagen: Auch Deutschland ist an gezielten Tötungen in Afghanistan beteiligt.

(Henning Otte (CDU/CSU): Das ist aber ein großes Kaliber!)

Davor können Sie sich nicht drücken. Das ist doch so! Meine Kollegen, die hin und wieder im Verteidigungsministerium dabei waren, haben doch die Bilder gesehen. Durch die Benennung von Menschen mit Namen auf diesen Listen - das war Ministerangelegenheit - sind Menschen gezielten Tötungen ausgeliefert worden. Ich finde es eine furchtbare Katastrophe, dass wir dem, was wir vorgeben, bekämpfen zu wollen, mit diesem Krieg immer ähnlicher geworden sind. Das ist der Preis eines Krieges, und man muss raus aus dieser Spirale.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte auch festgehalten wissen -auch das gehört ja zur Bilanz -, dass Deutschland in diesen Krieg hineingelogen und der deutschen Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt die Wahrheit gesagt worden ist. Die Losung, dass in Afghanistan auch die deutsche Sicherheit verteidigt wird, hat viele Menschen getäuscht. In Afghanistan ist nicht die Sicherheit Deutschlands oder Europas verteidigt worden, sondern in Afghanistan haben wir Krieg geführt, und Krieg schlägt irgendwann immer zurück. Das erleben wir doch dieser Tage. Auch hier ist aus meiner Sicht also ein „Nie wieder!“ notwendig. Es ist unbedingt erforderlich, Deutschland nie mehr in Kriege hineinzulügen.

Da wir gerade beim Lügen sind: Es ist auch eine Lüge, dass der deutsche Militäreinsatz in Afghanistan beendet wird. Sie lassen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, auch die USA lässt ein großes Kontingent in Afghanistan. Sie können tausend Mal sagen, dass sie ausbilden sollen. Sie werden als Besatzer wahrgenommen, und solange Besatzer in Afghanistan sind, wird es keinen Frieden in Afghanistan geben. Deswegen muss man die Bundeswehr jetzt komplett abziehen, um ein Beispiel dafür zu setzen, dass dieser Krieg nach 14 Jahren endlich beendet wird.

Das ist meine Konsequenz aus der fleißigen Arbeit, auf 186 Fragen Antworten zu geben. Das ist eine politische Konsequenz, und vor dieser Konsequenz können Sie sich nicht drücken, weil sie in der deutschen Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Ich sage Ihnen: Es ist sehr schön, dass man in unserem Lande mittlerweile mit Frieden und nicht mit Kriegsbeteiligungen Wahlen gewinnen kann. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)