"Einiges Russland" holt absolute Mehrheit

Russland hat gewählt
23.09.2016
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Hartmut Hübner

Russland hat gewählt. Von den rund 146 Millionen Einwohnern der Russischen Föderation waren 110 Millionen berechtigt, am 18. September über die Zusammensetzung des Parlamentes, der Duma, zu entscheiden. Dabei werden die 450 Abgeordneten  diesmal nur zur Hälfte über Parteilisten gewählt, die anderen Kandidaten müssen sich um Direktmandate in den Wahlkreisen bewerben. Außerdem wurden in neun Regionen die Gouverneure direkt von der Bevölkerung gewählt, in 39 Regionen die örtliche gesetzgebende Versammlung, hinzu kamen viele Kommunalvertretungen im gesamten Land. Die Bürger hatten sich im Extremfall durch einen ganzen Stapel Papier zu kämpfen. Das ist aber sicher nur eine zweitrangige Begründung für die überaus schwache Wahlbeteiligung von weniger als 50 Prozent.

Profitiert hat davon in erster Linie die Partei „Einiges Russland“ (ER), einst von Wladimir Putin gegründet und jetzt von Premier Dmitrij Medwedjew geführt. 54,2 Prozent der Urnengänger haben sich für „ER“ entschieden. Aber bei einem Rückgang der Wahlbeteiligung um mehr als 20 Prozent (von 60,21% auf 47,8%, also um mehr als 12 Prozentpunkte) bedeutet dies, dass auch die „Partei der Macht“ Anhänger verloren hat. „Sicher hätten ein paar Bürger mehr zur Abstimmung gehen können“, meinte auch Präsident Putin, „aber das Wichtigste ist,  dass unsere Partei gewonnen hat, und zwar mit absoluter Mehrheit.“ Sein Ministerpräsident ergänzte: „Unsere Wähler wissen, dass wir alles tun, um unsere Wahlversprechen zu halten, auch wenn es mitunter länger dauert und manchmal nicht von Erfolg gekrönt ist“. Aber das sehen offensichtlich nicht mehr alle Wähler von 2011 so. Viele versuchen einfach, in dieser Krisenzeit irgendwie über die Runden zu kommen und haben keine Muße, sich um Politik zu kümmern. Dabei hat sich gerade „ER“ vorgenommen, die Bürger viel stärker, beispielsweise über örtliche Referenden, in die Vorbereitung von Entscheidungen einzubeziehen. Aber dafür müssen die wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen und die Krise überwunden werden.

Federn lassen musste auch die Kommunistische Partei (KPRF), die von 19,2 % im Jahre 2011 auf nun 13,3 Prozent abstürzte und damit beinahe ihren zweiten Platz in der postsowjetischen Geschichte eingebüßt hätte. Bei der Ursachen-Suche geht der Blick von Parteichef Gennadij Sjuganow vor allem nach außen: „Die mit Unterstützung der politischen Führung gegründeten Miniparteien, wie Kommunisten Russlands, die Rentnerpartei für soziale Gerechtigkeit oder Patrioten Russlands, haben nur den einen Existenzgrund, nämlich, uns Wähler wegzunehmen, selbst wenn es nur ein bis zwei Prozent sind. Das hat ja auch geklappt.“ Noch härter hat es die Partei „Gerechtes Russland“ getroffen, die mit knapp über sechs Prozent der Stimmen einen Verlust von 50 % hinzunehmen hat. Ihr Konzept vom „neuen Sozialismus“ hat offenbar noch nicht überzeugt.

Als Gewinner dieser Wahl darf sich die Liberaldemokratische Partei Russlands (LDPR) fühlen, die von knapp zwölf auf rund 13,1  Prozent kletterte. Sie schwingt sich zum Interessenvertreter aller Schichten der Bevölkerung und vor allem der Russen auf. So will Parteigründer Wladimir Shirinowski den multinationalen Gedanken in der Verfassung der Russischen Föderation durch den Führungsanspruch der Russen und Festschreibung der russischen Leitkultur ersetzen. Außerdem soll, nach seinem Willen, der Zuzug von Arbeitsmigranten für fünf Jahre unterbrochen werden, um eigene Arbeitslose zu beschäftigen. Dieser Vorschlag findet in der russischen Öffentlichkeit viel Zuspruch und hat möglicherweise zum Stimmenzuwachs beigetragen. Damit profiliert sich die LDPR immer mehr als nationalistisch-populistische Partei und bildet den rechten Rand des Parteienspektrums in Russland.

Überhaupt fällt in diesem Jahr auf, dass alle Parteien den Gedanken der nationalen Identität weit nach vorn in ihren Wahlprogrammen rücken. Das könnte eine Reaktion auf die Isolierung durch den Westen sein.

Das erste große Projekt der neuen Duma wird in den kommenden Wochen die Bestätigung des Staatshaushaltes sein. Dann wird sich zeigen, was den Abgeordneten ihre Wähler wert sind.

Interessant sind für die Umsetzung der Wahlversprechen auch die Wahlprogramme der vier in der Duma vertretenen Parteien, auf die nachfolgend für „Einiges Russland“ sowie für die übrigen in der Duma vertretenen Parteien ein zusammenfassender Blick geworfen werden kann.

Dass die Bemühungen einer Opposition nicht immer nur vergeblich sein müssen, zeigte unlängst folgendes Beispiel. Zwar gab es in der Duma immer wieder Gesetzentwürfe der Regierungspartei, mit denen die KPRF und die anderen Oppositionsparteien nicht einverstanden waren und dagegen stimmten. Und die Kräfteverhältnisse im Parlament erlaubten meistens, beliebige Gesetze durchzudrücken. Anders war es bei der geplanten Einführung der LKW-Maut Ende letzten Jahres. Putin hatte, aus wirtschaftlichen Überlegungen, die Regierung beauftragt, ein entsprechendes Projekt zu erarbeiten. Als dies veröffentlicht wurde, gingen viele Eigentümer von LKW auf die Straße und protestierten lautstark gegen das System „Platon“, weil sie erhebliche Einkommensverluste befürchteten, vor allem, wenn sie nur ein Fahrzeug besaßen. Hier stellte sich die KPRF im Parlament und außerparlamentarisch auf die Seite der Trucker und klar gegen die "Partei der Macht". Die Kommunisten brachten den Gesetzentwurf vor das Verfassungsgericht. Das entschied zwar, dass grundsätzlich ein solches Gesetz zulässig, aber an eine Reihe von Bedingungen zu knüpfen sei, um die Lkw-Eigentümer nicht über Gebühr zu belasten. Damit hat sich KPRF letzten Endes gegen ER behauptet, die mit ihrer Gesetzesinitiative ihr ständiges Wahlversprechen brachen, nämlich die Bürger in die Ausarbeitung von gesetzlichen Regelungen einzubeziehen, die sie unmittelbar betreffen.

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