Nur die Überwindung der Sprachlosigkeit kann Frieden sichern

Wolfgang Gehrcke im Bundestag am 27.4.2017 zum Antrag der LINKEN "Für eine neue Ostpolitik Deutschlands"
27.04.2017
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Wolfgang Gehrcke, DIE LINKE:Nur die Überwindung der Sprachlosigkeit kann Frieden sichern (Fraktion DIE LINKE. im Bundestag)

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke sehr, Frau Präsidentin. – Ich hätte mir sehr ge­wünscht, dass in dieser Debatte auch andere Fraktionen –zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die CDU-Kolle­gen – inhaltliche Vorschläge dafür unterbreiten,

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wir machen Po­litik!)

wie eine neue Ostpolitik und eine neue Russland-Politik aussehen könnten.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Machen wir doch!)

Diesen Disput würde ich gerne mit euch aufnehmen, aber ihr schweigt euch aus, setzt auf Sanktionen und glaubt, dass Sanktionen die Dinge in Europa positiv verändern würden. Das ist ein grundlegender Fehler.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns tatsächlich über die Fragen reden, die Gernot Erler aufgeworfen hat. Reden: Wir haben nicht zu viel Dialog – auch in Deutschland nicht –, sondern wir haben zu wenig Dialog. Die Kanz­lerin fährt in fünf Tagen nach Sotschi und trifft sich mit Putin. Das finde ich völlig richtig, weil der Dialog nicht abreißen darf.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Na also!)

Reden wir doch einmal über einige inhaltliche Fragen. Wäre es im Interesse der baltischen Länder, wäre es im Interesse von Polen oder von Georgien auf der anderen Seite, wenn sich die Situation in Europa stabilisieren und alles, was in Richtung Krieg geht, durch das Zusammen­leben der Völker beseitigt würde? Das wäre doch eine gemeinsame Aufgabe, die man angehen könnte.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann wollen wir mal mit der Ukraine anfangen!)

Wir alle müssen die Frage beantworten: Hilft Aufrüstung, um Veränderungen in diese Richtung durchzusetzen – die NATO rüstet auf; das werdet ihr doch nicht bestreiten können –, oder muss man nicht endlich auf Abrüstung setzen, um konkrete Abrüstungsverhandlungen in Gang zu bringen? Das ist das, was wir vorschlagen.

(Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Sagen Sie das doch einmal Putin!)

Ich finde, das ist im Interesse der baltischen Länder, im Interesse Polens, im Interesse Deutschlands und auch im Interesse Russlands.

Ich möchte gerne, dass die Sprachlosigkeit, die ich sehe, endlich überwunden wird. Warum sollen die Aus­schüsse des Bundestages und der Duma nicht endlich zu Debatten zusammentreffen? Warum weigert ihr euch, dem russischen Auswärtigen Ausschuss der Duma eine Diskussionsplattform zu bieten?

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil die Duma keine Termi­ne anbietet!)

Es ist doch bekannt, dass ihr euch verweigert habt und das blockiert.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Herr Gehrcke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol­legin Beck zu?

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Ja.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, um der Mythenbildung vorzubeugen, dass es keinen Dialog gebe, möchte ich Sie doch einmal fragen, ob Sie mitbekommen haben, dass der EU-Aus­schuss, als er vor sechs Wochen nach Moskau gereist ist, große Schwierigkeiten gehabt hat, überhaupt ir­gendwelche Termine bei den Kollegen in der Duma zu bekommen. Ist Ihnen das bekannt? Von den 42 Telefo­naten – inzwischen sind es vermutlich mehr –, die die Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten geführt hat, ganz zu schweigen! Es handelt sich um Propagan­da, wenn gesagt wird, dass der Dialog von unserer Seite nicht gesucht würde.Ich sage Ihnen: Auch im Europa­rat stehen die Türen für die Kollegen offen. Sie kommen aber nicht mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Lassen Sie uns erst einmal sachlich festhalten:

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das war sehr sachlich!)

Wenn es für irgendwelche Bundestagsausschüsse Proble­me gibt, in Moskau einen Termin zu bekommen, erkläre ich mich gerne bereit, einen Termin zu vermitteln.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Ab­geordneten der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Putin wartet da­rauf!)

Das dürfte kein Problem sein. Das werden wir selbstver­ständlich schaffen. Melden Sie sich einfach.

Ich habe mich sogar dafür eingesetzt, Frau Beck, dass die Einreisesperre gegen Sie nicht vollstreckt, sondern aufgehoben wird. Ich möchte, dass sich Abgeordnete frei treffen können: in Moskau und in Berlin.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

– In Moskau und in Berlin.

(Niels Annen [SPD]: Es gibt keine Einreise­sperre in Berlin!)

Deswegen muss zum Beispiel auch der Auswärtige Aus­schuss der russischen Duma nach Berlin fahren können. Deswegen muss die Sanktionsliste mit den Namen der Kollegen der Duma endlich eingestampft werden. Das ist doch das Mindeste, was man machen könnte.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Herr Gehrcke, die Kollegin Beck wünscht eine zweite Zwischenfrage. Ich habe allerdings die Bitte, dass sich das nicht zu einem Dialog auswächst.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Sie sehen doch, dass die Uhr nicht weiterläuft.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Verehrter Herr Kollege, jetzt bin ich doch etwas irri­tiert.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Warum?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie scheinen Insiderkenntnisse zu haben, wenn Sie da­von sprechen, dass eine Einreisesperre gegen mich, die verhängt werden sollte, durch Ihr Wirken nicht verhängt worden ist. Mir war von einer Einreisesperre noch nichts mitgeteilt worden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Haben Sie etwa Kontakte zum russischen Geheimdienst oder zu anderen Stellen?

(Zuruf von der LINKEN: Er ist eigentlich KGB-Agent! Wussten Sie das noch nicht? – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Jetzt gib es zu, Wolfgang! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Genau. – Ich wusste ja immer, dass die Grünen und die CDU irgendwann zu Schwarz-Grün zusammenkom­men. Die alte CDU-Losung „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau“ haben die Grünen so verinnerlicht, dass sie sie heute wiedergeben.

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Die Antwort auf die Frage bitte!)

Was soll denn dieser Unsinn? Es war doch klar – das wissen Sie auch –, dass Kolleginnen und Kollegen Ihrer Partei nicht nach Russland einreisen konnten.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie haben aber „Sie“ gesagt!)

Das hat nicht Sie, sondern Frau Rebecca Harms getroffen. Das hat Herrn Wellmann von der CDU getroffen. Selbst­verständlich habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass Sie auf diese Weise irgendwie belastet werden. Ich bin für eine freie Debatte. Unsere Fraktion ist für eine freie Debatte. Das unterscheidet uns.

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Keine Antwort!)

Wenn Sie sich genauso energisch dafür einsetzen wür­den, dass die Kollegen der russischen Duma, die Leitung der Duma und die Mitglieder des dortigen Auswärtigen Ausschusses frei nach Deutschland einreisen könnten, wäre das prima. Springen Sie doch einmal über Ihren Schatten, und versuchen Sie das einmal. Das tut auch nicht weh.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfra­ge von Herrn Hunko.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Bitte.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Herr Hunko hat jetzt das Wort. Dann sollten wir die Debatte fortsetzen.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Herr Kollege Gehrcke, gerade wurde die Reisetätigkeit des Bundestages und der Ausschüsse angesprochen – der EU-Ausschuss war in Moskau –: Ich bin, wenn ich das richtig sehe, von denen, die daran teilgenommen habe, als einziger Vertreter hier.

Ist Ihnen bekannt, dass der Auswärtige Ausschuss eine solche Reise bewusst nicht gemacht hat? Ist Ihnen auch bekannt, dass der EU-Ausschuss hochrangige Termine in Moskau hatte, darunter Treffen mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Föderationsrates? Ist Ihnen weiter bekannt, dass an dieser Reise kein Vertreter der Grünenfraktion teilgenommen hat?

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Schönen Dank, dass du das hier vorgetragen hast. Ich könnte zwar sagen: Das ist mir nicht bekannt, aber: Ja, es ist mir bekannt. Es ist auch bekannt, dass insbesondere von dem CDU-Kollegen Herrn Röttgen, dem Vorsitzen­den des Auswärtigen Ausschusses, ein geregeltes Zusam­mentreffen der Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages und der Duma bislang nicht vorangetrieben, sondern blo­ckiert worden ist. Das ist einfach die Wahrheit. Es ist ja auch bekannt, dass man das sehr schnell ändern könnte.

Ich will, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Was Sie sagen, macht mich gerade sprachlos!)

Ich will, dass man aufeinander zukommt. Das heißt nicht, dass man in jeder Frage übereinstimmen muss. Aber man müsste miteinander reden und herausbekommen, warum es möglicherweise so ist, wie Kollege Erler es hier vorge­tragen hat, dass die politische Wahrnehmung in Moskau und Berlin höchst unterschiedlich ist.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie tragen mit dazu bei!)

Ich finde es ganz vernünftig, dass die russische Seite immer wieder darauf zurückkommt, dass man über Inte­ressen und die Wahrnehmung von Interessen reden muss. Die ganze Wertedebatte hat in der Abstraktheit, mit der sie geführt worden ist, lange Zeit überhaupt nichts ge­bracht. Es war auch einmal Politik von Willy Brandt und Egon Bahr, dass man über Interessen reden muss, statt über Werte zu schwafeln. Ich würde mir sehr wünschen, dass es auch hier zu einem solchen Umgang miteinander kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe mich – das möchte ich betonen – über die Be­grüßung des Oberbürgermeisters von Wolgograd und Ihre Bemerkungen, Frau Präsidentin, gefreut. Beim Vorberei­ten auf diese Debatte ist mir das große Gedicht des russi­schen Poeten Jewgenij Jewtuschenko in den Sinn gekom­men, der vor einigen Wochen verstorben ist.Seine große Frage an die deutsche und an die russische Bevölkerung war: Meinst du, die Russen wollen Krieg? – Diese Frage kann man doch heute beantworten. Für mich ist es völlig eindeutig: Die russische Bevölkerung will keinen Krieg, und die deutsche Bevölkerung will keinen Krieg. Und ich will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre eine Politik, die man gemeinsam angehen könnte.

Meinst du, die Russen wollen Krieg? Nein, die Russen wollen keinen Krieg. Meinst du, die Deutschen wollen Krieg? Nein, die Deutschen wollen keinen Krieg. – Wenn man davon überzeugt ist, dann muss man auch eine dem­entsprechende Politik machen. Wäre es nicht denkbar, dass man zumindest auf bestimmte Waffensysteme ver­zichtet? Wäre es nicht denkbar, Kollege Erler, dass man die Debatte darüber wieder aufnimmt, atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa zu schaffen, die wir einmal ge­meinsam geführt haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Wäre es nicht denkbar, dass man in einer solchen Situa­tion des Dialoges auch besser und einfacher über Dinge reden kann, die man höchst unterschiedlich sieht?

Wir kommen doch nicht zusammen, weil ein Klima vorherrscht, in dem der andere verurteilt wird, statt eines, in dem über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird. Auch die Lösung der Ukraine-Frage kriegt man nur hin, wenn man auf Russland zugeht und bereit ist, mit Russ­land gemeinsam das Problem zu lösen.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Über den Kopf der Ukraine hinweg, wie schon mal früher?)

Der Ostukraine den Strom abzudrehen und die Renten nicht zu zahlen, schafft kein Vertrauen, sondern stört und zerstört Überlegungen, wie man auch künftig in einem gemeinsamen Staat leben kann.

Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird, dass Vertrauen aufgebaut wird und dass man auch die Ukraine-Frage so löst, dass man über Dialog zu politi­schen Lösungen kommt. Das ist das, was wir vorgeschla­gen haben. Darüber können Sie abstimmen.I ch glaube, dass wir immerhin eine Debatte in Gang gebracht haben.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Wortlaut der vollständigen Debatte geht es hier