Noch drei Tage bis zum Parteitag der LINKEN

30.05.2012
Printer Friendly, PDF & Email

Frische Ideen und ein sozialistisches Programm !

von Wolfgang Gehrcke

Versucht politisch Interessierten zu erklären, was in der LINKEN los ist! Ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Die Verwerfungen sind nur schwer zu erklären.
Ein Arbeitsloser, dem ich vor dem Wiesbadener Bahnhof einen Flyer zur Kommunalwahl in die Hand drücken wollte, blaffte mich an: „Euch wähle ich nicht mehr! Ihr habt nichts für mich rausgeholt und den Oskar habt Ihr auch vergrault!“ Das ganze Dilemma der LINKEN in einem Satz. Hier ein Versuch, mir selbst klar zu machen, was zum Absturz der LINKEN von rund 12 Prozent auf 6 Prozent in Meinungsumfragen, was zu den Stimmverlusten bei allen Wahlen seit der Bundestagswahl geführt hat.

1. Nur eine neue Leitung oder auch eine andere Politik?
Die Unentschiedenheit, mit der viele und die Ablehnung, mit der einige Funktionäre auf das Angebot Oskar Lafontaines reagierten, noch einmal zum Parteivorsitz zu kandidieren, hat weniger mit seiner Person zu tun (seinem Alter, seinem Geschlecht und seiner Geschichte), sondern mit dem Inhalt seiner Politik und mit seinem Politikverständnis. Denn mit Lafontaine war der Wiederaufstieg der LINKEN möglich bis wahrscheinlich, ohne ihn ist er eher unsicher. Lafontaine wäre ein Vorsitzender des Übergangs gewesen, das wusste er selbst am besten, aber er hätte die Partei in die Bundestagswahl geführt und alle Kraft darauf verwandt, den Wiedereinzug zu ermöglichen. Ohne ihn stehen diese Erfolge auf der Kippe. Die Unentschiedenheit weist darauf hin: hinter der Personalentscheidung zu Lafontaine und jetzt zu allen anderen stand und stehen Auseinandersetzungen um die politische Richtung der Partei.
2. Eigenes Profil oder an andere andocken?– Strategische Differenzen
Die LINKE braucht, will sie eine relevante Kraft sein, Partnerinnen und Partner in der Gesellschaft. Sie braucht eigene Kommunikationsformen und –wege, kulturelle Ausdrucksweisen, frische Ideen. Nicht neue „Alleinstellungsmerkmale“ sondern verlässliche Interessenvertretung sollten die LINKE in Ost und West prägen. Zum Profil der LINKEN gehören: EU-kritische Grundpositionen, Umverteilung von Reichtum und Macht von oben nach unten, Vergemeinschaftlichung und Dezentralisierung von Banken und Versicherungen, Energiekonzernen, die nach dem Grundgesetz möglich sind, Antiarmutsprogramme, Abschaffung von Hartz IV, Lohnsteigerungen, Rentenreform, Mindestlöhne, Verbot von Leiharbeit, konsequente Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
In absehbarer Zeit brauchen SPD und Grüne DIE LINKE nicht für eine Regierung auf Bundesebene. Und wir als LINKE, wollen uns nicht mit ihnen blamieren. In den Ländern – bis auf Brandenburg - hat die SPD dort, wo es möglich war, Koalitionen unter Einbeziehung der LINKEN ihrerseits ausgeschlagen. Nicht Schielen auf baldige Regierungsbeteiligung ist bundespolitisch sinnvoll, sondern Druck aus der Opposition heraus. Erfolg hat DIE LINKE nicht mit vorauseilender Anpassung an SPD und Grüne, sondern mit Widerstand und Eigenständigkeit, das ist die entscheidende strategische Differenz vor dem Göttinger Parteitag. Die LINKE muss in Bewegungen, Gewerkschaften und Initiativen aktiv sein, sie soll weiter und besser mit Sozialdemokratinnen, Sozialdemokraten, Grünen wo immer möglich zusammenarbeiten. Aber sie darf nicht von der SPD anhängig oder deren Anhang werden. Dabei ist eine starke Linke auch im Interesse von linken Sozialdemokraten, weil sie deren Druckpotenzial erhöht und ihre Handlungsspielräume vergrößert.
3. Die Bedingungen der Bedingungslosen
Als neue Kraft stellt sich ein „Team des Dritten Weges“ dar, über den angeblich gescheiterten Richtungen. Vom „Dritten Weg“ hört man, dass er den Crash aufeinander zu rasender Züge verhindern will und keine Bedingungen stellt, wie es angeblich Oskar Lafontaine getan hätte. Tatsächlich stellen sie Bedingungen, denn das Katharina- und Katja-Team kann ergänzt, aber nicht verändert werden. Früher sagte man dazu: Alles oder Nichts.
Welche Politik das Team vertritt und welche Strategien verfolgt werden sollen, bleibt offen. So greift unter dem Etikett „modern“ die Entpolitisierung auch in der Linken. Die Form soll über dem Inhalt stehen. In einer Zeit, in der Linke in Europa erfolgreich durch ein eigenes Profil etwa in Griechenland, Spanien, Frankreich, Niederlande oder Tschechien einen Neubeginn gestartet haben, empfiehlt das Team der LINKEN in Deutschland einen gegenteiligen Weg. Doch wer nicht mehr erkennbar ist, wird nicht gewählt.
4. Frische Ideen und ein sozialistisches Programm sind notwendig
Warum macht die LINKE von ihrer Charakterisierung als sozialistische Partei so selten Gebrauch? Gerade in einer Zeit, in der die Ablehnung des Kapitalismus spürbar zunimmt? Die Verortung als sozialistische Partei mit dem entsprechenden Programm und einer darin begründeten Politik macht es leichter, einen eigenen Platz im Parteiensystem zu behaupten. Ein gutes Parteiprogramm macht noch keine erkennbare linke Politik, es braucht transparente, demokratische Formen, die Eigeninitiative fördern und zur Geltung bringen, es muss die Massen ergreifen, zuallererst die Mitglieder und Sympathisierenden. SIE sind die politischen Akteure. Die Möglichkeiten der LINKEN – in Parlamenten und Bewegungen – sind längst noch nicht ausgeschöpft. Einzelne Forderungen notwendiger Alltagspolitik sollten in den großen Zusammenhang einer die kapitalistischen Grenzen sprengenden Politik gesetzt werden. Ohne diesen weiten Horizont wird die LINKE in der Konkurrenz mit SPD und Grünen, zumal wenn diese in der Opposition sind, unterliegen.
Der Mangel an frischen Ideen und Aufmüpfigkeit lässt uns altbacken aussehen, übrigens in Ost und West. Wahlkämpfe gewinnt man durch Zuspitzung, nicht durch Anpassung. Als „Alltags- und Kümmererpartei“ alleine hat die LINKE keine Chance. Als seminarmarxistische Gruppe braucht sie auch keiner. Eine plurale LINKE braucht einen möglichst starken, ausstrahlenden sozialistischen, marxistischen Flügel. Der linke Flügel der Partei darf sich weder zurückziehen, noch sich anpassen oder seine Verdrängung widerstandslos hinnehmen.
5. Die Zukunft liegt in einem neuen Internationalismus
Viele Debatten der LINKEN sind erschreckend „deutsch“ und kleinkariert. Die Krise in Europa kann nur überwunden werden, wenn im Kernland des europäischen Kapitalismus eine andere Politik durchgesetzt wird. Solidarität mit der griechischen Bevölkerung ist auch und zentral ein Kampf in Deutschland gegen den Fiskalpakt und für europäische Alternativen zur Macht der Banken. Wenn die LINKE EU-kritische Positionen nicht besetzt, werden Rechtspopulistischen sich breit machen. Mit Alexis Tsipras aus Griechenland, Jean-Luc Mélenchon aus Frankreich, Cayo Lara aus Spanien und Tiny Kox aus den Niederlanden wachsen Linke heran, die sich kennen und bereit sind, Europa in Bewegung zu setzen. Davon darf sich die deutsche LINKE nicht abkoppeln.
Einige europäische linke Parteien mussten aus den katastrophalen Folgen ihrer vormaligen Anpassung an die Sozialdemokratie lernen. In Spanien fiel die Linke von 12 auf 2 Prozent, in Frankreich auf 1,5 Prozent, in den Niederlanden auf 5 Prozent. Die gegenläufige Entwicklung, die nun eingeleitet wurde, ist noch instabil, aber sie zeigt deutlich: Ohne eigenes Profil, ohne Protestfähigkeit keine erfolgreiche Politik.
Über diese Fragen muss der Parteitag debattieren und entscheiden – sachlich, kooperativ und vernünftig. Endzeitstimmung ist nicht angebracht, aber „Laissez-faire“ auch nicht. In der Leitung können vielfältige Positionen vertreten sein, unterschiedliche Erfahrungen aus Ost und West müssen aufgenommen werden. Konzeptionell schließen sich sozialistische Volkspartei und Interessensvertretungspartei nicht aus. All das ist möglich – unter einer Voraussetzung: die Mitglieder kämpfen um ihre Partei.