Soldaten sind keine Entwicklungshelfer

20.11.2012
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Wolfgang Gehrcke, Leiter des Arbeitskreises Internationale Politik und Mitglied des Fraktionsvorstandes, im Interview der Woche auf linksfraktion.de über Auslandseinsätze der Bundeswehr, Militarisierung der Gesellschaft, die veränderte Rolle der Bundeswehr und Anforderungen an eine echte Friedenspolitik

»Soldaten sind keine Entwicklungshelfer«

DIE LINKE lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Diese Position vertritt sie konsequent, so etwa bei den Abstimmungen in der letzten Sitzungswoche, bei denen darüber entschieden wurde, die Mandate der Bundeswehr für ihre Einsätze in Südsudan und der Krisenregion Darfur zu verlängern. Als einzige Fraktion hat DIE LINKE die Mandatsverlängerung mit großer Mehrheit abgelehnt. Viele Menschen verstehen das nicht. Wie erklären Sie denen diese kompromisslose Haltung?

Wolfgang Gehrcke: In der Tat geht DIE LINKE in der Außen- und Sicherheitspolitik einen anderen Weg als die anderen Fraktionen im Bundestag. Der Grundgedanke der LINKEN ist, dass sich unser Land als Kriegsdienstverweigerer etabliert und an keinerlei militärischen Aktionen beteiligt. Krieg und militärische Gewalt als Mittel der Politik zu ächten, kann man nur, wenn man sich selbst nicht in Kriegen und an Militäraktionen beteiligt. Auch im Sudan haben Militäreinsätze nicht zur Sicherheit der Bevölkerung beigetragen. Deutschland sollte besser Entwicklungsexperten, Fachfrauen und –männer zum Aufbau von Gesundheits- und Bildungswesen entsenden. Soldaten, gleichgültig welche Farbe ihr Helm trägt, sind keine Entwicklungshelfer.

Die Bundesregierung scheint jetzt wild entschlossen, die Bundeswehr auch im Konflikt zwischen Syrien und der Türkei einzuschalten.

DIE LINKE wird auf keinen Fall einer Stationierung deutscher Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze und der Entsendung von 170 Bundeswehrsoldaten zustimmen. Selbstverständlich muss diese Frage im Bundestag erörtert werden. Mit ihren Tricks, das Parlament und die Öffentlichkeit zu umgehen, kommt die Regierung nicht durch. Die Begründungen aus der Türkei und der NATO für die mögliche Stationierung der Raketen sind falsch und sollen eine Situation vortäuschen, die real nicht vorhanden ist. Syrien ist nicht in der Lage und es ist auch nicht syrische Politik, die Türkei anzugreifen. Militärisch ist die Türkei außerdem den Nachbarländern weit überlegen. Die Türkei steuert im Unterschied zu Syrien und anderen Ländern eine Vorherrschaft im Nahen Osten an. Faktisch will die die türkische Regierung eine Flugverbotszone etablieren und die NATO-Mächte bei der Durchsetzung dieser Maßnahme in kriegerische Handlungen hineinziehen. Es ist ein Skandal, wie willfährig die Bundesregierung sich bisher zu diesem Ansinnen der türkischen Regierung verhalten hat.

Kriege und das daraus entstehende Leid der Menschen sind eine sehr emotionale Angelegenheit. Ist es denn falsch, wenn viele von uns bei Berichten aus Afghanistan, Syrien, Sudan und den vielen anderen Orten auf der Welt, an denen Menschen einander Schreckliches zufügen, als Erstes fühlen: "Da muss man doch etwas tun"?

Das ist sicher nicht falsch und ich habe das gleiche Gefühl. Nur stellt sich die klassische Frage: Was tun? Diese Gewalttaten in vielen Ländern, die Toten und Verletzten entstehen nicht, weil Menschen von Natur her böse und aggressiv sind, sondern weil Krieg wieder zum Mittel der Politik geworden ist und an Kriegen und Aufrüstung verdient wird. Das ist der gemeinsame Hintergrund. Wer Kriege verhindern oder erschweren will, sollte fordern, dass Waffenexporte verboten werden und Rüstungsproduktion in Produktion ziviler Güter überführt wird. Kriege haben immer mehrere Seiten, und Rüstung tötet bereits im Frieden. Ein Bruchteil der 1.700 Milliarden Dollar, die für weltweite Aufrüstung eingesetzt werden, könnten in vielen Teilen der Welt eine Grundbildung sicherstellen, den Zugang zu sauberem Wasser. Wir könnten verhindern, dass Menschen verhungern. Die Welt ist heute so reich, dass diese Armut nicht nötig ist. Sie ist systembedingt. Und dieses System trägt den Namen Kapitalismus. Letztlich: Wer Kriege auf Dauer verhindern will, braucht eine andere Gesellschaftsordnung.

Ist unsere Gesellschaft latent militarisiert? Akzeptieren wir Krieg als politisches Mittel zu leicht? Und wenn ja - woher kommt das Ihrer Meinung nach?

Die Benutzung des allgemeinen Begriffes 'wir' täuscht darüber hinweg, dass die Akzeptanz von Krieg als Mittel der Politik durchaus unterschiedlich in der Gesellschaft gesehen wird. Ich bin froh darüber, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Kriegseinsätze wie in Afghanistan ablehnen und auch keinen Sinn darin sehen, dass die Bundeswehr unbedingt bei einem Militäreinsatz in Mali dabei sein muss. Aber Kriege und Gewalt ziehen sich beständig neue Kleider an. Getötet wird in der modernen Kriegführung zuerst am Computer, wo kleine Pünktchen ausradiert werden, die in Wirklichkeit Menschen sind. So beschrieb der Kundus-Oberst Klein seine Entscheidungssituation: Pünktchen ausradieren. So sind Entscheidungssituationen von Piloten, die aus der Ferne Raketen abfeuern oder vom Boden aus Drohnen steuern. In der modernen Kriegsführung sind anonyme Mächte zugleich Ankläger, Richter und Henker. Auch der deutsche Verteidigungsminister lässt in afghanische Personen auf Listen setzen, die dann ausgeschaltet, das kann auch heißen ermordet, werden.

Der derzeitige Verteidigungsminister de Maizière sieht die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr vor allem in Einsätzen im Ausland. Wohin geht die Reise für die deutschen Soldatinnen und Soldaten in den nächsten Jahren? Hat sich der Charakter der Bundeswehr seit der Aussetzung der Wehrpflicht geändert?

Die Aussetzung der Wehrpflicht war Ergebnis anderer Aufgaben, Zielsetzung und Einsatzplanung der Bundeswehr. Die Bundeswehr sollte fit gemacht werden für weltweite Militäreinsätze. Das geht besser mit Berufssoldaten als mit Wehrpflichtigen. Im Leitspruch der Division Spezialkräfte heißt es: "Einsatzbereit, jederzeit, weltweit!" Das ist die De Maizière-Linie für die Bundeswehr. Ich habe bislang fünf Verteidigungsminister erlebt: Scharping, der den Jugoslawienkrieg mit zu verantworten hatte und über das Planschen im Swimmingpool mit seiner Gräfin stürzte. Peter Struck, der vom SPD-Fraktionsvorsitzenden zum Verteidigungsminister aufstieg und den völker- und verfassungswidrigen Satz geprägt hat, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird. Ihm folgte der Hesse Franz-Josef Jung, der lieber Landwirtschaftsminister geworden wäre, aber trotzdem Kundus zu verantworten hatte. Dem Filou zu Guttenberg ging es vor allem um die eigene Person. Und mit de Maizière haben wir jetzt einen Mathematiker des Krieges. Vielleicht die gefährlichste Personalie an der Spitz der Bundeswehr: einsatzbereit, jederzeit, weltweit.

Die Auszeichnung der Europäischen Union mit dem Friedensnobelpreis ehrt die Idee, nach Jahrzehnten martialischer Auseinandersetzungen Europa zu befrieden. Entfernt sich die EU von diesem Ansatz, der ja im Grunde friedenspolitisch ist?

Die EU hat den Friedensnobelpreis nicht verdient, genauso wenig wie Obama ihn verdient hatte. Fast unbemerkt und über Nacht ist die EU militarisiert worden. Es gibt einen Generalstab, gemeinsame Battle Groups und in mehr und mehr Militäreinsätzen agieren EU-Staaten zusammen auch unter dem Dach der EU. Die EU unterhält eine Rüstungsagentur, und einzelne EU-Staaten sind im Rahmen der NATO oder unter dem Dach einer "Koalition der Willigen" an allen größeren Kriegen der letzten Jahre beteiligt. Es ist wahr, EU-Staaten haben keine Kriege mehr gegeneinander geführt, das ist ein großer Fortschritt. Aber in anderen Teilen der Welt waren EU-Mitgliedsländer bei vielen Kriegen maßgeblich dabei. Nehmen wir nur einmal Frankreich und seine Kolonialkriege in Nordafrika und Vietnam oder Großbritannien mit ebenfalls Kolonialkriegen. Wir könnten auch auf die Niederlande blicken oder Belgien. Kriegsgeläutert sind Europa und die Europäische Union noch lange nicht.

Was macht den Unterschied aus zwischen einer Politik, die Krieg als Mittel akzeptiert, und einer echten Friedenspolitik?

Es heißt immer zur Begründung von Militäreinsätzen, sie wären die Ultima Ratio, das letzte Mittel, die letzte Vernunft. Ich erlebe aber in der Politik, dass das „letzte Mittel“ Militär immer mehr zum nächstliegenden Mittel wird. Die herrschende politische Logik hat Krieg und die deutsche Kriegsbeteiligung wieder möglich gemacht. Wer Krieg als Mittel der Politik nicht völlig ausschließt, wird allzu oft beim Krieg, beim Militärischen ankommen. Es ist also notwendig, sich in einer anderen Logik und damit in einer anderen Politik zu bewegen. Diese beginnt damit, dass die Mittel zur Kriegsführung abgeschafft werden, dass globale Ungerechtigkeit durch globale Gerechtigkeit ersetzt wird, dass kulturelle Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen wird. Für die deutsche Politik wünsche ich mir, dass ein einfacher Satz zum Gesetz wird: Deutschland holt die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen zurück und wird keine Soldaten mehr in Auslandseinsätze entsenden. Um einen Staat, der so handelt, kann sich weltweit ein Friedenslager gruppieren und können alternative Formen von Konfliktlösungen entstehen.

linksfraktion.de, 20. November 2012