Ça ira Nr. 147: Von Syrien bis zur Ukraine (19.7.2017)

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Zur Ausgabe Nr. 147 vom 25.07.2017


Hier kommt noch einmal der aktuelle Ça ira-Infobrief Ausgabe Nr. 147, nun aber mit unserem vollständigen Artikel zu den jüngsten Syrien-Verhandlungen in Genf und mit dem Verweis auf eine dazu heute in der jungen Welt erschienene Kurzfassung. 

 

Von Syrien bis zur Ukraine


Es gibt eine Verbindung zwischen Syrien und der Ukraine: In beiden Ländern exekutiert die US-amerikanische politische Klasse ihre Strategie des „kreativen Chaos“. Daraus folgt Krieg unterschiedlicher Intensität. In beiden Ländern gibt es eine Roadmap zu einem möglichen Frieden – die jeweiligen Pläne heißen nach den Orten, an denen sie verhandelt wurden, Minsk und Genf. Minsk ist festgefahren – darauf reagieren die Volksrepubliken mit einer, aus unserer Sicht zu kritisierenden, angekündigten eigenen Staatengründung. Genf sei gescheitert, sagen die einen – wir waren dort am Rand der siebten Verhandlungsrunde und sagen: Gescheitert ist die Strategie, Syrien als Manövriermasse für imperialistische Machtinteressen zu behandeln.

 

Syrienverhandlungen in Genf


Scheitern oder vorsichtige Hoffnung?

Syrienverhandlungen in Genfvon Wolfgang Gehrcke & Christiane Reymann

Von den Medien so gut wie nicht beachtet, hat die siebte Runde der Syrienverhandlungen in Genf stattgefunden. Laut Headline der taz vom 16. Juli sind die „Friedensgespräche erneut gescheitert“. Das sei die Bilanz des UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, der zugleich den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron guthieß, den jener auch Donald Trump unterbreitet habe. Danach soll eine „Kontaktgruppe“ aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und den konfliktbeteiligten Nachbarstaaten Syriens gebildet werden, die auszuarbeiten hätte, wie es mit Syrien weitergehen soll.

Wir haben eine andere Sicht der Dinge: Gescheitert ist in Syrien (und Genf) eben jene imperialistische Politik, für die Syrerinnen und Syrer keine Subjekte ihrer eigenen Zukunft sind und der Nahe und Mittlere Osten vielmehr eine Verfügungsmasse in der Globalstrategie der klassischen und neoliberal gewandeten Kolonialmächte. Wir haben in Genf Menschen aus der syrischen demokratischen und sozialistischen Opposition getroffen, die durchaus willens und in der Lage sind, die Geschicke ihres Landes selbst in die Hand zu nehmen. Wie schon bei den vorangegangenen Verhandlungsrunden, war DIE LINKE (in Gestalt von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann als Herausgeber vom Buch "Syrien- wie ein säkularer Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert wird", und Harri Grünberg, Mitglied des LINKEN Parteivorstands) auch dieses Mal am Ort des Geschehens, um Akteure der Verhandlungen zu treffen. Neue Einsichten haben wir namentlich gewonnen in Gesprächen mit Kadri Jamil, ehemaliger Vizepräsident Syriens, Vorsitzender der Partei des Volkswillens und zugleich Sprecher der „Moskauer Plattform“, und mit Haytham Manna, Menschenrechtler, Publizist, gefragter politischer Aktivist und Analytiker von der unabhängigen demokratischer Opposition Syriens. Beide arbeiten derzeit aus dem Exil: Kadri Jamil aus Moskau, Haytham Manna aus Paris/Genf.

Aus drei mach eins? Die Plattformen
Bei den Genfer Verhandlungen sitzen die Konfliktparteien nicht zur gleichen Zeit und gemeinsam an einem Tisch. Die Parteien haben jeweils eigene Quartiere, Botschaften, Sitzungszimmer, und Vertreter der UNO pendeln von den einen zu den anderen. Direkt oder indirekt sind das derzeit Russland und die USA, der syrische Staat und syrische Oppositionelle, die regionalen Mächte Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, der Iran und die Türkei, die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. Deutschland spielt eine untergeordnete Rolle.

Laut taz gibt der UNO-Sonderbeauftragte der syrischen Regierung die Schuld am „Scheitern“ der siebten Genfer Runde. Sie habe direkte Verhandlungen mit der „Hohen Verhandlungskommission“ der Opposition weiterhin abgelehnt. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Der Titel „Hohe Verhandlungskommission“ legt zwar Großes nah, aber tatschlich ist sie nur eine von drei in Genf anwesenden Plattformen der syrischen Opposition, und zwar die Riad-Plattform. Sie gruppiert sich um die von den arabischen Staaten, den USA und der Türkei finanzierten Kräfte. Unter ihnen sind die Muslimbrüder einflussreich und die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, die bislang vom westlichen Ausland als einzig legitime Vertretung Syriens anerkannt wurde und die auch in Berlin eine eigene Vertretung hat. Daneben gibt es die Moskauer Plattform, die eher linke, antiimperialistische Kräfte sammelt, sowie die Kairoer Plattform. Sie stützt sich auf säkulare arabische Kräfte.

In Genf lagen die Verhandlungszimmer der beiden letztgenannten Plattformen nebeneinander, ihre Türen standen offen, für jeden einsehbar, wer mit wem redet. Wenn sie keine anderen wichtigen Gesprächspartner hatten, redeten sie miteinander. Der Kontakt zur Riad-Plattform war laut Jamil erheblich schwieriger. „Obwohl wir in 98 von 100 Fragen keine gemeinsame Position haben“, habe es doch auf verschlungenen Pfaden und nahezu konspirativ Gespräche gegeben. Jetzt bestünde, so Jamil weiter, die Chance, trotz weiterhin tiefgehender Differenzen eine Verhandlungsdelegation zu werden. Die Einigungsformel hieße: Eine gemeinsame Delegation, aber keine einheitliche. In anderen Worten: Eine Delegation, drei Plattformen – in Verhandlungen über die Zukunft Syriens mit der Assad-Regierung, möglichst unter Moderation der Vereinten Nationen.

Das ist eine völlig andere Konzeption als der Macron-Plan. Hier formulieren Syrerinnen und Syrer ihre Ziele und richten konkrete Bitten, Forderungen an das Ausland. Dort formuliert das Ausland, was in Syrien geschehen solle. 

Veränderung des Kräfteverhältnisses
Die unterschiedlichen Sichten auf die Genfer Verhandlungen reflektieren eine bemerkenswerte Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in und um Syrien. Militärisch scheint ein Sieg über den Islamischen Staat und andere islamistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front absehbar, in erster Linie herbeigeführt durch die syrische Armee und Russland; ganz wichtige Schlachten haben die kurdischen Volksbefreiungskräfte, namentlich die der PYD, durchstanden. In Genf drückte sich die Veränderung des Kräfteverhältnisses darin aus, dass der Alleinvertretungsanspruch der syrischen Opposition durch eine „Hohe Verhandlungskommission“ nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.

Ein militärischer Sieg ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer politischen Lösung und einem Ende der Gewalt. Vorerst geht es darum, die Anzahl der Gebiete mit Waffenruhe auszuweiten, zu festigen, miteinander zu verbinden und parallel zu deeskalierten Zonen zu kommen. Das ist auch Verhandlungsgegenstand in Astana, wo auf Initiative von Russland, der Türkei und dem Iran auch syrische Kräfte zusammentreffen. Mehr regionale Waffenruhe würde schlagartig die Möglichkeiten für humanitäre Hilfe verbessern. Sie wird dringend benötigt. Schon jetzt sind eine halbe Million Flüchtlinge zurückgekehrt, vornehmlich nach Aleppo und Homs. Auf diesem Hintergrund ist es völlig inakzeptabel, dass die Bundesregierung ihre umfassenden Sanktionen gegen den syrischen Staat noch nicht aufgehoben hat und humanitäre Hilfe ausschließlich den pro-westlichen Gruppierungen zukommen lässt.

Eine Kurzfassung dieses Artikels ist am 25.7.2017 in der jungen Welt erschienen,
zu unserem vollst
ändigen Artikel geht es hier 

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Wahlen statt "Kleinrussland"


Pressemitteilung von Wolfgang Gehrcke am 18. Juli 2017

Zur Ankündigung der führenden Persönlichkeiten aus den Gebieten Donezk und Lugansk, möglicherweise Schritte in Richtung eines eigenen, zunächst zeitlich begrenzten Staates „Kleinrussland“ zu gehen, erklärte Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, am 18. 07.2017:

Wahlen in Donezk und Lugansk sind die bessere Alternative zur einseitigen Staatsgründung.
Jegliche einseitige Veränderung der Gebiete in der Ukraine ist kein Schritt der Deeskalation. Die Ankündigung, einen eigenen, zunächst zeitlich begrenzten Staates ‚Kleinrussland‘ zu bilden, bringt nicht voran. Im Gegenteil: Am Abkommen von Minsk muss festgehalten werden. Seit über einem Jahr jedoch steht dessen Umsetzung faktisch still. Das ist höchst unbefriedigend und gefährlich. Diese Seite der Kritik aus Donezk und Lugansk ist zutreffend, die Schlussfolgerung nicht.

Die Unterzeichnermächte des Minsker Abkommens, Deutschland, Frankreich, Russland sowie die Regierung der Ukraine (Kiew), sind aufgefordert, Minsk II neu zu beleben. Notwendig ist jetzt ein Zeitplan für die ausgehandelte Roadmap, der exakt und verbindlich festschreibt, bis wann welcher Schritt kontrollierbar vollzogen sein muss, darunter: Waffenruhe, Abzug der schweren Geschütze von der Demarkationslinie, Gefangenenaustausch und Einlösung der sozialen Verpflichtungen der Kiewer Regierung gegenüber den Bürgern von Donezk und Lugansk, darunter die Auszahlungen ihrer Renten. Das schafft die Basis für Verhandlungen über eine neue Verfassung und Autonomierechte für die Regionen.

Für die Kommunalwahlen in Donezk und Lugansk ist ein Termin verbindlich festzulegen. Eine Voraussetzung dafür sind die genannten rechtlichen Schritte. International garantierte Wahlen sind die bessere Alternative zur einseitigen Staatsgründung.“

Hier geht es zur Pressemitteilung der Fraktion DIE LINKE.
https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/wahlen-statt-kleinrussland/