Anfrage anlässlich der Konferenz am 09.09.09: "Kurden in Deutschland"

14.09.2009
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Sehr geehrter Herr Gehrcke,
gestern nahm ich an der Konferenz „Kurden in Deutschland“ im Berliner Abgeordnetenhaus teil. Dort wurden verschiedene Forderungen gestellt, die zur Verbesserung der Integration der Kurden in Deutschland beitragen sollen. Unter anderem wurde die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert, um eine Kriminalisierung der Kurden zu beenden. 
Welche Auffassung haben Sie dazu? Über eine Rückmeldung von Ihnen würde ich mich freuen!
Mit den besten Grüßen

Sehr geehrte Frau ...,
Ich halte diese Forderung der Konferenz für absolut gerechtfertigt. Das PKK-Verbot diente in der Vergangenheit und dient auch heute noch in der Tat dazu, ein ganzes Volk zu kriminalisieren. Erst recht natürlich diejenige, die sich ausdrücklich für Gerechtigkeit und Frieden für ihr Volk einsetzen. Darüber hinaus geraten aber auch Nicht-Kurden in den Verdacht, Terroristen zu sein oder mit diesen zu sympathisieren, wenn sie ihre Solidarität mit den berechtigten Wünschen der Kurden zum Ausdruck bringen. Ich selbst habe diese Erfahrung gemacht. Meine ausführlichen Überlegungen zu diesem Thema können Sie hier lesen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gehrcke

 

 

Die ausführliche Antwort von Wolfgang Gehrcke:

Ich sympathisiere mit der terroristischen PKK, behauptet der Verfassungsschutz in seinem umfangreichen Dossier, das er über mich angelegt hat. Und er glaubt, diese Behauptung damit beweisen zu können, dass ich an großen Meetings kurdischer Organisationen in Europa teilgenommen habe.. 

Letzteres stimmt. Ich habe mich in der Tat auf vielen Kundgebungen und Veranstaltungen von Kurdinnen und Kurden in Deutschland und anderen europäischen Ländern für deren Autonomierechte eingesetzt. Es ist ein großes Zugeständnis von ihnen und für sie sehr schmerzhaft, dass sie heute nicht mehr von einem kurdischen Staat sprechen oder diesen einfordern. Es geht ihnen um demokratische Rechte - in der Türkei, im Irak, Iran und Syrien. Auch in Deutschland leben weit über eine Million Kurdinnen und Kurden. Sehr viele von ihnen sind Bürgerinnen und Bürger unseres Landes; und ihnen geht es auch und vor allem um ihre Rechte in Deutschland. D.h. die Politik der LINKEN gegenüber den Kurdinnen und Kurden ist Teil der Migrations- und Integrationspolitik. Gleichzeitig geht es um ihre demokratischen Rechte in der Türkei, in Syrien, Irak und Iran. Diese Tatsachen sollten endlich von der deutschen Politik und der Öffentlichkeit wahrgenommen werden!

Ich habe der Bundesregierung, namentlich dem damaligen Außenminister Josef Fischer, immer wieder vorgehalten, dass es zur Glaubwürdigkeit gehört, für die Kurdinnen und Kurden die gleichen Autonomierechte zu fordern, die man für die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo gefordert hat. Dem hat sich Fischer und die Bundesregierung immer verweigert.

Ich möchte meine Haltung noch etwas genauer erläutern. 

1.Meine Solidarität gilt dem kurdischen Volk, das in der Türkei immer noch keine demokratischen Rechte genießt. Es kann seine Sprache in der Öffentlichkeit, in Zeitungen, Zeitschriften, Funk und Fernsehe nicht frei verwenden. Kurdisch wird weder an der Schule noch an der Universität gelehrt. Es kann sich daher nicht entwickeln und wird „assimiliert“. D.h. seit über 80 Jahren werden die Kurdinnen und Kurden und ihre Muttersprache mit mehr oder weniger Zwang türkisiert. Meine Sympathie gilt allen Kurdinnen und Kurden, die sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ihres Volkes einsetzen und dafür nach wie vor verfolgt, inhaftiert, misshandelt und gefoltert werden.

2.Mit meiner Teilnahme an Veranstaltungen kurdischer Organisationen in Europa verbinde ich zweierlei politische Ziele: Zum einen will ich damit meine Solidarität mit dem unterdrückten und für seine Freiheit kämpfenden kurdischen Volk zum Ausdruck bringen. Zum anderen will ich mit meinem Auftritt auch gegen die Politik der Bundesregierung Stellung beziehen. Ich halte die Politik der Bundesregierung gegenüber den Kurdinnen und Kurden in der Türkei für skandalös. Was die Menschenrechte angeht, so misst sie gegenüber den Kurden der Türkei mit zweierlei Maß. Und zwar nicht aus Unkenntnis darüber, was „fern, in der Türkei“, passiert, sondern weil die Türkei ein wichtiger strategischer, Wirtschafts- und NATO-Partner ist. 

Diese Beziehungen wurden vor über 100 Jahren entwickelt und sind bis heute stabil geblieben. Im Interesse dieser Beziehungen hat Deutschland damals, 1915, zum Völkermord an den Armeniern in der Türkei geschwiegen, haben deutsche Offiziere und Diplomaten in der Türkei dazu „Ja und Amen“ gesagt. Und für die Massaker an Kurdinnen und Kurden hat Deutschland Waffen geliefert. Die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft wirkt bis in die deutsche Innenpolitik hinein: Kurdinnen und Kurden werden in Deutschland nicht als Angehörige eines Volkes, mit eigener Sprache, Kultur, Geschichte anerkannt. Sie werden in den offiziellen Statistiken der Bundesrepublik nicht als Kurden geführt. Sie haben kein Recht auf muttersprachlichen Unterricht. Materialien der Ämter, die mehrsprachig für Migrantinnen und Migranten verfasst werden, gibt es deshalb auch nicht auf Kurdisch. Kurdinnen und Kurden müssen in türkischsprachige Einrichtungen gehen, wenn sie Sozial- und Rechtsberatung brauchen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

3.Ich habe mit der PKK nichts zu tun und lasse mich durch den Vorwurf von PKK-Nähe nicht von meiner notwendigen Solidarität mit Kurdinnen und Kurden abhalten. Zudem ist es aus meiner Sicht notwendig, um die Bürgerkriegssituationen in der Türkei zu überwinden, die PKK als eine der Konfliktparteien in einen Dialog einzubeziehen. Die Beschuldigung des Terrorismus, die die Bundesregierung und die Mainstream-Medien gegenüber der PKK erheben, müssen m. E. ebenfalls sehr differenziert betrachtet werden. Zum einen gibt es die schon zitierte Bündnistreue gegenüber der Türkei, die der deutschen Regierung die Übernahme des Terrorismus-Vorwurfs nahe legt. Zum anderen ist es einfacher, die Kurden-Unterdrückung zu legitimieren, wenn man sie allesamt für Terroristen erklärt. Das hört sich sehr primitiv an, funktioniert aber so.

Ich möchte hier auf den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Terrorismus“ verweisen. Er geht auf die objektiven Schwierigkeiten einer eindeutigen Definition ein und macht deutlich, dass er oftmals als „Kampfbegriff“ verwendet wird: 
„Eine objektive Eingrenzung des Begriffs Terrorismus ist schwierig, da er von den jeweils herrschenden Regierungen gerne als Legitimation, zur Denunzierung ihrer Gegner – manchmal auch unabhängig davon, ob diese Gewalt anwenden oder nicht – und zur Rechtfertigung eigener Gewaltanwendung gegen vermeintliche Feinde der gegenwärtigen Staatsordnung herangezogen werden.“

Völkerrechtlich ist durch Beschlüsse der Vereinten Nationen definiert, was ein terroristischer Akt ist, aber es gibt noch keine völkerrechtliche Definition der Begrifflichkeit des Terrorismus. Alle Versuche der UNO, dies zu leisten, sind an der Frage gescheitert, ob es dann auch einen „Staatsterrorismus“ gibt oder ob die Begrifflichkeit Terrorismus ausschließlich auf nichtsstaatliche Organisationen anzuwenden ist. Wenn die Bundesregierung vom Krieg gegen den Terror oder vom Terrorismus spricht, dann haben wir als LINKE sie im Bundestag immer wieder aufgefordert – insbesondere Oskar Lafontaine hat sich dieser Frage angenommen -, zu definieren, was aus ihrer Sicht Terror und Terrorismus sei. 

Nach Monaten liegt jetzt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN und eine Definition des Begriffes vor, der wir uns durchaus anschließen können, wenn als Merkmal des Terrorismus „Gewaltanwendung gegen unbeteiligte Zivilisten zur Durchsetzung politischer Ziele“ bezeichnet wird. Legt man diese Definition zugrunde, kann man den USA den Vorwurf des Terrorismus nicht ersparen. Zugleich kommt man zum Urteil, dass auch die PKK im Verlauf ihres Widerstandskampfes terroristische Methoden angewandt hat. 
Macht diese Tatsache die PKK zu einer „terroristischen Organisation“? Und falls dies für frühere Zeiten zutrifft, gilt das auch für heute? Ist ihr Verbot in der Bundesrepublik gerechtfertigt, wie die Bundesregierung behauptet? Diese Fragen müssen sachlich und gründlich beantwortet werden – und zwar ohne von politischen Interessen geleitete Vorurteile. In der Öffentlichkeit findet diese Auseinandersetzung nicht statt. Zum Schaden der Kurdinnen und Kurden. Diese stellen eine der größten Migrantengruppe in Deutschland dar. Viele von ihnen fragen verbittert: Kann denn ein ganzes Volk aus Terroristen bestehen?

Von der Bundesregierung haben Kurdinnen und Kurden kaum Unterstützung erfahren. Im Gegenteil: Asylanträge von in der Türkei gefolterten Kurdinnen und Kurden wurden massenhaft abgelehnt mit der zynischen Begründung: Die Folter in türkischen Gefängnissen sei Bestandteil der dortigen Kultur und daher etwas Normales.
Aus der Bundesrepublik wurden jede Menge Waffen an die Türkei geliefert. Sie wurden nachweislich gegen Kurdinnen und Kurden eingesetzt, auch gegen die Zivilbevölkerung. In den Augen des kurdischen Volkes unterstützt die deutsche Regierung türkischen Staatsterrorismus. Auch wenn sie Kurdinnen und Kurden aus Deutschland in die Türkei abschiebt, wo ihnen Gefängnis und Folter droht.

Vollständig abgelehnt wird von mir die sogenannte „Terrorliste“ oder „Terrorismusliste“ der Europäischen Union. Die Art und Weise, warum welche Organisation auf diese Liste kommt oder umgekehrt von dieser Liste gestrichen wird, ist völlig intransparent und entspricht nicht rechtsstaatlichen Maßstäben. Diese Terrorlisten sind so etwas wie ein Parteiverbot und führen zu einem Verbot der Tätigkeit der jeweiligen Organisation. Wenn man in Rechnung stellt, welche hohen Hürden in Deutschland für ein Parteiverbot gelten, kann man den Weg über die Terroristenliste der EU nicht als rechtsstaatlich bezeichnen. Es gibt dort keine Anklage und keine Verteidigung, sondern ausschließlich eine politische Entscheidung. Die Nennung auf einer Terrorliste verhindert auch – und das wird am Beispiel der PKK besonders deutlich -, dass solche Organisationen in einen Dialog und damit in einen Prozess der politischen Veränderung einbezogen werden.