Es gibt keine sinnvolle Alternative zu diplomatischen Lösungen

07.05.2014
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Erinnern Sie sich an die Erfahrungen, die wir in der Wendezeit gesammelt haben! Das war immer eine der Kernfragen: Die Armee darf nie gegen das eigene Volk - ich finde, auch nicht gegen fremde Völker - eingesetzt werden. Bitte lassen Sie uns das durchsetzen! Das kann Hass aus der ganzen Situation nehmen. Ich bitte Sie sehr, bei den Verhandlungen auch in diese Richtung Überlegungen anzustellen.

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32. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am 7. Mai 2014 – Aktuelle Stunde „Zur Situation in der Ukraine“

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In einer Frage gebe ich dem Außenminister sofort recht: Es gibt keine sinnvolle Alternative zu diplomatischen Lösungen. Die Ukraine steht am Rande eines Bürgerkrieges. Wir müssen alle Kraft aufwenden, damit sich die Situation nicht zu einem Bürgerkrieg weiterentwickeln kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist die politische Aufgabe dieses Hauses, unserer gemeinsamen Politik. Als ersten Schritt müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Das ist die zentrale Frage: einen Waffenstillstand zu erreichen. Wenn man einen Waffenstillstand erreichen will - das will ich in aller Deutlichkeit sagen; denn das haben Sie ausgespart, Herr Außenminister -, muss man die Regierung in Kiew, wie immer man sie beurteilt, auffordern, die Armee, die Nationalgarde nicht gegen das eigene Volk einzusetzen; das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Erinnern Sie sich an die Erfahrungen, die wir in der Wendezeit gesammelt haben! Das war immer eine der Kernfragen: Die Armee darf nie gegen das eigene Volk - ich finde, auch nicht gegen fremde Völker - eingesetzt werden. Bitte lassen Sie uns das durchsetzen! Das kann Hass aus der ganzen Situation nehmen. Ich bitte Sie sehr, bei den Verhandlungen auch in diese Richtung Überlegungen anzustellen.

Ich bin sehr dafür, dass es zu einer neuen Genfer Runde kommt. Ich halte es für dringend notwendig, dass in Genf gesprochen wird. Da kann man überlegen, ob nicht auch andere Teile - in bestimmten Formen, im Format der OSZE - an den Gesprächen beteiligt werden. Warum soll es unmöglich sein, auch Bürgerinnen und Bürger aus der Ostukraine und andere an diesen Gesprächen zu beteiligen?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man einen Frieden will, muss man mit denen sprechen, mit denen man sich auseinandersetzt. Das sagt Ihnen sogar Herr Teltschik von der CDU. Ich möchte ja nicht sagen: „Lernen Sie mal von der CDU!“, aber in dieser Frage wäre es nicht ganz schlecht, dies aufzunehmen. Wir brauchen einen Gewaltverzicht. Wir brauchen Schritte der Entwaffnung. Wer kann denn entwaffnen? Das muss international geschehen, damit die Waffen auch abgegeben werden können.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): OSZE-unterstützt!)

Ich meine, das ist eine Aufgabe der OSZE - was ich gerne möchte.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Da muss man sie unterstützen!)

Jetzt sage ich Ihnen meine Kritik und meine Sorgen dabei: Ich empfand die Entsendung dieser militärischen Beobachtermission als eine Gefährdung für die große OSZE-Mission von bis zu 500 Personen, die bereits vereinbart war. Sie haben leichtsinnig und leichtfertig - um kein hohes Ergebnis - diese Mission gefährdet. Ich finde, das kann man nicht akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gehört zu den Dingen, wo Sie eskaliert haben, statt zu deeskalieren.

Die Genfer Runde muss also stattfinden - das ist dringend notwendig -, man muss auf die OSZE setzen. Wenn mir in Moskau gesagt worden ist bei meinen Gesprächen,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ach, war er noch einmal in Moskau?)

dass die OSZE einen neuen Frühling erlebt, ist auch die Frage, ob nicht auch wir in unserer Politik - in der europäischen Entspannungspolitik - die OSZE in den letzten Jahren nicht viel zu gering geachtet haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt, da wir sie brauchen, merken wir, was diese Einrichtungen wert sind.

Ich möchte zweitens, dass über Verfassungsreformen verhandelt wird. Dazu braucht man runde Tische. Vielleicht ist ein Übergang zu Wahlen - ich glaube nicht, dass man unter den jetzigen Bedingungen und bei all der Gewalt gesichert wählen kann - über runde Tische möglich. Auch hier könnte man aus der Geschichte Deutschlands und daraus, wie runde Tische hier gewirkt haben, ein Stück weit lernen. Die runden Tische können zu Wahlen führen, die von allen Seiten akzeptiert werden. Ich halte es für dringend notwendig, auch in diese Richtung nachzudenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens - das gehört auch zu den runden Tischen - muss man ernsthaft über einen föderativen Staatsaufbau, über autonome Rechte und über die Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger verhandeln.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Vor allem mit Russland!)

Ich sage in allem Ernst dazu: Wenn neben der kulturellen Auseinandersetzung, die es gibt, auch noch die soziale Frage explodiert, dann werden Sie gar nichts im Griff behalten. Man muss die Oligarchen in der Ukraine entmachten

(Beifall bei der LINKEN)

- übrigens auch die Oligarchen in anderen Teilen der Welt, wie immer man sie auch nennen mag.

Der vierte Punkt, über den man reden muss, ist die Frage einer Neutralität der Ukraine, einer Blockfreiheit. Es muss garantiert werden, dass die Ukraine künftig keinem Block, keinem Militärbündnis, angehört, und die NATO muss sich zurücknehmen. Was soll das denn, dass jetzt mit der ständigen Stationierung von NATO-Soldaten im Baltikum, in Polen und in anderen Ländern gedroht wird? Damit gießt man doch Öl ins Feuer, statt zu entspannen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gehört auf den Zettel, um Vertrauen wiederherzustellen.

Auf den Zettel gehört auch, dass die Faschisten in der Ukraine aus der Regierung heraus müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Faschisten verhandelt man nicht. Das halte ich für ein Minimum, das wir durchsetzen müssen.

Mir wird hier vorne freundlicherweise keine Zeit angezeigt; ich kann also unbeschränkt reden. Herzlichen Dank! Das wollte ich immer schon mal.

Vizepräsident Peter Hintze:

Verehrter Herr Kollege, gestatten Sie mir einen kurzen Hinweis: In der Tat versagt im Moment die Technik.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Habe ich ein Glück.

Vizepräsident Peter Hintze:

Deswegen hat auch der Bundesaußenminister - es war aber auch wichtig, was er gesagt hat - etwas länger geredet, und da wir faire Menschen sind, haben wir gesagt, dass wir Sie auch einen Moment länger reden lassen, damit auch die Opposition zu ihrem Recht kommt.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Die Zeit ist abgelaufen!)

Wenn wir das technisch jetzt nicht anders hinkriegen, dann werde ich kurz, bevor die folgenden Redezeiten ablaufen, ein Signal geben.

Sie haben als alter Parlamentarier aber das richtige Gespür: Ihre Zeit ist abgelaufen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Sie dürfen Ihren Gedanken aber noch zu Ende führen, Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Wessen Zeit in der Politik abgelaufen ist, wird sich historisch erst noch herausstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Peter Hintze:

Redezeit, Herr Kollege!

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Die Zeit von Gewaltakten ist abgelaufen.

Ich sage Ihnen am Ende noch - das ist ein wichtiger Gedanke, und ich hoffe, dass die SPD wieder damit anfängt, nachzudenken -: Wir brauchen das Konzept einer neuen Ostpolitik, einer neuen Entspannungspolitik. Sie können hier sehr viel lernen, wenn Sie mal wieder bei Willy Brandt nachschlagen und dort nachlesen. Wir brauchen eine neue Ostpolitik!

(Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Dazu gehören aber zwei!)

Ohne eine solche Strategie wird sich nichts entwickeln.

Ich erinnere Sie daran: Die große Konferenz in Helsinki fand damals zu einem Zeitpunkt statt, als in Afghanistan der Krieg tobte, an dem die Sowjetunion beteiligt war. Es gab andere Militäraktionen, und man hat trotzdem miteinander verhandelt und das Ergebnis von Helsinki erreicht.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Dann können Sie ja den Außenminister loben!)

Sie müssen mit einer neuen Ostpolitik erst einmal zu einem solchen Ergebnis mit Russland - so, wie das Land ist; es kann sich auch verändern - kommen.

Dafür steht die Linke: Wir sind für mehr Diplomatie, wir sind für Verhandlungen, wir sind für eine neue Ostpolitik. Das hat auch eine Mehrheit in diesem Lande -

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt reicht es aber!)

- Ihnen reicht es schon lange; das ist mir klar -, und dafür treten wir ein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN Volker Kauder (CDU/CSU): Abtreten!)