Das Nötigste in Zeiten des Krieges: Mitgefühl, Solidarität und konkrete Unterstützung

Abschlussbericht zur Initiative „Hilfe für die Kinder im Donbass“ von Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko
26.05.2016
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Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke

Wir, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, konnten Ende 2015 endlich die großartige Hilfsaktion für das Kinder­kranken­haus in Gorlowka in der Südostukraine erfolg­reich abschließen.

In zwei Etappen, zuerst im Februar, dann im November 2015, konnten wir Medikamente im Wert von insgesamt 135.200 Euro zum Kinderkrankenhaus in Gorlowka bringen und dringend notwendige Reparaturen am Kranken­haus unterstützen. Wir hatten garan­tiert, dass dieses Geld zu 100 Prozent für Medikamente und medizinisches Gerät ausge­geben wird und wir dies öffentlich doku­men­tieren werden. Das sei hiermit abschließend getan. Wir danken allen Spenderinnen und Spendern, ihre Hilfsbereitschaft hat uns tief berührt und vor allem hat sie den Menschen in der Südostukraine gezeigt, dass sie nicht allein und von der Welt vergessen sind. Wir danken der russischen Stiftung Schönheit rettet die Welt, die sich mit weiteren Stiftungen zur Donbass-Hilfe zusammengeschlossen hat (www.donbass-hilfe.org).  
Das Kinderkrankenhaus von Gorlowka ist jetzt eines ihrer Projekte. An die Donbass-Hilfe haben wir auch die 1.749 Euro, die wir von den Spendengeldern noch nicht ausgegeben hatten, überwiesen.  Doch der Reihe nach:

So hat es angefangen

Begonnen hatte diese Aktion im Dezember 2014 mit einer kleinen Anzeige je im Neuen Deutschland und der jungen Welt, nachdem wir in Russland ein Lager von Flüchtlingen aus der Südostukraine besucht und sie uns um Hilfe für Kinder ihrer Region gebeten hatten. Damals – und die Lage hat sich seitdem nicht wesentlich verbessert, weder gibt es Frieden, noch ist das Leben der Menschen leichter geworden – waren die bewaffneten Konflikte zwischen den Kiewer Truppen, rechten und ukrainisch-nationalistischen Freischärlern auf der einen und den Aufständischen von Donezk und Lugansk auf der anderen Seite in einen offenen (Bürger-)Krieg umge­schlagen. Täglich starben Menschen durch Bomben, Granaten, Gewehre, Raketen oder politisch motivierte Morde, besonders im Osten. Dort fehlte es an allem: Lebensmitteln, Wasser, Strom, Heizmaterial, Medikamenten. Wie immer waren und sind die Schwächsten der Gesellschaft die Hauptleidtragenden. Dem Kinderkrankenhaus in Gorlowka, mit mehr als 10.000 jungen Patienten im Jahr das größte der Region, waren die Medikamente ausgegangen; direkt an der Demarkationslinie im umkämpften Gebiet gelegen, waren die Gebäude stark beschädigt oder ganz zerstört, es gab fast kein heiles Fenster mehr und Behandlungen konnten weitgehend nur noch in den Kellerräumen stattfinden. Trotzdem blieben Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte bei ihren kleinen Patienten und es wurden Kinder geboren. Hier wollten wir Not lindern.

Diese Initiative stieß auf eine überwältigende Resonanz. 1.200 engagierte Bürgerinnen und Bürger, Freundinnen und Freunde brachten in Einzelspenden und viele weitere in Sammel­spenden 135.200 Euro zusammen. Sie alle haben gegeben, was sie konnten. Die Einen zwei oder fünf Euro, andere 1.000 oder gar 2.000 Euro. Die höchste Einzelspende, die uns erreicht hat, betrug 18.000 Euro.

Die Hilfsaktion hatte ausschließlich humani­tären Charakter unabhängig davon, wie die Spen­derinnen und Spender ihren jeweiligen und wir unseren politischen Standort beschrei­ben. Diesen pragmatischen Humanismus hab­en wir nicht mit der Propagierung unserer poli­tischen Positionen verbunden.

Unter Kriegsbedingungen und der, um es höflich auszudrücken, nicht kooperativen Hal­tung der Kiewer Regierung erwies sich die Hilfs­lieferung freilich als überaus schwierig und sehr langwierig. Um sicherzugehen, dass die am dringendsten benötigten Medikamente sofort gekauft werden und bei den Empfängern ankommen, ent­schlossen wir uns zu Beginn des Jahres 2015, die Medikamente kurzfristig persönlich dorthin zu bringen. Mit Hilfe russischer Freundinnen und Freunde, namentlich des Duma-Abge­ordneten der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), Wladimir Bessonow und seinem Team, konnten wir in Rostov am Don für 38.000 Euro Medikamente einkaufen und direkt in das Kriegsgebiet des Donbass bringen. Da die ukrainische Regie­rung kein sicheres Geleit zur Ostukraine zu­sichern konnte, war die Einreise über Russ­land die einzige Chance. Diese zwar im Ergeb­nis erfolgreiche, aber in ihrem Verlauf doch etwas waghalsige  Aktion konnten wir nicht wieder­holen und schon gar nicht in einem Umfang von weiteren fast 100.000 Euro. Wir mussten andere Wege finden, dazu unten mehr. Im September 2015 haben wir von unserem Spendenkonto 2.535 Euro für die Reparatur der Heizungs- und Wasserrohre im Krankenhaus und die gleiche Summe für die Reparatur der Fenster im Hauptgebäude sowie über 90.000 Euro für den Einkauf und Transport medizinischer Materialien und Medi­kamente an die Stiftung Schönheit rettet die Welt überwiesen, die diese Transaktionen in Übereinstimmung mit den russischen Geset­zen und den Regularien der Regionen  Donezk und Lugansk , abgewickelt hat. Von der ersten wie der zweiten Lieferung gingen kleine Teile in Form von Erste-Hilfe-Paketen auch an wenige weitere Krankenhäuser in Donezk und Lugansk. Im Mittelpunkt aber stand das Kinderkrankenhaus von Gorlowka.

Wie wichtig diese Hilfsaktion vielen Menschen hierzulande war, konnten wir nicht nur an den Spenden ablesen, sondern auch in Mails oder auf Facebook. „Wir sind zutiefst gerührt von dieser Aktion und sagen ganz einfach DANKE!“ notierte eine Frau auf Facebook. Und eine andere: „Das ist endlich ein positives Signal aus Deutschland und die Menschen im Donbass wissen, dass man sie hierzulande nicht vergessen hat. Herzlichen Dank!“ Umgekehrt sind wir dankbar und tief bewegt, dass wir so viel Mitgefühl und Solidarität erleben durften.

Das Geld ist ordnungsgemäß für die vorge­sehenen Zwecke eingesetzt worden, davon konnten wir uns mit Freundinnen und Freun­den vom 18. bis 21. November 2015 in Gor­lowka selbst überzeugen. Damit ist diese Hilfs­aktion abgeschlossen. Spenderinnen und Spen­der können gern Einsicht in die Einkaufs­listen und Abrechnungen nehmen. 

Eine Seite fehlt: Die Bundesregierung

Inzwischen ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in der Ukraine und der Ostukraine präsent. Aus Deutschland leisten örtliche und regionale Komitees Hilfe, etwa, als ein Beispiel, im Rahmen der Städtepartnerschaft Bochum – Donezk. Nur eine Seite fehlt fort­dauernd und auffallend: Die Bundesregierung. Zugesagt hatte sie insgesamt 18 Millionen Euro an humanitärer Hilfe (2015) einschließlich für die Gebiete, die nicht von der Regierung in Kiew kontrolliert werden,  2016 sollen diese Mittel auf 23 Millionen Euro steigen. Doch angekommen ist davon in der Südostukraine noch nichts. Auf Nachfragen erhielt Andrej Hunko am 15. März 2016 aus dem Aus­wärtigen Amt diese Antwort: „Da bislang keine deutsche NGO in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ukraine (NGCA) registriert worden ist, konzentriert sich die weitere deutsche Hilfe auf die von der Regie­rung kontrollierten Gebieten.“ Das inter­nationale Rote Kreuz bekäme für seine Arbeit in der Ukraine in diesem Jahr fünf Millionen Euro von der Bundesregierung, heißt es weiter, und es „plant“ Hilfe auf beiden Seiten der Demar­kationslinie zu leisten. Alles bleibt also auch weiter im Ungefähren. Die Bundesregierung teilt nicht mit, welche konkreten Schritte zur Hilfe auch für die Menschen in den Gebieten Donezk und Lugansk sie unternommen hat und auch nicht, woran sie gescheitert sind.

Humanitäre Hilfe wird dringend gebraucht

Mit mehr als einer viertel Million Einwohnern gehörte Gorlowka zu den größeren Städten der Ukraine. Sie liegt an der wichtigen Verbin­dungsstraße zwischen Lugansk und Donezk und war besonders hart umkämpft. Jeder dritte Einwohner ist in die (West-) Ukraine oder nach Russland geflohen. Hier einige Zahlen und Fakten zu Kriegsfolgen: Aus dem gesamten Donbass sind zwei Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden. Russland hat aus der gesamten Ukraine mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen (siehe Sputnik, 01.12.2015). Zu den Toten und Ver­letz­ten dieses Krieges gehen die Zahlen extrem auseinander. Laut UNO-Anga­ben von Ende April 2016 sind seit Beginn des Ukraine-Konflikts vor zwei Jahren 9.333 Menschen getötet und 21.396 verletzt worden (NZZ, 29.04.2016). „Deutsche Sicherheits­kreise“ hin­gegen sprachen schon im Februar 2015 von bis zu 50.000 Kriegstoten (siehe Die Welt, 08.02.2015)

Unsere erste Hilfslieferung im Februar 2015 fiel exakt auf den Tag vor Inkrafttreten des zweiten Minsker Abkommens. Der Flughafen von Donezk wurde noch während wir dort waren von der anderen Seite aus beschossen. Gorlowka erreichten wir nicht, die Stadt war noch zu heftig umkämpft. Nach Minsk II ließen die Kampfhandlungen im Sommer 2015 nach, die Menschen atmeten auf und begannen mit dem Wiederaufbau. In Gorlowka gab es zwar keine militärische Einrichtung, aber alle acht Krankenhäuser waren beschossen worden, 21 der 23 Schulen, 16 von 19 KiTas und Häuser­blocks in relativ dicht bebauten Quartieren. Ab November 2015 aber nahm der Beschuss wieder zu, das registrieren die OSZE-Beob­achter in ihren täglichen Berichten. Auch wir wurden im November 2015 Zeugen von Schüssen aus schweren Waffen auf den Donezker Flughafen und von nächtlichen Detonationen in der Nähe unseres Hotels in Gorlowka. 

Auf der Suche nach Partnern

Es hatte ein dreiviertel Jahr gedauert, bis der große „Rest“ der so elementar nötigen Hilfe vollständig in Gorlowka angekommen war. Obwohl es im Minsker Abkommen heißt, dass Bedingungen geschaffen werden sollen, damit humanitäre Hilfe geleistet werden kann und geleistet wird, ist es immer noch kompliziert, sie zu Menschen in der Südostukraine zu bringen, wo kein Frieden herrscht.

Selbstverständlich haben wir uns frühzeitig bei Hilfsorganisationen erkundigt, die über weit mehr Erfahrung als wir in der Organisation von größeren bis großen Medikamenten-Trans­por­ten verfügen. Das Internationale Rote Kreuz (IRK) signalisierte, dass es eine Vertretung in Donezk habe, man aber keine Medikamente in die Region sende. Medico International teilte uns mit, dass sie selbst nicht in der Region aktiv seien. Von „Ärzte ohne Grenzen“ war ein kleines Team in der Stadt Gorlowka, es war jedoch nicht in der Lage, unsere Aktivitäten mit den Ihrigen zu verbinden, schrieb uns Herr Robert-Nicoud von der Schweizer Sektion am 14. Februar 2015. Wir verstehen und respektieren, dass Hilfsorganisationen Spen­den­gelder nur für ihre eigenen Projekte und entsprechend ihren moralischen oder pro­grammatischen Grund­sätzen ausgeben kön­nen und nicht von vornherein sehr konkret zweckgebunden, wie wir es mit der Gorlowka-Hilfe angekündigt hatten und wünschten.

Auch an Außenminister Frank-Walter Stein­meier hatten wir uns im Januar 2015 gewandt, unsere Initiative geschildert und um Informa­tionen, möglichst auch um Unter­stützung, ge­beten. Der Ukraine-Stab im Aus­wär­tigen Amt hat uns daraufhin empfohlen, das von uns ge­sammelte Geld an das UN-Hilfswerk speziell für Flüchtlinge zu über­weisen. Das wäre je­doch, meinen wir, nicht im Sinne der Spen­derinnen und Spender gewe­sen, die Wert auf konkrete Hilfe gemäß dem Aufruf für die Menschen in ihrer Heimat legten.

Anfang Februar 2015 haben wir Kontakt zur ukrainischen Botschaft aufgenommen. Der Gesandte der ukrainischen Botschaft in Berlin, Botschaftsrat Oleg Mirus, informierte uns, dass Hilfsgelder nur an autorisierte Vertretungen entsprechend der ukrainischen Gesetzgebung gezahlt werden können, darunter namentlich das Internationale Rote Kreuz. Das aber wollte ja keine Medikamente dorthin liefern.

Zusammenarbeit gesucht haben wir mit der russischen Initiative „Faire Hilfe“ von „Dr. Lisa“, wie die Initiatorin Dr. Elisaweta Glinka respektvoll von Unterstützerinnen und Unter­stützern wie den Unterstützten genannt wird; wir hatten uns mit ihr in Moskau auch persönlich getroffen. Kontakt hatten wir mit dem Donbass-Hilfsfonds, einer Organisation, die Hilfe regional und grenzüberschreitend organisiert. Im Sommer waren wir auf Umwegen auch auf das Ioanno-Predte­tschenskij-Kloster der Russisch-Orthodoxen Kirche in Astrachan gestoßen; dort unter­zeichneten der Vorsteher des Klosters Igumen Pjotr und Wolfgang Gehrcke am 12. August 2015 ein Kooperationsabkommen. Auch die Duma von Astrachan und der dortige Runde Tisch gesellschaftlicher Organisationen zur Flüchtlings- und Donbass-Hilfe hatten ihre Unterstützung zugesagt. Leider führte letztlich auch dieser Weg nicht zum Erfolg.

Endlich lernten wir die St. Petersburger wohltätige Stiftung zur Unterstützung von Kunst und Kultur Schönheit rettet die Welt kennen. Sie hat Erfahrungen in der Organi­sation von Hilfslieferungen, u.a. durch die Be­reit­stellung der Transportmittel und der Be­wachung der Lieferung bis zum Bestim­mungsort sowie mit der Erledigung aller Formalitäten für den Grenzübertritt. Denn im Gegensatz zum Februar 2015 lässt die russische Seite keine privaten Hilfslieferungen mehr durch, wenn sie keine Genehmigung des russischen Zivilschutzministeriums haben. Darüber verfügt die Stiftung erfreulicherweise. Direktor der Stiftung ist der international bekannte Opernsänger Wladimir Wjurow, der bereits mehrmals seit Kriegsbeginn – unent­geltlich – im Donezker Opernhaus aufgetreten ist, während draußen die Granaten einschlu­gen. Darüber schrieben Moritz Gathmann und Christian Neef im Magazin Spiegel (52/2014).

Im November 2015 endlich hat dann die Stiftung Schönheit rettet die Welt Medikamente und medizinisches Material in einem Gesamt­wert von 90.155 Euro, sowie 5.370 Euro für Material- und Reparatur-Aufwendungen in die Südostukraine, vornehmlich in das Kinder­kranken­haus von Gorlowka, gebracht.

Allen Institutionen, Behörden, Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten danken wir für ihre Bereitschaft, mit uns zusammenzuarbeiten.

Im Gespräch mit der Bevölkerung und der Administration

In Donezk erwartete uns im Februar 2015 Alexander Sachartschenko und wollte gern mit uns sprechen. Weder Begegnung noch Ge­spräch mit dem Chef der „Donezker Volks­republik“ hatten auf der Reiseplanung gestan­den. Aber wir hatten uns vorher entschieden, dass wir, wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte, ihr nicht ausweichen werden. Dies aus mehreren Gründen:

Humanitäre Hilfe, Transport und Verteilung von Medikamenten in einem Gebiet, das von den Aufständischen kontrolliert wird, ist ohne Zustimmung der realen Macht überhaupt nicht möglich. Unsere Hilfe war also auf die Bereit­schaft angewiesen, die Hilfe anzunehmen. Das ist der wichtigste Grund.

Wichtig war auch, dass unsere Ankunft an jenem Tag erfolgte, an dem um 23 Uhr (Ortszeit) die in Minsk vereinbarte Waffenruhe in Kraft treten sollte. Wir konnten und wollten uns also über die neue Vereinbarung und die Bereitschaft der „Separatisten“ informieren, sie ihrerseits auch umzusetzen.

Darüber hinaus: Abgeordnete müssen das Recht verteidigen, sich ein eigenes Bild von der Lage machen zu können. Abgeordnete können und werden keine staatliche Aner­ken­nung vollziehen oder ersetzen können. Der künf­tige Status des Donbass war eben nicht Gegenstand unserer Hilfsaktion gegen akute Not.

Beim zweiten Aufenthalt vom 18. bis 21. November 2015 wollten wir das Kinder­krankenhaus in Gorlowka endlich selbst in Augenschein nehmen, wir wollten den Chef­arzt, Dr. Denis Taranow, mit dem wir bislang nur E-Mail-Kontakt hatten, und das Team von Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften persönlich kennenlernen. Sie alle haben uns tief beein­druckt. Sie arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen, ständig fehlt irgendetwas und oft sogar etwas sehr Wichtiges. Aber sie sind nicht fortgegangen, sind geblieben, denn vor Ort leben ja immer noch unzählige Menschen, Kinder und Mütter, Eltern, Schwangere, die sie brauchen.

Wir wollten uns auch einen Eindruck verschaffen vom gesellschaftlichen Umfeld der Hilfsaktion, also von den Lebensbedingungen der Menschen, ihren Erfahrungen und der Einschätzung des Minsker Abkommens durch die Bevölkerung und die Administration. Dass wir in der Kürze der Zeit so viel sehen konnten, so viele Begegnungen und Gespräche hatten, verdanken wir nicht zuletzt Eduard Loginov, russischer humanitärer Hilfsaktivist aus Surgut im Autonomen Gebiet Chanty-Mansijsk-Jugry. Er hat unseren Aufenthalt logistisch vorbereitet und begleitet. Alexej Iwachnenko, Bürgermei­ster von Gorlowkas Stadtbezirk Mitte, führte uns durch seinen Stadtteil und ermöglichte uns Begegnungen und Gespräche mit Bewohne­rinnen und Bewohnern. Swetlana Bassowa, ver­ant­wortlich für Soziales und Bildung in der Verwaltung von Donezk, vermittelte uns die Schwierigkeiten verlässlicher Bildung unter Be­din­gungen des Krieges und ermutigende Bei­spiele, wie Festivals von und für Kinder mit Handicaps. Ludmilla Isakiewa, Direktorin des Lyzeums Nr. 14 in Gorlowka, zeigte uns ihre Schule, in der nur einen Monat nach schwe­rem Beschuss am 1. September 2015, dem Tag des Schulbeginns nach den Sommer­ferien, dank der freiwilligen Arbeit von Nach­barn und Hilfe aus örtlichen Betrieben wieder Unterricht stattfinden konnte. Jewgenij Denis­senko, Generaldirektor des Opern- und Ballett­theaters Donezk, lobte die gute Zusam­men­arbeit mit dem deutschen Generalkonsulat in Friedenszeiten bei der Inszenierung von Wagners Fliegendem Holländer; die durch Be­schuss zerstörten Kulissen sollen rasch wie­der­hergestellt werden, um die Oper erneut aufzuführen. Denis Puschilin, Donezker Ver­hand­lungsführer in Minsk, hält trotz Stillstands am Weg der Verhandlungen fest. Sein Ziel: Die Ukraine als Föderation mit weitgehenden Selbstbestimmungsrechten der Regionen, mindestens nach dem Vorbild der Schweiz oder der Bundesrepublik Deutschland. Eduard Bassurin ist zwar militärpolitischer Sprecher der Volks­re­pu­blik Donezk, aber auch er setzt auf Verhand­lungen und führte uns zu den Verwüstungen des Flughafens von Donezk, von Kirchen, Friedhöfen und Wohngebieten. Ariane Bauer, „Head of sub-delegation“ des Internationalen Roten Kreuzes, quasi dessen Vorsitzende in Donezk, konnte dort im November 2015 nach monatelangen Vor­bereitungen endlich ihre Tä­tig­keit in Donezk aufnehmen. Ihnen allen danken wir, dass sie sich Zeit für uns und unse­re Fragen genommen haben.  

Als Bundestagsabgeordnete der Fraktion DIE LINKE treten wir parlamentarisch und außer­parlamentarisch dafür ein, dem Minsker Abkommen in all seinen Teilen Geltung zu ver­schaffen und es mit Leben zu erfüllen. Minsk II sieht einen allseitigen Waffenstillstand vor, den Abzug schwerer Waffen, aller Söldner, auslän­discher bewaffneter Einheiten und deren Mili­tär­technik, Grenzkontrollen durch die Ukraine, ihre Dezentralisierung, Selbstverwaltung der Ge­biete von Donezk und Lugansk, regionale Wahlen, Gefangenenaustausch und Amnestie, humanitäre Hilfe sowie „die vollständige Wie­derherstellung der sozialen und wirtschaft­lichen Verbindungen ... einschließlich der Über­­­wei­sung von Sozialleistungen wie Ren­ten­­zahlungen“. Keiner dieser Punkte ist bis­lang erfüllt. Der Weg zum Frieden in der Ukraine bleibt noch langwierig und mühsam.

Reaktionen aus der Politik

Die Hilfsaktion und vor allen Dingen das Gespräch im Februar 2015 mit Alexander Sachartschenko haben unterschiedliche Reak­tionen und teils heftige Kritik ausgelöst. Debat­ten über unsere Reise gab es mehrfach im Plenum des Bundestages, im Auswärtigen Ausschuss sowie im EU-Ausschuss. Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Eu­ro­parates (PV-ER), der Andrej Hunko für den Deutschen Bundestag angehört, wurden sei­tens ukrainischer Nationalisten für heftige Auseinandersetzungen über diese Reise aus­genutzt. Die linke Fraktion in der PV-ER hinge­gen wie auch die Fraktion DIE LINKE im Bun­destag und der Parteivorstand der LINKEN erklärten sich solidarisch mit dem Anliegen unserer Initiative. Unterstützung, die teilweise auch Kritik einschließt, erhielten wir von vielen Ge­nos­sinnen und Genossen, von Glie­de­rungen der Partei DIE LINKE, von Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, wie auch aus der Friedens­bewegung.

Bezogen auf unser Anliegen der humanitären Hilfe, erhielten wir vom Ukraine-Stab des Aus­wärtigen Amtes der Bundesrepublik sachliche Hinweise.

Ein angespanntes Verhältnis besteht weiterhin seitens der ukrainischen Regierung und somit auch der ukrainischen Botschaft zu uns. Wir hatten uns von Anfang an und fortdauernd im Kontakt mit der ukrainischen Botschaft darum bemüht, einen Hilfstransport über das Terri­torium der Ukraine bei sicherem Geleit bis zur Demarkationslinie nach Donezk zu verabre­den. Endlich hatte der Botschafter der Ukraine in Berlin, Andrij Melnyk, uns mitgeteilt: Die Sicher­heit des Hilfstransports könne seine Regierung nicht garantieren, das sei Sache der Geheimdienste. Und auf deren Verhalten habe die Regierung keinen Einfluss. Die ukrai­nische Regierung selbst verweigerte uns die Einreise in die Ukraine und dem Hilfstransport die Durchreise nach Gorlowka. Unter Punkt 7 des Minsk-II-Abkommens heißt es hingegen klar: „Es ist auf Grundlage internationaler Mechanismen für sicheren Zugang, Lieferung, Lagerung und Verteilung humanitärer Hilfsgü­ter für Bedürftige zu sorgen.“ Es dürfte wohl die Pflicht der Bundesregierung sein, derartige Einreiseverbote für Bundestagsabgeordnete und humanitäre Zwecke nicht stillschweigend hinzunehmen.

Mit Datum vom 20. Januar 2016 nahm Bot­schafter Melnyk in einem Brief an Günther Krichbaum, Vorsitzender des Bundes­tags­ausschusses für die Angelegenheiten der Eu­ro­päischen Union, Bezug auf „die Vorfälle mit den Bundestagsabgeordneten der Fraktion Die Linke, Herrn Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, die 2015 wiederholt gegen die ukrai­nische Gesetzgebung verstoßen haben, indem sie gesetzeswidrig in die besetzten Gebiete im Osten der Ukraine eingereist sind“. Die Bot­schaft verfüge über Angaben, heißt es weiter, dass „aufgrund der erwähnten Handlungen von Herrn Gehrcke und Herrn Hunko diesen Per­so­nen die Einreise in die Ukraine ... verboten“ sei. Die beiden Betroffenen selbst wurden bis heute nicht persönlich über dieses Einreise­verbot und die möglichen Konse­quenzen infor­miert. Hinzu kommt das be­fremdliche Ansin­nen des EU-Aus­schuss­vorsitzenden Krich­baum der meinte, die LINKE solle statt Andrej Hunko einen anderen Parlamentarier für eine Delegationsreise des Ausschusses in die Ukraine vom 31. Januar bis 3. Februar 2016 benennen. Das wiesen die LINKEN Fraktionsvorsitzenden zurück. Es kön­ne nicht sein, schrieben sie, „dass die Re­gierungen von Drittstaaten über die Zusam­mensetzung von Delegationen des Bundes­tages bestimmen“. Sehr bedenklich ist, dass der EU-Ausschuss trotzdem in die Ukraine fuhr – ohne Andrej Hunko – und, soweit ­bekannt, auch ohne Protest gegen das Einreiseverbot eines Kollegen aus dem Bundestag und der Parlamentarischen Versam­mlung des Europa­rats zu erheben.

Dank

Neben all den Menschen, denen wir in diesem Bericht schon unseren Dank ausgesprochen haben, möchten wir unsere Mitstreiter aus Deutschland nicht unerwähnt lassen: Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese Aktion möglich gemacht haben: dem Pressesprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Michael Schlick, dem studen­tischen Mitarbeiter Julius Zukowski-Krebs, der für uns gedolmetscht hat, Olga Lorenz (Ulya­nova), die uns mit Kenntnis und Sprache bera­ten hat, den Journalistinnen und Journalisten Christiane Reymann, Peter Wolter und Hans-Martin Wietek, aus unseren Büros endlich Ramona Dittrich und Anna Bormann. Großer Dank geht an Hartmut und Ludmila Hübner, die für uns alle Gespräche und Verhandlungen zum zweiten Hilfstransport vorbereitet und Schwierigkeiten geebnet haben. Wir danken den vielen Menschen in Deutschland, Öster­reich und der Schweiz, die gespendet haben, die uns ihre direkte fachliche Hilfe angeboten und ihre Kontakte in die Region zur Verfügung gestellt haben. Die von uns gesammelten Erfahrungen geben wir gern weiter an Städte, die durch Partnerschaften mit Kommunen in der Ostukraine verbunden sind, oder an Initiativen und Vereine, die Interesse an Kon­takten und Hilfe haben. Ausdrücklicher Dank geht auch an die russisch- und ukrainisch-stämmigen Bürgerinnen und Bürger in Deutsch­land, die sich in Klubs und Vereinen zusammengeschlossen haben und aktive Hilfe für die Menschen in der Ukraine organisieren.

Weitere Informationen über und um dieses Projekt, auch ein Video, Fotoalbum, Bilder, Artikel finden sie auf unseren Websites

www.andrej-hunko.de  und

www.wolfgang-gehrcke.de, speziell

http://www.wolfgang-gehrcke.de/de/topic/212.kinderkrankenhaus-gorlowka.html

Die St. Petersburger Stiftung Schönheit rettet die Welt, mit deren Hilfe wir den Großteil der Hilfsgüter nach Gorlowka bringen konnten, hat sich mit weiteren Stiftungen zur Donbass-Hilfe zusammen getan. Eines ihrer Projekte ist das Kinderkrankenhaus in Gorlowka, ihre deutsch­sprachige Website www.donbass-hilfe.org